Kahn Heinz

Heinz Kahn später Henry Cornes

*12.8.1912 in Eschwege; ✡  November 1980 in Great Neck, Nassau, New York

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Julius Kahn *9.1.1883 in Eschwege; 6.9.1942 Theresienstadt; ✡29.1.1943 in Auschwitz

Heirat der Eltern 24.8.1910 in Eschwege

Mutter Selma Neuhahn *6.9.1942 in Grebenstein, Hofgeismar; ✡ 29.1.1943 in Auschwitz

Onkel Moritz Neuhahn *1882 Langjähriger Vorsitzender der SG Eschwege

Schwester

Margot Kahn *27.2.1921 Eschwege; ✡25.1.1939 Eschwege; ärztliche Diagnose: „Rachendiphtherie, Herzmuskelschwäche“

Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant

Adressen Eschwege, Niederhoner Straße 54, Bismarckstraße 3, Niederhonerstraße 3; Altschermbeck;  

Heirat ledig

Kinder keine

Weiterer Lebensweg

Vater Julius Kahn war vermögender Besitzer der Stockfabrik Kahn und der Fa. Wachswarenfabrik Cäcilienhof GmbH und Julius Kahn‘ in Eschwege

1919-1923 Volksschule in Eschwege

Heinz K. 4. v.l mit Kahn’schem Spazierstock

1923-1932 Friedrich-Wilhelm-Schule, Gymnasium des Werra-Meißner-Kreises

24.2.1932 Abschluß mit Abitur

1932 Eintritt als Lehrling bei „Kaiser & Co“, Eschwege, dann Angestellter; nach Entlassung im väterlichen Unternehmen Fa. Wachswarenfabrik Cäcilienhof GmbH und Julius Kahn‘ in Eschwege

Der Bund deutsch-jüdischer Jugend

Der BdjJ wurde 1933 als ein Zusammenschluss verschiedener jüdisch-liberaler und deutsch-patriotischer Jugendgruppen auf nationaler Ebene gegründet; inhaltlich liberal und assimilatorisch ausgerichtet, organisatorisch dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten nahestehend.

Um dem zunehmenden Emigrationsdruck zu entsprechen wurde, 1936 das Lehrgut „Groß Breesen“ als Umschulungslager für Übersee-Gruppenwanderer eingerichtet. Auf Druck der Behörden musste das Wort „deutsch-jüdisch“ aus dem Verbandsnamen gestrichen werden, weshalb die Umbenennung in „Ring, Bund der jüdischen Jugend“ erfolgte.  Im Januar 1937 musste der „Ring“ aufgelöst werden. Der BdjJ hatte bis zu 5000 Mitglieder in 16 Landesverbänden gezählt.

Die Hachschara Bewegung

In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.

Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.

Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).

So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.

Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.

Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.

Haus Berta am Freudenberg bei Alt-Schermbeck

Auf Betreiben von Leo Gompertz, Vorsitzender der RjF-Ortsgruppe Gelsenkirchen entstand 1934 auf dem Heide und Waldgelände des Julius Goldschmidt eine Jugend und Ferienheim, Haus Berta, benannt nach der Mutter des Julius Goldschmidt. Die feierliche Eröffnung fand am 24.8.1934 im Beisein von reichsweiter RjF- und Rabbinats-Prominenz statt. Heimleiter wurde Dr. jur. Willi Stern, 1933 von den Nazis außer Dienst gestellter Amtsgerichtsrat aus Recklinghausen. Madrich für das erste Landsommerhalbjahr 1935 war Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege.

Die geistliche Betreuung übernahm der zuständige Bezirksrabbiner Dr. Selig Auerbach aus Recklinghausen: Edith Möller aus Hamburg war für d zuständig, Ruth Stamm für den Jugendsport und die Gymnastik. Die Beaufsichtigung der vom Ehepaar Leo und Rosa Auerbach geführten streng koscheren Küche war Aufgabe der von dem Hamburger Rabbiner Dr. Carlebach dazu empfohlenen Edith Möller aus Hamburg-Altona.

Vom 10.5.-31.10.1935 fand das bereits an einer Hachschara ausgerichteten erste Landhalbjahr statt; Madrich war Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege.

Als vermutlich bewusste Provokation wurde Haus Berta 1937 während eines wie immer besonders festlich begangenen Freitagabend-Gottesdienst zum jüdischen Schabbat von der Gestapo geschlossen.

Aus dem Lagebericht von 1937 der Staatspolizeidienststelle für den Regierungsbezirk Münster:

„Die polizeiliche Schließung des jüdischen Ferienhauses (…) hat nach dem vorliegenden Bericht des Landrats in Recklinghausen in der Bevölkerung lebhafte Befriedigung ausgelöst.“

Heinz Kahn als Madrich im Haus Berta und Groß Breesen

20.3.35 in das Ferienheim/ Umschichtungslager „Haus Berta“ am Freudenberg bei Alt-Schermbeck in Trägerschaft des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten RjF

Heinz Kahn über die Ausbauarbeiten im Lager:

„Seit Tagen haben wir ausgeschachtet. Karre für Karre die Erde weggefahren. Nun ist es endlich soweit. Heute können wir die erste Wand unseres neuen Schuppens, die Hinterwand aufbauen. Dort liegt die aus wuchtigen Eisenbahnbohlen zurechtgezimmerte Wand. Mit Rollen und Hebeln bewegen wir Zug für Zug die schwere, zehn Meter lange Wand an ihren Platz. Auf der vorderen Seite ziehen Jungen an langen Stricken. Im Gleichtakt schiebt sich die Wand vorwärts. Und zock – und zock – und jetzt – Jetzt gilt es, die flach am Boden vorgeschobene Wand aufzurichten. Notorische Nörgler und Miesmacher erklären von vornherein, daß wir die Wand niemals hochbekämen. Na, wir werden’s ihnen schon zeigen! Alle Mann fassen an, und langsam stemmen wir die Wand hoch. Da … die Wand droht zu rutschen … na, das ging noch gut. Die Kameraden auf der anderen Seite haben die oben an der Wand befestigten Seile gepackt. Die Wand steht.“

10.5.-31.10.1935 erstes Landhalbjahr in Haus Berta; Heinz Kahn (HaKa) Madrich (Gruppenleiter)

17.10.1935 abgemeldet aus Eschwege nach Alt-Schermbeck

11.5.1936 aus Eschwege zur Hachschara nach Gut Groß-Breesen bei Breslau; zusammen mit Ruth Rothschild aus Haus Berta; Groß Breesen war ein Lehrgut für Übersee-Gruppenwanderer. Lagerleiter in Groß Breesen war Curt Bondy (1894–1972).

Dort trifft er die Chawerim Werner „Töpper“Angress (1920-2011), Ernst „Ralchen“ Cramer (1913-2010) und den ebenfalls aus Eschwege stammenden Martin „Micky“ Dörnhau (1920-2013); in Groß-Breesen ist er wieder Madrich und Sprecher des ersten Ausbildungsjahrgangs; die Jungen dieses Jahrgangs nannte man daher ironisch „HaKanesen“.

10.1.1938 aus Groß-Breesen zurück nach Eschwege

17.6.1938 abgemeldet aus Eschwege zur Emigration in die USA

18.-30.6.1938 auf der SS KÖNIGSTEIN von Antwerpen nach New York

Heimatadresse Vater Julius in Eschwege, Cäcilienhof

1938-1942 Aufbau des jüdischen Farm-Projekts, die Hyde Park Farm in Burkeville (Virginia, USA) zusammen mit Werner Angress, Ernst Cramer und Martin Dörnhau. Heinz Kahn hatte auf der Hyde Park Farm die Funktion eines Buchhalters und „Zahlmeisters“.

7.12.1941 Angriff auf Pearl Harbour durch die Japanische Flotte; Auflösung der Hyde Park Farm; Heinz Kahn meldet sich mit Werner Angress und Martin Dörnhau in Richmond, Virginia als „Private“ (einfacher Soldat ohne Dienstgrad) zur US Army;

15.6.1943 Einbürgerung als US Citizen in Madison, Wisconsin; Umbenennung in Henry Cornes

Heinz Kahn soll auch mit der US-Army 1945 in Deutschland gewesen sein.

Ernst Cramer wurde später in der BRD Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlages, Martin Dörnhau evangelischer Pfarrer

Gedenken

21.6.2011 Stolpersteine für die Eltern Julius und Selma Kahn in Eschwege, Niederhoner Straße 54

Quellen

Jochen Schweitzer, Nachforschungen über das Schicksal der Eschweger Familie Julius und Selma Klara Kahn, Eschweger Geschichtsblätter 23, 2012

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20425/Eschweger%20Geschichtsblaetter%2023-2012_31-48.pdf

Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 6174); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947

https://archive.org/details/leogompertzcolle01gomp/page/n59/mode/1up?view=theater

http://www.holstina.de/history/hausberta.html

https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-345341#id20

http://www.dorsten-unterm-hakenkreuz.de/2012/05/28/haus-bertha-am-freudenberg-ein-lichtblick-und-kurzer-hoffnungsstrahl-fur-bedrangte-judische-kinder-aus-dem-reich-den-willen-zum-uberleben-gestarkt/

https://www.schermbeck-grenzenlos.de/index.php/aktuelles/2-uncategorised/17069-auf-den-spuren-der-geschichte-von-haus-berta

Peter W. Lande,  Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History

https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert