Elli Diament
*5.1.1926 in Gelsenkirchen; ✡ 28.3.2002 in Studio City, Kalifornien
Staatsangehörigkeit polnisch, staatenlos, USA
Vater Simon Diament *10.8.1890 in Landshut, Lancut, Galizien; ✡11/1942 Auschwitz
Mutter Keile Amalie Weiss *6.11.1895 in Brzesko; ✡ 11/ 1943 Auschwitz
Geschwister
Saul Diament *3.10.1920; Anführer der Hashomer Hatza’ir in Deutschland; emigriert 1939 nach Palästina; Rabbi; ✡ in Los Angeles
Leo Jehuda Diament *6.12.1921 in Gelsenkirchen; ✡10.10.1944 in Auschwitz gehängt wegen „Widerstand in Auschwitz“ siehe „Nacht“ von Elie Wiesel und Videointerview Fred Diament
Ephraim Fredi Diament * 30.3.1924; ✡13.11.2004 in Los Angeles
Sammi Diament *6.12.1927 in Gelsenkirchen; Westerbork; ✡10.9.1942 Auschwitz
Martin Diament *28.9.1933 in Gelsenkirchen; 27.1.1942 nach Riga; ✡ 11/1943 in Auschwitz

Beruf –
Adressen Gelsenkirchen, Hindenburgstraße 38
Heirat 7.9.1945 in Danzig Berek Ben Kamm *1921 in Warschau;
Töchter zwei
Malka Ruchel Kamm* November1946 in Fulda
Weiterer Lebensweg
28.10.1938 1. Polenaktion, Abschiebung der Brüder Jehuda und Leon nach Sbaszyn
9./10.11.1938 erlebt im Versteck die Zerstörung des Textilgeschäftes Vereinsstr.62 im Novemberpogrom
30.12.1938 Verweis vom Städtischen Realgymnasium
17.5.1939 Familie Diament (Simon, Mali, Saul, Leo, Fred, Elli, Sami, Martin) in Gelsenkirchen bei Minderheiten-Volkszählung
1.9.1939 Ankunft von Saul in Palästina
1.9.1939 Überfall der Wehrmacht auf Polen
9.9.1939 Festnahme der Brüder Fred und Leo und Vater Simon durch Gestapo in der 2. Polenaktion
6 Wochen inhaftiert im Polizeigefängnis Herne
22.11.1939 Brüder Fred und Leo und Vater Simon ins KL Sachsenhausen
10/1942 Verlegung der Brüder Fred und Leo und Vater Simon von Sachsenhausen nach
Auschwitz III, zum Aufbau des Chemiekomplex Buna Monowitz
9.10.1944 Bruder Leo in Auschwitz gehängt wegen „Widerstand in Auschwitz“
17.5.1939 mit den Eltern in bei Minderheiten-Volkszählung
Jan. 1942 Deportationsbefehl der Gestapo
24.-26.1.1942 Verbringung der Juden aus Gelsenkirchen und Recklinghausen in das Sammellager Ausstellungshallen
27. 1.1942 Chronik der Stadt Gelsenkirchen:
„In den städtischen Ausstellungshallen ist ein Judensammeltransport zusammengestellt worden. Es handelt sich um 506 Juden aus dem Präsidialbezirk Recklinghausen, die heute nach den Ostgebieten evakuiert werden. Unter ihnen befinden sich 350 Personen aus Gelsenkirchen. Vorerst verbleiben in unserer Stadt noch 132 meist alte und kränkliche Juden“.

27.1.1942 Transport von Gelsenkirchen über Dortmund nach Riga-Skirotawa mit der Mutter und Bruder Martin
1.2.1942 Ankunft Skirotawa, Fußmarsch ins Ghetto Riga; sie trifft ihre Freundin Lotti Berger aus Duisburg wieder:
„Irgendwie hatte ich, bevor das alles passierte, ein Mädchen aus Duisburg kennen gelernt und wir freundeten uns sehr an. Ihr Name war Lotti Berger. Sie war vielleicht einen Monat oder so vor uns abgefahren, und wir waren nicht sicher, ob sie in Riga war, denn sie brachten die Leute nach Lodz, das sie zu der Zeit Litzmannstadt nannten, und nach ganz verschiedenen Orten, aber wir wurden nach Riga gebracht. Und jetzt sehe ich hier Lotti, diese Freundin, und sie sagte mir sehr schnell – sie musste sehr vorsichtig sein -, sie instruierte mich darüber, was zu tun und was zu unterlassen war: „Geh, spricht mit mir, dreh dich nicht um, tu dies nicht, tu das nicht, ich bin hier soundso, ich habe mich freiwillig gemeldet, um mit den Leuten zu helfen, ihnen zu helfen, zum Ghetto zu gehen, wir gehen in ein Ghetto, fass nichts an, sag nichts, versuche, so unauffällig wie möglich zu sein, und tu, was sie dir sagen…“ Sie instruierte mich wirklich, so dass wir, als ich zum Ghetto kam, wussten, was wir zu erwarten hatten.“
Juli-2. November 1943 schrittweise Auflösung des Ghettos; Einrichtung des Konzentrationslagers Riga-Kaiserwald und verschiedener Betriebslager mit lokaler Kasernierung; Kommandant des KL Kaiserwald Sturmbannführer Albert Sauer


16.7.1943 Elli Diament auf der Frauenappell-Liste zum Antreten auf dem Blechplatz nach Auflösung des bisherigen Arbeitskommandos; die überwiegende Zahl der Außenlager des KL Kaiserwald wurden am 18.8.1943 eingerichtet

Die Freundinnen Ingrid Haase und Gitel Häusler aus Gelsenkirchen ebenfalls auf dieser Appellliste
Außenkasernierung im Armeebekleidungsamt ABA 701 in Mühlgraben
November 1943 Elli Diament im Armeebekleidungsamt ABA 701 in Mühlgraben, Kasernierung
Elli Diament im Videointerview:
„Ich hatte großes Glück: Die meiste Zeit arbeitete ich für die Wehrmacht, und die waren viel mitfühlender als die SS.“
„Einige Leute arbeiteten an einer bestimmten Stelle, als sie noch im Ghetto waren. Man nannte sie das ABA, das war für die Wehrmacht, wo sie Militärkleidung sortierten und für die Front fertig machten und so weiter, das war die wunderbarste Arbeitsstelle. Diese besondere Stelle war in der Lage, zu erreichen, dass die ganze Gruppe, während sie in Kaiserwald war, bei ihnen im Hauptquartier bleiben durfte, wo sie ihnen Bereiche bereitstellten, wo sie essen, schlafen und arbeiten konnten, denn sie dachten, das sei besser und billiger für sie.
Ich hatte Glück, ich hatte einen Freund, einen jungen Mann aus meiner Heimatstadt, der auf gutem Fuß mit einem Mann stand, der auch aus meiner Heimatstadt kam, der Automechaniker war (Bernd Haase !), und die SS brauchte gute Automechaniker und nur eine Handvoll Leute durften auf diese Arbeitsstelle. Man sagte, es wäre die Elitearbeitsstelle, wo die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter noch einigermaßen normal waren.“
Johanna Rosenthal schreibt:
„Das Armeebekleidungsamt, A.B.A oder auch „Mühlgraben“ genannt, war ein gutes Kommando, das erst nach der Auflösung des Ghettos in eine neu errichtete Kasernierung gebracht wurde.“
Die große Selektion bei Auflösung des Ghetto Riga am 3.11.1943
3. 11. 1943 Auflösung des Ghetto Riga; Mutter Mali und Bruder Martin bei der großen Selektion mit 2236 Ghettobewohnern nach Auschwitz deportiert; Elli Diament im Videointerview:
„Der Mann, dessen Aufgabe es war, Arbeitskräfte abzustellen (Hermann Voosen), war jemand, der einmal für meine Eltern in Gelsenkirchen gearbeitet hatte, ich denke, er machte die Buchhaltung. Er versuchte, meine Mutter zu retten, die eine kranke Frau war, versuchte, ihren Namen bei den so genannten Arbeitskräften für außerhalb des Ghettos so lange wie möglich herauszuhalten. Aber es kam die Zeit, da hatte er niemanden mehr verfügbar, er musste Namen abliefern, Leute, die nicht arbeiteten, und Junge. Und so bekamen wir die Mitteilung, dass sie an diesem und jenem Tag am Appellplatz zu stehen hatten, man würde sie, auch meine Mutter und meinen kleinen Bruder, in ein anderes Arbeitslager überstellen. Ich arbeitete ja ständig, mein Name war da nicht. Ich sagte: „Ich gehe mit euch, ich würde euch nicht allein gehen lassen.“ Da stehen wir jetzt also auf dem Appellplatz, meine Mutter, mein kleiner Bruder, und warten darauf, was auch immer geschehen möge, wir sehen da einige Lastwagen. An einer Stelle sagt meine Mutter: „Mensch, wir stehen hier und warten, vielleicht läufst du besser zurück zum Zimmer und versuchst, ein anderes Paar Schuhe zu bekommen.“ Es gab ein Paar bessere Schuhe. Dieses hatte ein schreckliches Loch. „Warum gehst du nicht, sieh zu, dass du hindurch kommst und es bekommst.“
Nun, alle paar Meter war ein SS-Mann mit seinem Gewehr, mit seiner Maschinenpistole, um sicherzustellen, dass keine hindurch käme. Irgendwie, ich war jung, und sie hatten begriffen, dass ich eine von den Arbeitskräften war, sie ließen mich durch. Ich gelangte zurück, und das Zimmer war schon völlig in Unordnung. Irgendwie musste die SS dahingegangen sein und nachgesehen haben, ob sie etwas finden konnten, Schmuck oder Gold oder Geld oder was auch immer. Ich fand die Schuhe, ich ging zurück, ich sah überhaupt keine SS-Leute mehr, und ich kam zurück und sie waren weg… Ich war ganz allein…“
Auflösung des KL Kaiserwald in Riga
Sommer 1944 Auflösung des KL Kaiserwald, Riga
Juli – September 1944 Transporte der Arbeitsfähigen aus Riga per Schiff nach Stutthof
6.8-9.8.1944 1. Großer Transport mit der „Bremerhaven“ von Riga nach Danzig
28.9.-1.10.1944 3155 Häftlinge aus Riga Kaiserwald, 300 von der Lenta auf dem Frachtschiff „Kanonier“ von Riga->Danzig
1.10.1944 Ankunft im KL Stutthof
In Stutthof schwer krank im Krankenrevier mit Fleckfieber („Flecktyphus“) verursacht durch Kleiderläuse; dort freundet sie sich an mit drei Jüdinnen, die aus Auschwitz nach Stutthof kamen
Mit dem Zug von Stutthof in ein Stutthof -Außenarbeitslager bei Danzig ; heute Trojmiasto (Dreistadt: Gdansk, Sopot und Gdynia); in Betracht kommen die Arbeitslager Praust oder Russoschin bei Danzig
Bei Flucht der SS-Wachen vor der herannahenden Roten Armee bleibt sie mit ihren drei Freundinnen versteckt im Lager
Mit ihrem Freund Berek Ben Kamm und drei Freundinnnen wohnen sie in Danzig
7.9.1945 Heirat in Danzig
Bruder Fred findet sie in Danzig
Auf russischem Militärlaster nach Berlin
Schwanger nach Gelsenkirchen, Verlust der Schwangerschaft
Von Gelsenkirchen nach Frankfurt Zeilsheim
Bruder Fred zum Kibbuz Buchenwald auf dem Gehringshof. Elli und Mann Ben folgen ihm:
„Wir schlossen uns dem Kibbuz an, ich wurde wieder schwanger und brachte im Kibbuz ein Kind zur Welt, meine älteste Tochter.“
November 1946 Geburt der ersten Tochter Malka Ruchel in Fulda, Elisabethenklinik

1.3.1947 in Stuttgart-West Augustenstraße 32
18.-29.1.1948 Elly mit Mann Berek und Tochter Malka Ruchel auf dem US-Militärtransporter MARINE FLASHER von Bremen nach New York
1954 Einbürgerung USA vor dem US District Court, Brooklyn, N.Y.
Gedenken
Stolpersteine in Gelsenkirchen–
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420127_Muenster5.jpg
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420127-Gelsenkirchen2.jpg
Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 7540); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85
http://gelsenzentrum.de/fred_diament_erinnerungen.pdf
Elie Wiesel, Nacht, in: Die Nacht zu begraben Elischa; Ullstein 1962
Brief der Johanna Rosenthal in Hässleholm Schweden an Rabbiner Dr. Hermann Schreiber London vom 26.6.1945; Yad Vashem Archives
http://gelsenzentrum.de/uebersetzung_fred_diament.htm
http://gelsenzentrum.de/nachruf_leo_diament.pdf
http://gelsenzentrum.de/Erinnerungen_von_Elli_Kamm.pdf
https://www.gelsenkirchener-geschichten.de/forum/viewtopic.php?t=694
Elaine Woo, Nachruf Fred Diament, Los Angeles Times, 28. 11.2004
U.S. Sterbe-Verzeichnis der Sozialversicherung (SSDI)
Wolfgang Scheffler, Diana Schulle, Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten Juden 2011
Christin Sandow (Hrsg.), Käthe Fries, Schießen Sie mich nieder, Lukas Verlag 2017
Gertrude Schneider, Reise in den Tod, Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Laumann-Verlag, 2008
Gertrude Schneider, Exile and Destruction, The Fate of the Austrian Jews 1938-1945; Praeger 1995
Hilde Sherman: Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto, Frankfurt/M.-Berlin-Wien, 1984
Anita Kugler, Scherwitz – Der Jüdische SS-Offizier, 2017