Levy Lion Möllerich später Aryeh Jehuda
*9.9.1918 in Zierenberg; ✡ 20.6.2001 in Raanana
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Moritz Möllerich *23.8.1886 in Niederelsungen; ✡2.5.1945 in Neustadt /Kiel
Heirat der Eltern 11.11.1915 in Zierenberg
Mutter Rosa Katz *9.7.1885 in Zierenberg; ✡ 27.7.1944 in Riga
Tante Martha Möllerich geb. Plaut *28.10.1909 in Witten; oo Willi M.; Sobibor
Geschwister
Kurt Möllerich *8.12.1919 in Zierenberg; Stutthof; April 1945 in Flensburg
Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant
Adressen Zierenberg; Kassel, Grüner Weg 24; Neuendorf; zuletzt Kassel, Wilhelmshoher Allee 81
Heirat Ita Miller
Kinder neun
Weiterer Lebensweg
10.11.1938 Levy Möllerich verhaftet mit dem Vater und Bruder Kurt im Novemberpogrom, 16.11.1938 „Schutzhaft“ in Dachau
23.12.1938 Entlassung des Vaters aus Dachau mit der Auflage, Deutschland zu verlassen
6. 2.1939 Entlassung der Brüder aus dem KL Dachau
27.3.-30.9.1939 beide Brüder gemeldet in Kassel Grüner Weg 24
17.5.1939 mit den Eltern und Bruder Kurt in Kassel, Grüner Weg 24 bei Minderheiten-Volkszählung
3.10.1939 beide Eltern in Kassel gemeldet
Die Chewra NOAR AGUDATI ISRAEL in Neuendorf
Juni 1938 Gründung einer Chewra (Gruppe) des „Noar Agudati Israel“ im Landwerk Neuendorf, Jugendorganisation des orthodox-religiösen Verbandes „Agudas Jisroel“ (Gründung 28.5.1912 in Kattowitz). Erklärtes Ziel der Gruppe war, dass jeder Chaluzim über zwei Jahre „an der praktischen und theoretischen Ausbildung in allen Zweigen der Landwirtschaft voll teilnimmt und von einem orthodoxen Jugendführer geistig betreut wird“.
Im Landwerk Neuendorf gab es drei Fraktionen, die orthodox-religiöse, die zionistisch-sozialistische und eine neutrale.
1.10.1939 Levy Möllerich zur Hachschara ins Landwerk Neuendorf
6.10.1939 Bruder Kurt abgemeldet in Kassel, ebenfalls ins Landwerk Neuendorf
Im April 1940 zählte die Chewra Noar Agudati Israel 33 Mitglieder.
Madrich der Chewra war Josef „Jossel“ Schwarz aus Nürnberg.
11.4.1940 Tod der Mutter von Noar Agudati -Madrich Josef Schwarz
Text in Iwrith: Der Ewige werde Dich im Kreise der anderen Trauernden Jerusalems trösten
1.12.1940 Rückkehr von Levy und Bruder Kurt nach Kassel zu den Eltern
Deportation von Kassel ins Ghetto Riga
18.11.1941 „Besprechung über die Judenevakuierung“ im Sitzungssaal des Oberpräsidiums Kassel
20. 11.1941 Vermögenserklärung zugeschickt, bis zum 25. 11 ausgefüllt bei der Gestapo vorzulegen
6.12.1941 Verhaftungen, Verbringung in die Turnhalle, Schillerstraße mit den Eltern, Bruder Kurt und weiteren Verwandten
9.12.1941 1012 Juden in einer großen Marschkolonne zum Hauptbahnhof Kassel
9.12.41 Nachmittags Abfahrt des Zugs DA36 vom HBF Kassel von Gleis 13 über Berlin, Breslau, Posen, Königsberg, Tilsit nach nach Riga- Skirotawa
12.12.1941 Ankunft Rangierbahnhof Skirotawa, Fußmarsch ins Ghetto Riga bei 40° Kälte
Der Aufbau des Lagers Salaspils
Auf dem Weg ins Ghetto werden Levy und Kurt wie alle 17-45-jährigen Männer aus der Marschkolonne herausgenommen und zu Fuß nach Salaspils geschickt.
Rabbiner Arie Jehuda Möllerich berichtet von Salaspils:
„Allein die Erwähnung des Namens des Lagers Salaspils ruft Entsetzen und Zittern in meinem Herzen hervor. Es gibt keinen besseren Namen für dieses Lager als ,Hölle auf Erden‘. Es fällt mir schwer, die Schrecken in Salaspils auf das Papier zu bringen, aber ich habe keine bessere Möglichkeit darüber zu berichten. Ich fühle mich verpfl ichtet, meine Erinnerungen und was ich selbst erlebt habe, aufzuschreiben. Nicht viele Juden haben dieses schreckliche Lager überlebt. Unsere seelische Pein ist größer als unser physischer Schmerz.“
Rückblickend berichtete Siegfried Kaufmann:
„Auf dem Marsch ins Getto wurden wir Arbeitsfähigen ausgesucht, so dass wir das Getto gar nicht betreten haben. Unser Kommando war ca. 80 – 90 Mann stark.“
„Die jungen Männer bis 35 Jahre mussten zur Seite treten und kamen geschlossen nach Salaspils.“
„Das Arbeitslager Salaspils war z.Zt. als ich ankam nur zwei Baracken groß und da schon vor dem Transporte aus Köln und Düsseldorf dort angekommen waren, blieb uns eine Unterkunft versagt. Erst im Laufe der Zeit wurden weitere Baracken erstellt.“
Siegfried Kaufmann, Leiter des Lagerordnungsdienst in Salaspils, muss Befehle von Lagerkommandant Nickel ausführen; anwesend bei den Exekutionen der jüdischen Mithäftlinge (Zeugenaussagen Hirsch und Rosengarten)
Juli 1942 die wenigen Salaspils-Überlebenden werden zurückverlegt von Salaspils ins Ghetto Riga
Juli-2. November 1943 schrittweise Auflösung des Ghettos, Einrichtung des Konzentrationslagers Riga-Kaiserwald und verschiedener Betriebslager mit lokaler Kasernierung
6. November 1943 Aufnahme KL Kaiserwald, Riga, Kasernierung im Außenlager
Sommer 1944 Auflösung des KL Kaiserwald, Riga und seiner Außenlager
27.7.1944 finale Selektionen in Riga vor den Transporten nach Stutthof; Alle Personen unter 15 und über 50 Jahren werden selektiert im Wald von Bikernieki erschossen („Krebsbach-Aktion“). Mutter Rosa wird ermordet.
Juli – September 1944 Transporte der Arbeitsfähigen aus Riga per Schiff nach Stutthof
6. – 8.8.1944 1. Großer Transport mit 6382 Juden auf der „Bremerhaven“ von Riga nach Danzig
9.8.1944 Ankunft in Stutthof; Bruder Kurt kommt erst am 23.8. nach Stutthof
13.8.1944 Deportation mit dem Zug aus Stutthof nach Buchenwald
16.8.1944 Ankunft mit 1350 Männern aus Stutthof in Buchenwald
4 Wochen im Quarantänelager im KL Buchenwald, Unterbringung in Wehrmachtspferdeställen und Zelten im „Kleinen Lager“; Häftlingsnummer in Buchenwald: 82560
8.9.1944 Verlegung ins Buchenwald Außenlager Tröglitz, BRABAG Werke, Tarnname „Wille“ nach dem Lagerleiter; zur Wiederherstellung der durch Bombenangriff zerstörten Anlage zur Herstellung von synthetischen Benzins
April 1945 schwerer Bombenangriff und Zerstörung der BRABAG (Braunkohle-Benzin AG)
April 1945 Transport mit dem Zug in Richtung Leitmeritz / Theresienstadt, Ziel: KL Dachau
In Reitzenhain, Grenzort zu Tschechien, neunzig Kilometer vor Theresienstadt, endete die Zugfahrt aufgrund eines Angriffs der amerikanischen Luftwaffe.
Dort erschossen Angehörige der SS und Einwohner vor Ort etwa 380 Häftlinge, nachdem diese versucht hatten zu fliehen.
Einigen Jugendlichen gelang es, in einen anderen, auf einem Nebengleis stehenden Zug Richtung Theresienstadt zu wechseln, u.a. Rolf Abrahamsohn und Rolf Aron aus Recklinghausen
8.5.1945 in Theresienstadt befreit durch die „Rote Armee“
20.8.1945 wieder in Kassel, Holländische Straße 147
30.6.2001 in Raanana
Die Tragödie in der Lübecker Bucht, der Judenmord von Neustadt
21.-26.4.1945 10 000 Häftlinge aus dem KL Neuengamme von SS-Wachen nach Lübeck gebracht, dort auf das manövrierunfähige Kreuzfahrtschiff „Cap Arcona“ und die Frachter „Thielbeck“, „Athen“ und „Elmenhorst“ im Vorwerker Hafen.
April 1945 wurden auch aus Außenlagern des KL Stutthof Häftlinge mit Lastkähnen in die Lübecker Bucht verbracht, so auch Moritz und Kurt Möllerich; der Kapitän der ARCONA verweigerte die Übernahme auf das schon überfüllte Schiff; die Lastkähne trieben herrenlos ohne Antrieb an den Strand bei Neustadt. Die Häftlinge, versuchten vom Strand aus, sich Nahrungsmittel zu besorgen
3.5.1945 am frühen Morgen trieben Neustädter Bürger, Angehörige der Kriegsmarine, einer Versehrteneinheit und des Volkssturms in einer sogenannten „Sammelaktion“ die Menschen zusammen und erschossen mindestens 208 Häftlinge aus dem KL Stutthof
3.5. 1945 Britischer Fliegerangriff in der Lübecker Bucht bei Neustadt auf die „Cap Arcona“ und die „Thielbeck“, die nach Treffern Feuer fangen und sinken; über 7000 Häftlinge ertrinken. Tragisch: eine entsprechende Meldung des IRC war nicht weitergeleitet worden und erreichte die Piloten nicht.
Tod des Vaters am 2.5.1945 in Neustadt
Tod des Bruders in Flensburg
Gedenken
Der Weg entlang des Ehrenfriedhofs „Cap Arcona“ erhielt den Namen Stutthof-Weg
Grabstein für Arijeh auf dem Har Menuchot Cemetery Givat Shaul, Jerusalem
Quellen
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/6650980
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5065650
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de931737
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de931730
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de931734
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de931732
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411209-14.jpg
Rabbiner Arie Jehuda Möllerich, Ner Hawdala („Die Hawdala-Kerze“), Ra’anana
1999, S. 57. Übersetzung aus dem Hebräischen von Deborah Tal-Rüttge
BILDER & DOKUMENTE – הכשרות החלוץ בגרמניה – דור המשך (hachshara-dor-hemshech.com)
Harald Lordick, Das Landwerk Neuendorf: Berufsumschichtung – Hachschara – Zwangsarbeit; in Pilarczyk, Ulrike (Hrsg) Hachschara und Jugendalija, Schulmuseum Steinhorst, 2019
Lore Shelley (Editor), The Union Kommando in Auschwitz, Lanham, New York, London, 1996
Wiehn Erhard (Hrsg) Wer hätte das geglaubt, 2010, Hartung Gorre Verlag
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de
https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=FL4311316
Staatsarchiv Israel, Einwanderungslisten
Harald Lordick, Landwerk Neuendorf in Brandenburg, in: Kalonymos, 2017, Heft 2
Esther Bejarano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989
Esther Bejarano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013
Anneliese Ora-Borinski, Erinnerungen 1940 – 1943, Kwuzat Maayan-Zwi, Israel 1970
Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386
Video-Interview mit Issy Philipp 1994
Naftali-Rosenthal-Ron, Aufblitzende Erinnerungen, Autobiografie; deutsche Übersetzung von Alice Meroz, Berlin 2015
Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883
Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013