Nassau Gerhard

Gerhard Gerardo Nassau

*1.11.1917 in Hildesheim; ✡ 1997 in Haifa

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Erich Nassau *25.7.1888 in Reichenbach; ✡24.2.1974 in Haifa

Mutter Toni Stern *2.11.1886 in Bolzum bei Hildesheim; ✡ 24.9.1980 in Haifa

Geschwister

Gertrud Nassau *1.11.1917 in Hildesheim; 3.12.1914 in Wotton U-Edge; oo Harry Sacker (1912-2003)

Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant;

Adressen Hildesheim; Neuendorf; Berlin; Argentinien; Haifa

Heirat  –

Kinder –

Weiterer Lebensweg

1.11.1917 Geburt der Zwillinge Gerhard und Gertrud in Hildesheim

1919 Umzug nach Berlin

1919-1926 Vater Dr. med. Erich Nassau erst Assistenzarzt, dann Oberarzt am Waisenhaus und Kinderasyl der Stadt Berlin.

1926-1933 Direktor des städtischen Kindererholungsheims Borgsdorf bei Berlin und der Heilstätte für rachitische Kinder der Stadt Berlin, Bezirk Friedrichshain

1930 Mit Stefan Engels Begründer des Journals „Kinderärztliche Praxis“

1933 Entlassung des Vaters aus dem öffentlichen Dienst; Privatpraxis in Berlin; Mitarbeit in der Kinder-Ambulanz des Jüdischen Krankenhauses

1936 Gerhard Nassau zur Hachschara ins Landwerk Neuendorf

Im Zentrum Erna und Alex Moch (mit Krawatte) 1936/37 in Neuendorf
Ernst Stiel hinten an der Hausecke
Hans Mendel ganz rechts
Städtisches Museum Lemgo/Gedenkstätte Frenkel-Haus, Nachlass Kurt Gumpel (unten rechts)

1936 Emigration von Schwester Gertrud nach England

13.1.1938 erste Einreise des Vater als Tourist in Palästina

10.11.1938 Verhaftung des Vaters im Novemberpogrom, ebenfalls im KL Sachsenhausen

24.11.1938 Entlassung des Vaters aus dem KL Sachsenhausen; mit der Verpflichtung bald auszureisen und nach der Annahme eines bereits vorher erfolgten Angebots als Leiter der Kinderabteilung des Central Hospitals der Krankenkasse Kupat Cholim in Afula wurde er entlassen und emigrierte über Italien

8.12.1938 Emigration der Eltern nach Palästina, Einreise in Haifa mit Kapitalistenzertifikat A (1) Seitdem ist er Leiter der Kinderabteilung des Afula-Krankenhauses. Seit 1956 ist er Professor für Pädiatrie an der Hebräischen Universität. Schrieb ein Buch und Essays über Kindermedizin

Novemberpogrom in Neuendorf

9./10.11.1938 Lehrgut Neuendorf im von den Nazis inszenierten Novemberpogrom  von SA überfallen; Mitarbeiter wie der Madrich Max Joseph und alle Chaluzim über 20 Jahre verhaftet und in das KL Sachsenhausen in Oranienburg verschleppt; „Schutzhaft“ in Sachsenhausen ; die jüngeren wie  Günter Riese, Kurt Gumpel sowie die Frauen und Mädchen (u.a. Eva Oppenheim) bleiben verängstigt zurück; das Lager wird fünf Tage lang von Wachen abgeriegelt.

Etwa 40 männliche Bewohner – Ausbilder, Angestellte, Chaluzim – verhaftet; davon waren gut 20 Chaluzim; Gerhard Nassau berichtet:

„Der erste Teil unserer Fahrt war nicht sehr lang. Wir hielten am Rathaus der nächsten Stadt (Frankfurt/Oder), um weitere Gefangene aufzunehmen. Wir standen fast eine Stunde vor dem Rathaus. Die Leute versammelten sich um uns, beschimpften uns, lachten und starrten diese seltsamen Ausgestoßenen der deutschen Gesellschaft an.“

Im Bus geht es mit den Verhafteten aus dem Kreis Lebus in das KL Sachsenhausen;

Gerhard Nassau bekommt bei der Registrierung die Häftlingsnummer 12268; es folgen Kleiderwechsel im Block B und Rasur. Nach einem langem Appell kommt er mit weiteren aus dem Frankfurt-Transport in Block 40 im „Kleinen Lager“; abends kann er sich mit seinem Vater treffen, der bereits fünf Tage länger dort ist.

24.11.1938 Entlassung des Vaters aus dem KL Sachsenhausen

Gerhard Nassau zur Zwangsarbeit in die Ziegelei „Klinkerwerke“, im Lagerjargon „das Karusell“; er berichtet:

„Das Karussell bestand aus einer Kette von Männern, die ihre Mäntel verkehrt herum, die Rückseite nach vorn herum, anziehen und auf dem Rücken zuknöpfen mussten. Dadurch bildete der Mantel vorne eine Art Sack. In diesen Sack füllten wir etwa fünf Pfund, sagen wir eine Schaufel voll Sand. Diesen mussten wir mit Volldampf zu einem etwa 100 Meter entfernten Ort tragen. Sobald unser Mantel leer war, mussten wir zurückrennen, um unsere Mäntel wieder aufzufüllen, und wieder losrennen. Und so weiter und so fort.“

Alle hatten ständig Hunger:

„Das Essen war die wichtigste Frage überhaupt. Fast jeden Tag gab es dieselbe Suppe aus Gerste oder zur Abwechslung auch Gerstensuppe. Manchmal war Gemüse darin, manchmal sogar Kartoffeln. Einmal pro Woche gab es Fleisch. Im zivilen Leben kann man es man es vielleicht nicht bekommen. Es war getrocknetes Walfleisch.“

13.12.1938 Entlassung von Gerhard Nassau aus dem KL Sachsenhausen, nachdem während des Morgenappells seine Nummer aufgerufen worden war.

Die Neuendorfer in Tythrop House

Alex und Erna Moch entkommen nach London; Moch beschafft 150 britische Visa; mit diesen Einwanderungsgenehmigungen erreicht er beim Kommandanten von Sachsenhausen die Freilassung in Sachsenhausen internierten Chaluzim mit der Auflage, Deutschland unmittelbar zu verlassen.

29.12.1938 Entlassung der Neuendorfer-Gruppe (Frankfurt/Oder) aus dem KL Sachsenhausen

Moch begleitet die Chaluzim nach England. Zusammen mit Leonore Goldschmidt gründete er das Farm Institute, Tythrop House in Oxfordshire für etwa 200 jüdische Chaluzim, davon etwa 100 aus Neuendorf.

Tythrop House Agricultural Training war nur als Zwischenlösung eingerichtet, da das eigentlich lange geplante Hachschara Projekt, das Farm-Siedlungsprojekt von Alvin Johnson in North Carolina, sich verzögerte. Johnson war Direktor der New School for Social Research, eine Universität, New York City.

Flucht nach Argentinien

Februar 1939 Emigration von Gerhard Nassau nach Argentinien; sein Vater hatte für ihn über einen befreundeten Arzt die Flucht organisiert.

1939 in La Cumbre, Cordoba, Argentinien, er nennt sich nun Gerardo

29.9.1939 Schwester Gertrud bei britischem Census im Essex County Hospital, Lexden Road, Colchester als Pflegeschülerin

September 1941 Bericht von Gerardo Nassau über die Haft im KL Sachsenhausen „An Excursion into the Country of Numbers, 14.11.1938 – 13.12.1938”
Nachkriegszeit

VaterErich seit 1939 Leiter der Kinderabteilung des Afula-Krankenhauses.

1956 Ernennung zum Professor für Pädiatrie an der Hebräischen Universität. Renommierter Pädiater

1949 Gerardo Nassau nach Israel

1997 Tod von Gerardo Nassau in Haifa

Gedenken

Quellen

Veränderungsmeldungen des KL Sachsenhausen 1.7-31.12.1938; Arolsen Archives

Inhaftierungsdokumente des KL Sachsenhausen 30.11.1938 -18.1.1939; Arolsen Archives

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/4093989

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/4093934

https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Nassau

https://yvng.yadvashem.org/ad

Harald Lordick, Das Landwerk Neuendorf: Berufsumschichtung – Hachschara – Zwangsarbeit; in Pilarczyk, Ulrike (Hrsg) Hachschara und Jugendalija, Schulmuseum Steinhorst, 2019

https://www.mappingthelives.org

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Nassau

1939 Register von England und Wales

https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=FL4311316

Staatsarchiv Israel, Einwanderungslisten

Harald Lordick, Landwerk Neuendorf in Brandenburg, in: Kalonymos, 2017, Heft 2

„An Excursion into the Country of Numbers, 14.11.1938 – 13.12.1938”
by Gerardo Nassau, Córdoba, Argentina, September 1941

https://www.kinderaerztliche-praxis.de/a/verfolgten-einen-namen-geben-erich-nassau-mitbegruender-der-kinderaerztlichen-praxis-2524695

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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