Alfred Wertheim
* 8.10.1904 in Osnabrück; ✡
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Simon Wertheim; ✡1925 in Münster
Mutter Röschen Stein *19.12.1877 in Neustadtgödens; ✡ in
Onkel Gustav Stein
Geschwister
Edith Wertheim *1902; oo1927 Viktor Herzfeld; geschieden 1930
Paul Wertheim *22.11.1913 in Osnabrück
Beruf Amateurfotograf
Adressen Osnabrück
Heirat 1940: geschieden
Kinder
Die Hachschara Bewegung
In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.
Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.
Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).
So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.
Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.
Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.
Hof Stern in Westerbeck
Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932 bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine landwirtschaftliche Ausbildung für die mittlere und die reguläre Hachschara(>17 Jahre) anbot.
Januar 1934 Beginn der Hachschara; die ersten Chawerim heißen Henry Cohen (Altkarbe), Edgar Adamski (Leipzig) und Markus Lichter (Chemnitz)
1934-1938 arbeiteten und lernten hier 97 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) 31 Mädchen und 66 Jungen, im Mittel 19 Jahre alt. Manche blieben nur wenige Tage, andere bis zu eineinhalb Jahren zwei allerdings sogar zweieinhalb Jahre
1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet
Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, 18.2.1938 18 Personen abgemeldet aus Westerbeck. Dieser Exodus markiert wohl das Ende der strukturierten Hachschara-Ausbildung.
März -August 1938 nur noch fünf Chaluzim auf dem Hof gemeldet.
Die Leitung des Hofes lag zuletzt (Mai-November 1938) bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.
9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern. Sie wurden ebenso wie der Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Nur Rudi Frank kann durch Flucht ins Ausland entkommen.
3.12.1938 Zwangsverkauf des Hofes an den Landwirt Heinrich Pöppelwerth aus Haustenbeck/Lippe
Weiterer Lebensweg
Eltern Inhaber des Kaufhaus S. Wertheim, Osnabrück, Große Straße 80/81
1925 Tod des Vaters in Münster
1919 in Osnabrück das einzige Mitglied der jüdischen Wanderbundes „Blau-Weiß“, später tritt er der Zionistischen Jugendbewegung Habonim bei. Früh in der Haschara-/Alija-Bewegung aktiv
1925 Eintritt in den Jungjüdischen Wanderbund (JJWB)
Jugendführer der Brit Haolim.
1925 Tod des Vaters
1925 Übernahme des Kaufhauses durch Alfred, die Mutter und Onkel Gustav Stein
Besuch der Handelsschule, um sich als Kaufmann zu qualifizieren
1928 erste Reise nach Palästina
27.5.1928 Einreise Haifa von Alfred Wertheim auf der SS CHAMPOLLION
30.1.1933 Passausstellung in Osnabrück
1933 gründete er mit Greta Falk eine Jugendgruppe, dessen erstes Treffen bereits von der Gestapo unterwandert wurde. Auch Kurt Flatauer wurde Mitglied
1933 zweite Palästina-Reise; Besuch der Freunde im Kibbuz Givat Brenner.
1933/34 Bruder Paul Wertheim zur Landwirt-Ausbildung in Metz; später nach Heurenberg, NL; Alija Palästina
1935 Verkauf, „Arisierung“ des Kaufhauses S. Wertheim
5.7.1937 Ankunft von Alfred in Haifa auf der SS PALÄSTINA mit „Kapitalisten-Zertifikat“ Kategorie A
Wertheim im Kibbuz Givat Brenner verantwortlich für den Weinanbau, nebenberuflich Kibbuzfotograf
1937 Mutter Röschen von Osnabrück nach Hamburg zur Tochter Edith Herzfeld, Grindelallee 7
4.-13.5.1938 Schwester Edith Herzfeld mit ihren Kindern Fritz und Margaret auf der SS MANHATTAN nach New York; Heimatadresse Mutter Rose in Hamburg
1938 Umzug der Mutter zur Untermiete bei Familie Hirsch in Hamburg, Grindelallee 134
Dezember 1938 Enteignung des Wohnhauses Martinistraße 28
1940 Scheidung, seine Frau mit der gemeinsamen Tochter emigriert mit ihrer Familie in die USA.
14.5.1940 Einbürgerung von Alfred Wertheim in Palästina
6.12.1941 Deportation der Mutter von Hamburg nach Riga
9.12.1941 Ankunft in Riga Skirotawa, Fußmarsch ins Außenlager Jungfernhof
1942 Tod der Mutter Röschen in Riga, vermutlich bei der „Dünamünde-Aktion“ im Jungfernhof
Gedenken
19.10.2010 Stolperstein für die Mutter Röschen in Osnabrück, Martinistraße 28
Stolperstein für die Mutter Röschen in Hamburg, Grindelallee 134
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947
https://www.stolpersteine-hamburg.de/?MAIN_ID=7&BIO_ID=1422
Ulrike Mietzner, Alfred Wertheim: Fotografische Positionen eines jüdischen Jugendbewegten aus Osnabrück; Böhlau 2014
Peter W. Lande, Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History
Gisbert Strotdrees, Kibbuz Westerbeck (Hof Stern), in: Hachschara als Erinnerungsort, 12.12.2022.
https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/4.pdf
https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/
https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/geschichte-kibbuz-westerkappeln-100.html
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de990751
https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt
Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946