Menschenfreund Berta Beile, geb. Birnbaum Bochumer Str. 137
*27.12.1892 in Rozniatow, Galizien, + 31.3.1942 durch Gas Tötungsanstalt Bernburg
Staatsangehörigkeit polnisch
Vater Eliyohu Birnbaum
Mutter Hinda Frisch
Geschwister
Chana Birnbaum * 1885 in Rozniatow, + 2.6.1937 in Dortmund; oo Israel Friedler
Charlotte Lotte Scheindel Birnbaum *18.12.1893 in Rozniatow oo Max Spiegel
Josef Jupp Birnbaum * 1899 in Rozniatow + 13. 5. 1962 Schenectady New York
Heirat 10.2.1920 Oberhausen Julius Menschenfreund *11.9.1988 Brody, + 1942 Riga
Kinder
Mia Menschenfreund *3.12.1920, + 1.10.1944 KL Stutthof
Dagobert Menschenfreund *8.6.1926 in Recklinghausen + 29.5.2013 in Culver City Kalifornien
Beruf
Kauffrau, Manufakturwaren
Adressen
Ab 1920 Bochumer Straße 167 später nach Kauf Nr.137, Recklinghausen
Weitere Lebensdaten
28.10. 1938 Polenaktion; Abschiebung mit den Kindern nach Zbaszyn
Zeitzeugenbericht „von Nachbarn im Schrank versteckt“ bezieht sich vermutlich auf den 28.10.1938 Polenaktion; Ehemann Julius seitdem flüchtig, verschollen
Da sich die Männer versteckt hielten, wurden die Frauen und Kinder inhaftiert, um die sich versteckenden Männer zu zwingen, sich der Polizei zu stellen.
Nicht etwa bei „Nacht und Nebel“, sondern am helllichten Markttag wurden die verhafteten
galizischen Juden über den belebten Neumarkt getrieben, denn der Öffentlichkeit sollte es
schließlich nicht verborgen bleiben. Frau Sch., die über der [im Herbst 1938 fertiggestellten]
Polizeiwache am Neumarkt, Ecke Weißenburgstraße wohnte, beobachtete, wie man unter
anderen auch Frau Menschenfreund, bei der sie immer eingekauft hatte, brutal vor sich
hertrieb und diese vor lauter Angst kaum laufen konnte und sich immer wieder übergeben
musste. Frau Sch. schrie aus dem aufgerissenen Fenster im ersten Stock zur Vorderseite des
Hauses hinaus: „Lasst doch die Frau Menschenfreund in Ruhe! Sie hat euch doch nichts
getan!“ Die Verhafteten wurden auf die Polizeiwache gebracht und dort im Keller, hinter
eisernen Luftschutz-Türen, wo sich die den Gefängniszellen der Süder Polizeiwache
befanden, eingesperrt.
Auch erinnerten sich die Kinder des Hauseigentümers Sch. daran, dass Gefangene in den
Gefängniszellen nach ihrer Verhaftung vor lauter Angst lange und laut um Hilfe geschrien
hatten. Daraufhin wurden sie vom Garten aus durch das Zellenfenster von einem
uniformierten Nazi [SA oder SS] mit gezogener Waffe bedroht. Frau Sch. informierte ihren
Ehemann, den Hausbesitzer und selbst Polizist, der im Polizeipräsidium in Recklinghausen
tätig war. Herr Sch. eilte daraufhin in seinen Garten und zwang den Mann, die Waffe wieder
einzustecken mit den Worten: „Auf meinem Grund und Boden wird nicht auf Menschen
geschossen!“
9. 11.1938 Zerstörung des Geschäftes;
24.11.1938 Abschiebung nach Bentschen (Zbaszyn), Datum im Hausbuch gefälscht !
10.12.1938 Manufakturgeschäft „von Amts wegen abgewickelt“
12.4.1939 Rückkehr mit beiden Kindern, zur „Abwicklung des Geschäftes und Hausverkaufs“
12.4.1939 Berta, Mia und Dagobert Menschenfreund Anmeldung
18. 8.1939 verhaftet wegen angeblicher „Devisenvergehen“ in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen
18.8.1939 Berta Abmeldung;
18.8. -25.9.1939 Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Recklinghausen
1.9.1939 Muss Ladenlokal und Teil der Wohnung 1.Etage an einen Pg (Parteigenossen) vermieten
25. 9.1939 verlegt Gerichtsgefängnis Meseritz bis Januar 1940
18.10.1939 verhaftet wegen „Devisenvergehen“, ins Gerichtsgefängnis Recklinghausen
25. 9.1939 ins Gerichtsgefängnis Meseritz eingeliefert
30.1.1940 Berta wieder Bochumer Str.137 angemeldet
11.4.1940: Zugezogen am Pg. Wilhelm Krumme, Frau Auguste geb. Borg, Kinder Brunhilde, Willi
NSDAP Pg. Wilhelm Krumme übernimmt das Geschäftslokal und die Hälfte der Wohnetage
30.11.1940 (nachträglich Datum gefälscht!) Abmeldung nach Unbekannt
2.12.1940 Brief NSDAP Ortsgruppenleiter Hingst Recklinghausen-Süd an den OB Irrgang
Es folgt die Verhaftung, interniert im Frauen KL Ravensbrück
24.5.1941 Anweisung der Stapo Leitstelle Münster (Dokument!)
„Familie Menschenfreund muß ausziehen. Der Mann ist im Ausland, die Frau im Konzentrationslager.
Es ist dort nur eine 20-jährige Tochter.
Handschriftl: 1 Sohn 14 jähr. Vorübergehend abwesend“
(Sohn Dagobert war zu diesem Zeitpunkt im Hachschara-Lager Gut Winkel)
20.10.1941 Liste des RVJD Bewohner Ghettohäuser
„(Mia)Menschenfreund, ledig, 1 Bruder und Mutter zZ abwesend“
In Ravensbrück „Begutachtet“ im Rahmen der Euthanasie Aktion 14f13:
Zwischen 25.11. und 5.12.1941 durch Dr. Fritz Mennecke. Sie galt als Kriminelle, da vorbestraft.
:
28. März 1942 in die Tötungsanstalt Bernburg a.d. Saale
31.3.1942 dort mit Gas ermordet
März/April 1942 wurden ca. 1.600 selektierte Frauen aus dem KZ Ravensbrück in Bernburg mit Gas ermordet.
Dr. Fritz Mennecke wurde im „Nürnberger Prozess“ zum Tod verurteilt.
1960 Postkarte Bochumerstraße Nr.137, Haus u. Geschäft Krumme, ehemals Menschenfreund, rechts
Gedenken
1981 schreibt ihre überlebende Cousine Cilly Ziering aus Kassel zehn Pages of Testimony für ihre Geschwister aus Rozniatow und die Familie ihrer Cousine Bertha Beile Menschenfreund aus Recklinghausen
14.6.2022 Uraufführung der Bochumer Fassung des Liedes „Seht her“ durch das Zeitgeist-Ensemble mit Erinnerungen an Bertha Menschenfreund
Stolperstein Bochumer Str. 137 Recklinghausen
Quellen
Karteikarten von Gefangenen des Gerichtsgefängnisses Recklinghausen, 6.10.32 – 31.1.1956 ITS Arolsen 1.2.2.9
https://www.recklinghausen.de/Inhalte/Startseite/Ruhrfestspiele_Kultur/Gedenkbuch/_Opferbuch_selfdb.asp?form=detail&db=545&id=428
Georg Möllers / Jürgen Pohl: Abgemeldet nach „unbekannt“ 1942, Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen nach Riga, hrsg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Recklinghausen, Klartext Verlag, Essen 2013.
Georg Möllers, Biografie Familie Menschenfreund Opferbuch Recklinghausen. pdf
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de929968
Möllers/Mannel, Zwischen Integration und Verfolgung. Die Juden in Recklinghausen. Eine Sammlung ausgewählter Dokumente, Recklinghausen 1988, Dok. 55
Werner Schneider, Jüdische Einwohner Recklinghausens 1816-1945, in: 750 Jahre Stadt Recklinghausen. 1236-1986, hrsg. von Werner Burghardt, Recklinghausen 1986, S.225-252.
Stadtarchiv (Sta Re III Jüdische Gewerbebetriebe um 1938; Sta Re III 6520 Jüdische Einwohner im 3. Reich; Sta Re III 4407 Jüdische Kinder; Sta Re III 4425 Juden aus Polen).
Jüdische Einwohner Recklinghausens, Sta Re III 6520
Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslager Ravensbrück; Metropol Verlag 2005
ITS Arolsen, Arolsen Archives Documents
https://collections.arolsen-archives.org/archive/12161997/?p=1&s=Menschenfreund&doc_id=12161997
U.S. Behördendaten Verzeichnis
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Georg Möllers, Pogrom in Recklinghausen 1938, 2001
Persönliche Mitteilung Dr. Ute Hoffmann, Leiterin der Gedenkstätte Bernburg vom 13.3.2020
Persönliche Mitteilung Monika Schnell, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück vom 29.5.2020
http://nuremberg.law.harvard.edu/documents/4192-certificate-of-authenticity-list?q=*#p.1, https://nuremberg.law.harvard.edu/proxy_image/HLSL_NUR_04192026.jpg.