Margot Leiter geb. Wechselmann
*24.2.1921 in Breslau; ✡ 24.7.2003 in Mannheim
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Bruno Bernhard Wechselmann *9.6.1892 in Gleiwitz; ✡29.3.1943 in Auschwitz
Mutter Paula Less *18.8.1898 in Posen ✡ in 1943 in Auschwitz
Geschwister
Kurt David Wechselmann *1.4.1924 in Breslau
Rita Wechselmann *16.6.1930 in Breslau; ✡ 1943 in Auschwitz
Beruf –
Adressen Breslau Antonienstraße 36/8; Bielefeld; Israel; Mannheim
Heirat
1. Ehe 27.2.1942 in Breslau Leo Leiter *30.8.1917 in Binswangen; Überlebender; ✡ 26.9.1946 in Bielefeld
2. Ehe Oskar Althausen *26.9.1919 in Lampertsheim; ✡16.11.2001 in Mannheim
Kind
Rita Althausen *1954
Oliver Althausen *1963
Weiterer Lebensweg
1935-1938 kaufmännische Lehre im Kaufhaus Peiser in Breslau; Abschluss wird verweigert
Zur Hachschara aus Breslau in das Umschulungslager Kersdorf, Krs. Lebus
17.5.1939 Schwester Rita mit beiden Eltern in Breslau bei Minderheiten-Volkszählung
Das Umschulungs- und Einsatzlager in Bielefeld Schlosshofstraße 73 a
1939 Nachdem zahlreiche, in Bielefeld lebende Jüdinnen und Juden in „Judenhäusern“ zwangseingewiesen wurden, schloss die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) mit den jeweiligen Städten Verträge zur Errichtung der Umschulungs- und Einsatzlager in Bielefeld Schlosshofstraße 73 a und Paderborn, Grüner Weg 86;
Anfang September entstand zunächst ein Wohn- und Arbeitslager in der Koblenzer Straße 4 (heute: Artur-Ladebeck Straße 6). Das Haus beherbergte zuvor die Praxis des nach Holland geflüchteteten Orthopäden Dr. med. Bernhard Mosberg.
März/April 1940 wegen der räumliche Enge Wechsel in das Lager in der Schloßhofstraße 73a.
Dort bestand auch eine Unterkunft für alte und kranke Jüdinnen und Juden („Siechenheim“) als Einrichtung der RVJD. Vom Lager aus wurden die Männer kolonnenweise bei den Straßen-, Tief- und Gleisbauarbeiten der Fa. Nebelung & Sohn eingesetzt.
1940 erfolgte ein Austausch männlicher Bewohner mit dem Umschulungslager Paderborn; die zionistischen Chawerim wechselten nach Paderborn und umgekehrt.
10.6.1940 späterer Ehemann Leo Leiter angemeldet im Lager in der Schloßhofstraße 73a
25.8.1940 Anmeldung im Schloßhof aus dem Umschulungslager Kersdorf, Krs. Lebus
5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Umbenennung „Jüdisches Arbeitseinsatzlager Bielefeld“
25.8.1941 Abmeldung nach Breslau, Maria Höfchenstraße 13
27.2.1942 Heirat in Breslau mit Leo Leiter; unter Bewachung der Gestapo war es die letzte Trauung, die in der „Weißen Storch-Synagoge“ vollzogen wurde.
3.3.1942 Nach der Heirat Rückkehr aus Breslau, Antonienstraße 36/38 ins Lager Schloßhofstraße 73 a
Antonienstraße 36/38 war ein großes Mehrfamilienhaus, hier wohnten bis zur Deportation Bruno und Paula Wechselmann, sowie Schwester Rita, die 1943 von hier nach Bielefeld abgemeldet wurde
Herbst 1942 Errichtung von Baracken für junge Familien auf dem Gelände.
November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“
25.1.1943 Rita Wechselmann aus Breslau, Antonienstraße 36/38 zurück in Bielefeld
20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“
Ende Februar/März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert, um den Arbeitskräftebedarf im Nebenlager Buna zu decken.
27.2.1943 Befehl von Wilhelm Pützer (1893-1945), Leiter des Judenreferats der Gestapo-Außendienststelle Bielefeld, das „jüdische Arbeitseinsatzlager in Bielefeld“ aufzulösen und deren Insassen und weitere Juden aus dem Sprengel bis zum 1. März, also zwei Tage später, nach Bielefeld zu bringen, wo sie „spätestens“ bis 13 Uhr im „Saal der Eintracht“ eintreffen mussten.
1.3.1943 Auflösung des Arbeitslagers Bielefeld, mit Bussen ins Sammellager Saal im Haus der Gesellschaft „Eintracht“ am Klosterplatz
Erwin Angress berichtet:
„Die Jüdischen Lagerinsassen – insgesamt 99 – wurden in Extrawagen nach Bielefeld transportiert, die an den fahrplanmäßigen Zug ab Paderborn am 1.3.43 um 8.24 Uhr angehängt wurden. In Bielefeld gab es im Saal des Vereinslokals ,Eintracht‘ ein Sammellager für Juden aus dem ganzen Bezirk. Bereits in der darauffolgenden Nacht vom 1. auf den 2. März 1943 wurden alle Juden zum Bielelelder Güterbahnhof gebracht und in Waggons gepfercht. Mit diesem Zug rollten wir dann nach Auschwitz… Nur 9 Personen haben überlebt.“
2.3.1943 ab dem Güterbahnhof Bielefeld für 40 Stunden im geschlossenen Güterwaggon, Transport Bielefeld über Hannover – Erfurt – Dresden nach Auschwitz mit den 69 Insassen des Lager Bielefeld Schloßhofstraße und allen 98 Chawerim aus dem Arbeitslager Paderborn.
3.3.1943 Ankunft und Selektion der ‚Alten Rampe‘ am Güterbahnhof von Auschwitz;
Ernst Michel berichtet:
„Es gab nun zwei Reihen, beide rückten langsam voran. Männer an eine Seite, Frauen an die andere. … Issy schlurfte neben mir. Er war in Paderborn einer der charismatischen und zuverlässigsten Leiter. Er war dynamisch, optimistisch und stets hilfsbereit. Er war stark wie ein Stier. Er hatte Lilo in Paderborn geheiratet einige Wochen vor unserer Deportation. Sie war bereits auf der anderen Seite. Tränen rannen sein Gesicht hinunter. Ich berührte ihn. Er nickte nur.“
Leo Leiter eingewiesen in Auschwitz III zum Aufbau des IG-Farben Werkes Buna Monowitz, auf LKW in die Quarantäneblöcke des „Arbeitslager Buna“ gebracht; Tätowierung der „nichtarischen“ Häftlinge, er bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 104973 in den linken Unterarm tätowiert Kalendarium von Auschwitz vom 3.3.1943
„Reichssicherheitshauptamt Transport, Juden aus Berlin. Nach der Selektion lieferte man 535 Männer als Häftlinge ins Lager ein, sie bekamen die Nr. 104 890 – 105 424; 145 Frauen bekamen die Nr. 36 9035 – 37 079. Die übrigen wurden vergast.“
Margot schminkt ihre 12-jährige Schwester Rita, um sie älter aussehen zu lassen.
Rita wird noch an der Rampe in die Gaskammern geschickt.
2.6.1944 Paul Hofmann schreibt in einem Brief an Johanne Peppmöller:
„Direkt abgeschlosssen von der Außenwelt. Die einzige Bekante, von der wir etwas hören, ist Margot Leiter. Ihr geht es sehr gut. Sie befindet sich dort, wo viele Mädels sich gewisser Vorteile halber für etwas hingeben, was ich von Lotte niemals erwarten würde. Ich hoffe, dass du mich verstehst.“
Die Evakuierung von Auschwitz 18.1.1945
15.1.1945 die Häftlinge in Auschwitz hören den russischen Kanonendonner 30 km aus dem Osten
18.1.1945 Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; ca. 60 000 Häftlinge; 10000 Männer aus Monowitz
18.1.1945 Beginn des Todesmarsches mit 400 Frauen von Auschwitz- Birkenau nach Loslau
Auschwitz-Überlebende berichten von der Brutalität der SS-Leute während des Todesmarsches:
Zofia Posmysz:
„Der letzte Tag in Auschwitz war der 18. Januar. Nach drei Tagen und drei Nächten zu Fuß wurden wir in offenen Güterwagen nach Ravensbrück gebracht.“
Asher Aud:
„Wenn wir sind gegangen Totenmarsch, da sind keine Menschen gegangen, da sind nur Skelette gegangen.“
Sigmund Kalinski:
„Wer nicht konnte oder wer zur Seite war, wurde erschossen, bei ungefähr 15 bis 20 Grad minus in unseren Kleidern.“
Isidor Philipp berichtet:
„Wer sich hinlegte, wurde von den SS-Männern, die auf Motorrädern fuhren, erschossen.“
19. – 23.1.1945 Ankunft in den Eisenbahnknotenpunkten Gleiwitz und Loslau. Von Gleiwitz oder Loslau in Güterwaggons zu westlich gelegen Konzentrationslager wie Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen
Isidor Philipp berichtet:
„Von dort begann dann – in offenen Kohlewaggons und bei 15 Grad unter Null – die Fahrt durch Polen, Tschechoslowakei und Österreich zurück nach Deutschland.“
Nach Schätzungen starben bei diesen Räumungstransporten von Auschwitz insgesamt zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge.
21./22.1. 1945 Ankunft der Frauen-Gruppe aus Auschwitz in Loslau
Flucht von Margot Leiter auf dem Todesmarsch von Auschwitz während eines Schneesturms mit drei weiteren Frauen auf einen polnischen Bauernhof; dort von der Roten Armee ergriffen und auf die Krim gebracht, wo sie in einem Lager bei Odessa ein Jahr lang interniert wurde. Dort war sie zur Kürbisernte eingesetzt und zog sich Malaria zu, woran sie noch mehrere Jahre litt.
Margot ist die einzige weibliche Auschwitz-Überlebende des Bielefelder Transports
16.1.1946 Rückkehr nach Bielefeld, Bahnhofstraße 30, mit Ehemann Leo Leiter
29.6.1946 Tod des Ehemanns Leo Leiter
1949 Margot Leiter auf der SS עצמאות (Independence) nach Haifa
Heirat in Israel mit Oskar Althausen
1951 Oskar Althausen kehrt mit Ehefrau Margot und Bruder Alexander aus Israel nach Mannheim zurück.
1.7.1951 Schwager Alexander aus Mannheim nach New York
20.12.1963 bis 1965 Hauptverhandlung im 1. Auschwitz-Prozess in Frankfurt gegen 22 Angeklagte wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord. Margot Althausen als eine von 360 Zeugen der Anklage, darunter 211 Auschwitz-Überlebende; Generalstaatsanwalt Fritz Bauer
Gedenken
Grabstein für Oskar und Margot Althausen auf dem Jüdischen Friedhof in Mannheim
Quellen
Auszug aus dem Hausbuch Schloßhofstraße des Einwohnermeldeamtes Bielefeld (Signatur: StArchBi, Bestand 104,3 Einwohnermeldeamt, Nr. 1547)
https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20375/Der_Erinnerung_Namen_geben.pdf
Daniel Hoffmann, Lebensspuren meines Vaters, Wallstein Verlag, 2007, S.185
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_wfn_43a.html
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT430302_1.jpg
Margit Naarmann, Ein Auge gen Zion, Paderborn, 2000; ISBN3-89498-087-7
Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013
Kurt Salinger, Nächstes Jahr im Kibbutz, Paderborn 1998