Bernard Neustädter
*11.6.1896; ✡ 24.3.1943 in Auschwitz
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Josef Neustädter *1857 in Preußisch Oldendorf; ✡ 17.12.1913 in Bielefeld
Mutter Julia Hein *25.5.1861 in Schildesche ; ✡ 23.2.1927in Bielefeld
Geschwister
Fanni Neustädter 9.8.1887 in Rheine; ✡23.5.1944;oo Hugo Eichenwald (1884 in Burgsteinfurt, ✡1944 in Theresienstadt
Friedrich Neustädter *14.1.1889 in Herford; ✡15.7.1939 in Hamburg; oo Lina Kauders
Beruf Buchhalter;Vertreter
Adressen Lübbecke, Osnabrückerstr. 4; Bielefeld
Heirat 5.3.1925 in Lübbecke Margarete Hecht *28.3.1905 in Lübbecke; 5.3.1943 in Auschwitz
Kind
Ernst Ludwig Neustädter *23.7.1928 in Lübbecke; 29.8.1921Ruislip Middlesex; ooBeate Lux
Weiterer Lebensweg
Nach der Heirat wird Bernhard Neustädter Mitinhaber der Fa. Hecht, Berufskleiderfabrik
Mitte 1935 fanden sich an den Eingängen der Stadt Lübbecke Schilder mit der
Aufschrift „Juden sind an diesem Ort nicht erwünscht“. Gegen den Aushang der an-
tisemitischen Zeitung ‚Der Stürmer‘ in der Nähe seiner Berufskleiderfabrik protestierte
Schwiegervater Hermann Hecht als der Inhaber beim Landrat.
Aug. 1935 wurden bei antisemitischen Ausschreitungen gegen Geschäftshäuser und Privatwohnungen Fensterscheiben zertrümmert. Das zog die Verhaftung mehrerer Personen nach sich. Für die Pogromnacht konstatierte der Landrat die „totale Zerstörung“ der Synagoge. Wohnungsschäden entstanden bei Schwiegervater Hermann Hecht, Bernhard Neustädter, Albert Ruben, Paul Schöneberg und Max Lazarus. Der Schaden belief sich auf ca. 30 000 Reichsmark.
10.11.1938 Bernhard Neuhaus verhaftet im Novemberpogrom, zusammen mit Albert Ruben und Dr. Lothar Lazarus aus Lübbecke, „Schutzhaft“ in Buchenwald; Firmeninhaber Albert Ruben wurde bereits im Stadtgefängnis Lübbecke gezwungen, einen Verkaufsvertrag zu unterschreiben.
Häftlingsnummern: Neustädter 29041, Ruben 29052, Lazarus 29071

27.11.1939 Bernhard Neustädter und Albert Ruben entlassen aus Buchenwald
23.12.1939 Dr. Lothar Lazarus entlassen aus Buchenwald
Im Rahmen der ‚Arisierung‘ mussten auch Hermann Hecht und Bernhard Neustädter, die Inhaber der Fa. ‚Abraham Hecht‘, ihre Firmenanteile und Immobilien verkaufen.
17.5.1939 mit Ehefrau in Lübbecke in bei Minderheiten-Volkszählung
17.5.1939 Sohn Ernst in Hannover bei Minderheiten-Volkszählung
12./13.6.1939 Sohn Ernst auf 16. England-Transport der „garantierten Kinder“ via Bremen mit dem Dampfer „Europa“ nach Southampton, an Bord 185 Jugendliche zwischen 8 und 18 Jahren
11.9.1939 Bernhard Neustädter als Büroangestellter mit Ehefrau Grete aus Lübbecke in das Umschulungslager Bielefeld Koblenzer Str. 4
Das Umschulungs- und Einsatzlager in Bielefeld Schlosshofstraße 73 a
1939 Nachdem zahlreiche, in Bielefeld lebende Jüdinnen und Juden in „Judenhäusern“ zwangseingewiesen wurden, schloss die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) mit den jeweiligen Städten Verträge zur Errichtung der Umschulungs- und Einsatzlager in Bielefeld Schlosshofstraße 73 a und Paderborn, Grüner Weg 86;
Anfang September entstand zunächst ein Wohn- und Arbeitslager in der Koblenzer Straße 4 (heute: Artur-Ladebeck Straße 6). Das Haus beherbergte zuvor die Praxis des nach Holland geflüchteten Orthopäden Dr. med. Bernhard Mosberg.
März/April 1940 wegen der räumliche Enge Wechsel in das Lager in der Schloßhofstraße 73a.

23.4.1940 Ehepaar Neustädter wechselt in das Lager in der Schloßhofstraße 73a
Dort bestand auch eine Unterkunft für alte und kranke Jüdinnen und Juden („Siechenheim“) als Einrichtung der RVJD. Vom Lager aus wurden die Männer kolonnenweise bei den Straßen-, Tief- und Gleisbauarbeiten der Fa. Nebelung & Sohn eingesetzt.
1940 erfolgte ein Austausch männlicher Bewohner mit dem Umschulungslager Paderborn; die zionistischen Chawerim wechselten nach Paderborn und umgekehrt.
5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Umbenennung „Jüdisches Arbeitseinsatzlager Bielefeld“
8.1.1942 Tod des Lagerleiters Jaruslawski; Bernhard N. übernimmt kommisarisch die Leitung bis Februar
15.2.1942 Armin Duschinsky aus Radinkendorf als Heimleiter mit Ehefrau Hermina als Wirtschaftsleiterin nach Bielefeld
Herbst 1942 Errichtung von Baracken für junge Familien auf dem Gelände.

1.8.1942 Schwiegereltern Hecht Transport XI/1, Nr. 156 Münster -> Theresienstadt
Herbst 1942 Errichtung von Baracken für junge Familien auf dem Gelände.
November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“
20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“
Ende Februar/März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert, um den Arbeitskräftebedarf im Nebenlager Buna zu decken.
27.2.1943 Befehl von Wilhelm Pützer (1893-1945), Leiter des Judenreferats der Gestapo-Außendienststelle Bielefeld, das „jüdische Arbeitseinsatzlager in Bielefeld“ aufzulösen und deren Insassen und weitere Juden aus dem Sprengel bis zum 1. März, also zwei Tage später, nach Bielefeld zu bringen, wo sie „spätestens“ bis 13 Uhr im „Saal der Eintracht“ eintreffen mussten.
1.3.1943 Auflösung des Arbeitslagers Bielefeld, mit Bussen ins Sammellager Saal im Haus der Gesellschaft „Eintracht“ am Klosterplatz
Erwin Angress berichtet:
„Die Jüdischen Lagerinsassen – insgesamt 99 – wurden in Extrawagen nach Bielefeld transportiert, die an den fahrplanmäßigen Zug ab Paderborn am 1.3.43 um 8.24 Uhr angehängt wurden. In Bielefeld gab es im Saal des Vereinslokals ,Eintracht‘ ein Sammellager für Juden aus dem ganzen Bezirk. Bereits in der darauffolgenden Nacht vom 1. auf den 2. März 1943 wurden alle Juden zum Bielelelder Güterbahnhof gebracht und in Waggons gepfercht. Mit diesem Zug rollten wir dann nach Auschwitz… Nur 9 Personen haben überlebt.“
2.3.1943 ab dem Güterbahnhof Bielefeld für 40 Stunden im geschlossenen Güterwaggon, Transport Bielefeld über Hannover – Erfurt – Dresden nach Auschwitz mit den 69 Insassen des Lager Bielefeld Schloßhofstraße und allen 98 Chawerim aus dem Arbeitslager Paderborn.
3.3.1943 Ankunft und Selektion der ‚Alten Rampe‘ am Güterbahnhof von Auschwitz;
Ernst Michel berichtet:
„Es gab nun zwei Reihen, beide rückten langsam voran. Männer an eine Seite, Frauen an die andere. … Issy schlurfte neben mir. Er war in Paderborn einer der charismatischen und zuverlässigsten Leiter. Er war dynamisch, optimistisch und stets hilfsbereit. Er war stark wie ein Stier. Er hatte Lilo in Paderborn geheiratet einige Wochen vor unserer Deportation. Sie war bereits auf der anderen Seite. Tränen rannen sein Gesicht hinunter. Ich berührte ihn. Er nickte nur.“
Bernhard Neustädter eingewiesen in Auschwitz III zum Aufbau des IG-Farben Werkes Buna Monowitz, auf LKW in die Quarantäneblöcke des „Arbeitslager Buna“ gebracht; Tätowierung der „nichtarischen“ Häftlinge, er bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 105003 in den linken Unterarm tätowiert Kalendarium von Auschwitz vom 3.3.1943
„Reichssicherheitshauptamt Transport, Juden aus Berlin. Nach der Selektion lieferte man 535 Männer als Häftlinge ins Lager ein, sie bekamen die Nr. 104 890 – 105 424; 145 Frauen bekamen die Nr. 36 9035 – 37 079. Die übrigen wurden vergast.“
März 1943 Bernhard Neustädter mit Bronchopneumonie im Häftlingskrankenbau von Buna
Bernhard Neustädter soll laut Paul Hoffmann in „Lebensspuren meines Vaters“ nach einer Selektion noch im Frühjahr 1943 in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau umgekommen sein.
Paul Hoffmann schreibt in einem aus Auschwitz herausgeschmuggeltem erhaltenen Brief an Johanne Peppmöller im Juli 1943:
„Hier sind nur noch wenige von unseren Bielefeldern, denn die meisten sind schon gleich in den ersten Wochen zusammengebrochen, um dannn in ein anderes Lager transportiert zu werden, wo sie die restlichen Tage des Lebens verbringen. Zu diesen gehört auch Herr Wachsmann, Neustädter, Zimmt, Feldheim und viele Jungens aus unserem Umschulungslager. Ich werde mich so leicht nicht unterkriegen lassen.“
24.3.1943 Tod in Auschwitz-Birkenau; offizielle Todesursache: Bronchopneumonie
Gedenken
3.6.1989 Pages of Testimony für die Eltern und Großeltern Hecht von Sohn Ernst Neustädter
Quellen
Auszug aus dem Hausbuch Schloßhofstraße des Einwohnermeldeamtes Bielefeld (Signatur: StArchBi, Bestand 104,3 Einwohnermeldeamt, Nr. 1547)
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de936967
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de936987
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de961232
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5278159
https://www.lwl.org/hiko-download/OA_DT/L%C3%BCbbecke_(Beckemann)_511-519.pdf
Bremen Auswandererlisten, 1920-1939
Daniel Hoffmann, Lebensspuren meines Vaters, Wallstein Verlag, 2007, S. 171
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_wfn_43a.html
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT430302_1.jpg
Margit Naarmann, Ein Auge gen Zion, Paderborn, 2000; ISBN3-89498-087-7
Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013
Kurt Salinger, Nächstes Jahr im Kibbutz, Paderborn 1998