Inge Löwenstein
*6.1.1920 in Hameln; ✡ 18.2.2009 in Wallington, Surrey, England
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Wilhelm Löwenstein *28.12.1882 in Hameln; ✡15.6.1942 im KL Sobibor
1.Ehe des Vaters mit Paula Levy *6.3.1880 in Altenkirchen; ✡14.11.1915 in Altenkirchen
Heirat der Eltern 1919, 2. Ehe des Vaters
Mutter Rosa Oberschützky *9.6.1882 in Hannover; ✡ Juni 1942 KL Sobibor
Großeltern Moses Löwenstein und Sara Neuburg
Großmutter Rosalie Oberschützky geb. Alexander *24.4. 1862 in Winsheim; ✡20.11.1942 Theresienstadt
Großvater Samuel Oberschützky *1862 langjähriger Lehrer an der Israelitischen Elementarschule in Osnabrück; ✡1931 in Osnabrück
Halbschwester
Margarete Löwenstein *20.7.1913 in Paderborn; 1942 Izbica ; oo 1939 Heinz de Vries *18.1.1912 in Essen; Sohn Uri *7.1.1940 in Essen
Beruf Schülerin
Adressen Hameln; Paderborn; Essen; Westerkappeln; Wallington, Surrey, England
Heirat ledig
Kinder –
Die Hachschara Bewegung
In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.
Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.
Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachscharalager (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).
So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.
Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.
Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.
Hof Stern in Westerbeck
Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932 bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine Hachschara-Stätte errichtete. 104 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) von 15 und 17 Jahren kamen hierher zur sogenannten Mi-Ha (mittleren Hachschara): 32 Mädchen und 72 Jungen. Sie blieben zwischen einem Monat und eineinhalb Jahren.
1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet
Die Leitung des Hofes lag zuletzt bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.
Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, die meisten am 18.2.1938.
9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern. Sie wurden ebenso wie der Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Einem der vier gelang noch die Flucht ins rettende Ausland. Die anderen drei wurden später in den Osten deportiert und kamen in Buchenwald, in Riga und Stutthof um.
Weiterere Lebensdaten
Vater Wilhelm Löwenstein im 1. WK als Musketier im 17. Infanterie Regiment
1924 Umzug der Familie von Paderborn nach Hameln, Kastanienwall 22.
1931 Großmutter Rosalie nach Tod des Großvaters Samuel in den Haushalt aufgenommen
1933 Umzug der Familie von Hameln nach Essen, Vater als Generalvertreter für die
Seidenfabrik Wellenbrink & Sohn, Gütersloh, in die Bezirksvertretung in Essen
22.6.1936 Inge Löwenstein aus Essen zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern, Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Stern in Westerbeck
18.2.1938 Inge Löwenstein abgemeldet aus Westerkappeln nach Essen (6. Zeile)
10./11.1939 Vater Wilhelm in der Pogromnacht verhaftet; zwei Wochen in „Schutzhaft“
1939 Emigration auf Drängen ihres Vaters nach England, vermutlich mit „domestic permit“- Visum als Haushilfe vermittelt, obwohl sie lieber bei ihrer Familie geblieben wäre
Vater Wilhelm Löwenstein sagte zu ihr: „Wenn du nicht gehst, hat keiner eine Chance.“
Auch Mutter Rosa Löwenstein und Schwester Grete de Vries erhielten auch ein „domestic permit“- Visum, blieben aber bei ihrer Familie
7.1.1940 Neffe Uri wird geboren
Zwangsumzug der Familie in das Judenlager in Essen-Steele Holbeckshof
22.4.1942 Deportation von Schwester Margarete mit Ehemann Heinz und Sohn Uri von Essen/Düsseldorf ins Ghetto Izbica, nachdem der Chef von Zwangsarbeiter Heinz de Vries seine Arbeitsleistung moniert und um Abschiebung in den Osten gebeten hatte
15.6.1942 Eltern aus dem Judenlager in Essen-Steele auf dem Transport Koblenz – Köln – Düsseldorf in das KL Sobibor
21.7.1942 Großmutter Rosalie Oberschützky nach Theresienstadt deportiert
20.11.1942 Tod von Großmutter Rosalie Oberschützky in Theresienstadt; „Alterschwäche“
1995 schreibt Inge Löwenstein an die Schülerinnen des Mädchengymnasium Borbeck (Lehrerin Susanne Schnettler-Dietrich, Evangelische Religion und Philosophie):
„Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zukunft, aber vergesst die Jahre 1939-1945 niemals!“
Gedenken
Stolperstein
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de919867
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de920001
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de851861
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/11199141
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/11198528
Peter W. Lande, Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History
https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/
https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt