Menschenfreund Mia Bochumer Str. 137
*3.12.1920 in Recklinghausen, + 1945 auf dem Todesmarsch aus Stutthof
Staatsangehörigkeit polnisch
„Bei Recklinghausen denke ich immer an Mia Menschenfreund. Sie war ein Mensch, der seinen Namen zu Recht trug.“
Gertrude Schneider, Riga Überlebende
Vater Julius Menschenfreund *11.09.1888, ✡ nach 1938 in Polen, verschollen
Mutter Berta Beile Birnbaum in Rozniatov *27.12.1892; ✡31.3.1942 Tötungsanstalt Bernburg
Bruder Dagobert Menschenfreund *8.6.1926; ✡ 29.5.2013 Culver City Kalifornien
Bräutigam Siegfried Joseph *4.10.1906 in Zöblitz, Sachsen; ✡6.10.1973 in Gelsenkirchen
Adressen
Bochumer Straße 137, Recklinghausen
zuletzt Paulusstraße 6, Recklinghausen (Ghettohaus)
Weitere Lebensdaten
1932 -1937 Besuch des Ober – Lyceum (Theodor-Körner-Schule) Abschluss Untersekunda
28.10.1938 Zeitzeugenbericht: Vater „von Nachbarn im Schrank versteckt“Abschiebung nach Bentschen (Zbaszyn), Datum im Hausbuch nachträglich auf 24.11.1938 gefälscht !
9. 11.1938 Zerstörung des Geschäftes;
10.12.1938 Manufakturgeschäft „von Amts wegen abgewickelt“
12.4.1939 Rückkehr aus Polen, zur „Abwicklung des Geschäftes und Hausverkaufs“
12.4.1939 Berta, Mia und Dagobert Menschenfreund Anmeldung
1.09.1939 Ladenlokal und Teil der Wohnung 1.Etage an NSDAP-Parteigenossen zwangsvermietet
18.10.1939 Mutter verhaftet wegen „Devisenvergehen“, ins Gerichtsgefängnis Recklinghausen
Dezember Verhaftung der Mutter KZ Ravensbrück
24.5.1941 Anweisung der Stapo Leitstelle Münster (Dokument!)
„Familie Menschenfreund muß ausziehen. Der Mann ist im Ausland, die Frau im Konzentrationslager.
Es ist dort nur eine 20-jährige Tochter.
Handschriftlich: 1 Sohn 14 jähr. Vorübergehend abwesend“ (Dagobert)
20.10.1941 Liste des RVJD Bewohner Ghettohäuser
„(Mia)Menschenfreund, ledig, 1 Bruder und Mutter zZ abwesend“
zurück nach Recklinghausen ins Ghettohaus Paulusstraße 6
24.1.1942 deportiert aus Recklinghausen
27.1.1942 Deportation von Dortmund / Gelsenkirchen nach Riga, Ghetto
8. 9.1943, Eintreffen KL Stutthof zusammen mit Bruder Dagobert registriert
Todesmarsch Stutthof nach Bromberg
25.1.1945 Der Lagerkommandant beginnt mit der Evakuierung des KL Stutthof: 11.600 Häftlinge auf dem Todesmarsch Richtung Oranienburg/KL Sachsenhausen in 1000-1500er Marschkolonnen Jede Kolonne wurde von ca. vierzig Wachmännern beaufsichtigt. Zurückbleibende wurden von ihnen getötet. Fast ohne Verpflegung dauerte der Marsch für die Überlebenden bei Schnee und schneidender Kälte ca. 10 Tage.
Erna Valk aus Goch berichtet über die Todesmärsche:
„Eines Tages machte mich mein Meister darauf aufmerksam, dass die Russen nicht mehr weit entfernt seien, und plötzlich am 20. Januar 1945, wurden wir von der Arbeit fort gerufen und mussten Bromberg schnellstens verlassen. Mit einem Nachbarlager, Branau (Borowno), waren wir im ganzen 1.300 Frauen, die von den aufgeregten SS-Weibern, welche Sträflingskleider von uns eingepackt hatten, landeinwärts getrieben wurde – Richtung KZ-Oranienburg. Es lag hoher Schnee. Die SS-Weiber trieben uns in einem furchtbaren Tempo. Auf einmal ließen sie uns auf der Landstraße stehen und hauten ab. Wir waren uns selbst überlassen und verteilten uns auf Bauernhöfe mit der Absicht, auszukneifen. Doch die lettische SS, die dort kämpfte, kassierte uns wieder ein, und da begann erst das Treiben richtig. Wer es wagte, sich an den Rand der Straße zu setzen, um ein Bedürfnis zu verrichten, wurde erschossen. Unsere Rote-Kreuz-Schwester, die der begleitende Scharführer als überflüssig hielt, schoss er aus Wut zunächst in die Augen, und dann erschoss er sie mit ihrer Schwester. Viele haben schlappgemacht; sie wurden kurzerhand erschossen und in den Straßengraben gestoßen. Wenn es noch Angehörige von diesen gibt, können sie nie erfahren, wo die Betreffende geblieben ist. Jeden Augenblick knallte es. Die liebsten Kameradinnen sind so von uns gegangen.
Beim Todesmarsch bei der Räumung des KL Stutthof kam die am Bein verletzte Mia Menschenfreund ums Leben, da sie nicht mehr weiterlaufen konnte wurde sie vermutlich erschossen.
Stolperstein Bochumer Str. 137 in Recklinghausen
Quellen
Willi Hagemann, Höhere Mädchenbildung und jüdische Schülerinnen in Recklinghausen von 1866 bis 1938/39, in: Vestische Zeitschrift 90/91 (1991/92), hg. v. Werner Burghardt, S. 231-244, S. 233
Barbara Burghardt; Die Ursprünge des Marie-Curie-Gymnasiums; 2003
Erna Valk, Meine Erlebnisse in der Zeit vom 10.12.1941 bis 30.6.1945, Wiener Library; P III, 367
Gertrude Schneider, Riga Überlebende gegenüber Diana Schulle, Mitherausgeberin des „Buchs der Erinnerung“
Georg Möllers, Biografie Familie Menschenfreund Opferbuch Recklinghausen
Georg Möllers / Jürgen Pohl: Abgemeldet nach „unbekannt“ 1942, Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen nach Riga, hrsg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Recklinghausen, Klartext Verlag, Essen 2013.
Werner Schneider, Jüdische Einwohner Recklinghausens 1816-1945, in: 750 Jahre Stadt Recklinghausen. 1236-1986, hrsg. von Werner Burghardt, Recklinghausen 1986, S. 225-252.
Stadtarchiv (Sta Re III Jüdische Gewerbebetriebe um 1938; Sta Re III 6520 Jüdische Einwohner im 3. Reich; Sta Re III 4407 Jüdische Kinder; Sta Re III 4425 Juden aus Polen).
Jüdische Einwohner Recklinghausens, Sta Re III 6520
ITS Arolsen, Arolsen Archives Documents 01014102 oS
https://collections.arolsen-archives.org/archive/4568776/?p=1&s=Menschenfreund&doc_id=4568777
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://billiongraves.de/grave/Dagobert-Bert-Menschenfreund/34757366?referrer=myheritage