
Jenny Jehudit Kleinberger
*28.9.1923 in Bottrop; ✡ 15.-16.1.1998 Tod in Israel
Staatsangehörigkeit polnisch, staatenlos
Religion jüdisch
Vater Naftali Kleinberger *6.6.1886 in Bochnika; Kaufmann; ✡ 1956 in Israel
Mutter Syma Weintraub *13.4.1883 in Gorlice; ✡ 22.2.1961
Geschwister

Oskar Kleinberger *28.6.1913 in Horst (Gelsenkirchen); ✡10.5.2008

Paul Kleinberger *10.12.1915 in Bottrop;
Hermann Kleinberger *11.7.1920 in Bottrop;
Beruf Stenotypistin
Adressen Bottrop, Essener Straße 14, Pferdemarkt 7
Heirat Baruch Josef Braunthal *1918 in Roda; ✡10.- 11. 1. 2009 in Isarel
Kinder–
Weitere Lebensdaten bis 1938

Vater als Möbelhändler von 1913 bis 1939 in Bottrop
1932 ist der Vater Repräsentantenvorsteher der Synagogenuntergemeinde Bottrop-Osterfeld
1933 Vater Vorsteher zusammen mit Julius Dortort (Bottrop) und Wolf Lehrer aus Osterfeld
1.4.1933 reichsweiter Aprilboykott jüdischer Geschäfte; Geschäftsfreund Abraham „Adolf“ Krauthammer wird im „Aprilboykott“ mit einem Schild „Ich bin ein Saujude“ durch Bottrop getrieben. Bruder Max protestiert und wird ebenso ins Polizeigefängnis gesperrt.
Herbst 1933 Widerruf der deutschen Staatsbürgerschaft für Familien Kleinberger, Reichenstein, Julius Dortort und Josef Krauthammer (Einbürgerung 1928 – 1932 );
(Paradox: die Ausbürgerung rettet der Familie letztlich das Überleben! FJW))
Ab 1934 wurde die Gemeinde von Rabbi Selig Auerbach, Recklinghausen betreut.
Die Hachschara Bewegung
In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.
Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.
Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).
So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.
Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.
Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.
Haus Berta am Freudenberg bei Alt-Schermbeck
Auf Betreiben von Leo Gompertz, Vorsitzender der RjF-Ortsgruppe Gelsenkirchen entstand 1934 auf dem Heide und Waldgelände des Julius Goldschmidt ein Jugend-und Ferienheim, Haus Berta, benannt nach der Mutter des Julius Goldschmidt. Die feierliche Eröffnung fand am 29.7.1934 im Beisein von reichsweiter RjF- und Rabbinats-Prominenz statt. Heimleiter wurde Dr. jur. Willi Stern, 1933 von den Nazis außer Dienst gestellter Amtsgerichtsrat aus Recklinghausen. Madrich für das erste Landsommerhalbjahr 1935 war Heinz Kahn (HaKa)aus Eschwege.

Die geistliche Betreuung übernahm der zuständige Bezirksrabbiner Dr. Selig Auerbach aus Recklinghausen. Das Ehepaar Leo und Rosa Auerbach war für die Hauswirtschaft zuständig, Ruth Stamm für den Jugendsport und die Gymnastik. Die vom Hamburger Oberrabbiner Dr. Joseph Carlebach empfohlene Edith Möller aus Hamburg-Altona führte die streng koschere Küche.
Vom 10.5.-31.10.1935 fand das bereits an einer Hachschara ausgerichteten erste Landhalbjahr statt; Madrich war Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege.
Als vermutlich bewusste Provokation wurde Haus Berta 1937 während eines wie immer besonders festlich begangenen Freitagabend-Gottesdienst zum jüdischen Schabbat von der Gestapo geschlossen.
Aus dem Lagebericht von 1937 der Staatspolizeidienststelle für den Regierungsbezirk Münster:
„Die polizeiliche Schließung des jüdischen Ferienhauses (…) hat nach dem vorliegenden Bericht des Landrats in Recklinghausen in der Bevölkerung lebhafte Befriedigung ausgelöst.“
Hachschara und Alija von Jenny und ihren drei Brüdern


Purimfest ca 1934 Hermann und Jenny Kleinberger, Privatbesitz Miriam Herman
Jenny zusammen mit Bruder Hermann Mitglied in jüdischen Jugendorganisationen, a.e.die zionistische Jugendorganisation Habonim
1934-1937 wiederholte Aufenthalte von Jenny und Hermann in Haus Berta
Um 1935 Bruder Hermann Kleinberger in einem Bottroper Gartenbaubetrieb, private Hachschara
Oktober 1934 Bruder Paul in der Jüdischen Lehrwerkstatt und Lehrlingsheim Utrechter Straße 6, Köln, Neustadt-Nord; (1934 übernahm die zionistische Jugendorganisation Hechaluz das Lehrlingsheim. Die Ausbildungsstätten – Schreinerwerkstatt und Schlosserei – wurden in das Heim verlegt. Auch die theoretische Ausbildung fand nun im Heim statt

2.9.1935 Einreise in Haifa des Bruders Paul mit Arbeiter Zertifikat Kategorie C/Lab
3.9.1936 Einreise in Haifa des Bruders Oskar mit Arbeiter Zertifikat Kategorie C/Lab
Februar 1937 Einreise von Bruder Hermann in Palästina
November 1938 Jenny Kleinberger zur Hachschara nach Rüdnitz bei Barnim, Kreis Bernau; von 1933-1941 Ausbildungslager der jüdischen sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung.
Novemberpogrom in Bottrop am 9./10.11.1938
Die Historische Kommission des LWL berichtet:
„Eine Gruppe von SA-Männern zerschlug die großen Fenster des Möbelgeschäfts von Naftali Kleinberger, Pferdemarkt 7, zerstörte Waren und Geschäftseinrichtung. Sie zertrümmerte mit Knüppeln das Mobiliar in der darüber liegenden Wohnung und schlug auf die Familie ein. Unter fortgesetzten Schlägen schleiften ihre Peiniger das Ehepaar Kleinberger mit der Tochter Jenny, barfuß und nur mit Nachthemd und Pyjama bekleidet, zur Polizeiwache am Rathaus. Über Nacht hielt man sie dort fest. Naftali Kleinberger blieb im Gefängnis. Nach einer Woche erklärte man ihm, er bleibe so lange eingesperrt, bis er eine Einwanderungserlaubnis nach Palästina vorlege. Auf einen verzweifelten Hilferuf an seine drei 1935–1937 nach Palästina ausgewanderten Söhne, die dort bei der englischen Polizeibehörde beschäftigt waren, erhielt er einen Einwanderungsschein, und die Familie konnte Mitte Februar 1939 Deutschland verlassen.“

Foto: Stadtarchiv Bottrop / Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen
Das zerstörte Möbelgeschäft Kleinberger befand sich allerdings an der Horster Straße 30.

11.11.1938 Ausstellung eines Fremdenpass für Jenny in Bottrop
November 1938 Jenny Kleinberger zur Hachschara in Rüdnitz bei Barnim, Kreis Bernau; in Rüdnitz befand sich von 1933-1941 ein Ausbildungslager der jüdischen sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung.


30.11.1938 Ausstellung eines Fremdenpasses für den Vater Naftali Kleinberger in Bottrop erst nach seiner Entlassung aus dem Polizeigefängnis;

Mutter Syma besaß bereits seit 1934 einen Fremdenpass
15.2.1939 Einschiffung der Eltern in Triest auf der SS JERUSALEM
23.2.1939 Ankunft der Eltern in Haifa; Einreisevisum der Kategorie „D Angeforderte“, (eine sehr seltene Visum-Kategorie, FJW)
21.3.1939 Jennys Ausreise Deutsches Reich über Grenzpolizeiposten Rosenbach
22.3.1939 Jenny in Triest, Einschiffung auf das Linienschiff SS GALILEA

27.3.1939 Ankunft von Jenny in Haifa, Alija mit Hechaluz-Studentenzertifikat Kategorie B III
12.2.1941 Bruder Oskar als Polizist auf der Wache in Motza
31.3.1943 Einbürgerung in Palästina
15.-16.1.1998 Tod in Israel
Gedenken

Grabstein für Jenny und Baruch Braunthal auf dem Haifa Sde Yehoshua (Kfar Samir) Cemetery
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947
Israel, Einwanderungslisten
https://www.bottrop.de/downloads/kultur-bildung/stadtgeschichte/Stolpersteine-2021.pdf
https://www.lwl.org/hiko-download/OA_MS/Bottrop_(L%C3%BCck)_240-250.pdf
https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/785194
https://archive.org/details/leogompertzcolle01gomp/page/n59/mode/1up?view=theater
http://www.holstina.de/history/hausberta.html
https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-345341#id20
Carolin Huber, Jüdische Kindheit und Jugend im nationalsozialistischen Deutschland, Eine vergleichende Studie für die Städte Düsseldorf und Essen, Dissertation 2009
Peter W. Lande, Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History