Hirschtritt Nathan

Nathan Hirschtritt/Johnny Johannes Hüttner

*21.11.1913 in Berlin; ✡ 16.10.1987 in Berlin

Staatsangehörigkeit polnisch

Religion jüdisch

Vater Leo Hirschtritt *9.9.1880 in Wierzbice; ✡?

Mutter Dora Hirschtritt; ✡ ?

Geschwister

Isabella Hirschtritt *22.8.1916 in Allstadt; Deportation 20.7.1942

Max Hirschtritt/Moshe Ofer *20.7.1920 in Berlin

Rosa Hirschtritt; Palästina

Adele Hirschtritt; Palästina

Helene Hirschtritt; in Polen

Beruf Arbeiter

Adressen Berlin, Christburger Straße 3, Prenzlauer Berg, Winsstraße 35

Heirat ledig

Kinder

Weiterer Lebensweg

8 Jahre Volksschule

„Kinderhort“

Barmitzwa in der Synagoge Ryckestraße Berlin

Bürobote bei einer Bank

Vor 1933 Mitglied im kommunistischen Agitprop-Theater „Das Rote Sprachrohr“

1933 Amtsgericht Berlin Vorstrafe über 5 RM wegen Passvergehens

Bis 26.12.1935 Arbeiter bei Fa. Wreschner Metallwarenfabrik

Illegaler Widerstand für den KJVD und die KPD, Mitglied der illegalen Leitung der KPD in Berlin; Paul Bonzo Friedländer schreibt über ihn:

„Zusammen veröffentlichten wir 14-tägig die „Rote Fahne“ (in Miniatur) gründeten die Fichte-Sportvereinigung und hielten Diskussionsgruppen. Den größten Teil meiner Freizeit verbrachte ich mi N.H., der mich meinem Alter entsprechend schulte. Im Jahre 1935 bezog mich Nathan mit ein beim Vertrieb von … Flugblättern, Propagandamünzen und bei Geldsammlungen… Noch im selben Jahr wurde er von der Gestapo gefangen genommen, kam ins Zuchthausen Brandenburg, später ins KZ Sachsenhausen und nach Auschwitz und ins KZ Nordhausen.“

9.5.1936 Untersuchungshaft im Gefängnis Berlin-Moabit, (AZ 1661/36)

2.2.1937 Gerichtsurteil wegen Vorbereitung zum Hochverrat: 3 ½ Jahre Zuchthaus

9.2.1937 überstellt als „politischer Häftling“ vom Gefängnis Berlin-Moabit in das Zuchthaus Brandenburg (Havel)-Görden; Angaben bei der Registrierung: Alija der Schwestern Rosa und Adele nach Palästina; Bruder Max zur landwirtschaftlichen Hachschara nach Hamburg

25.4. und 5.9. 1937 Mutter Dora erhält eine Besuchserlaubnis für das Zuchthaus Brandenburg

5.12.1937 Besuchserlaubnis für Mutter Dora und Bruder Max

10.8.1937 Nathan Hirschtritt „von Transport zurück“; Zeuge im Prozess gegen „Anton Liermann und (4) andere“

1937/38 Mutter Dora schreibt Bittbriefe an den Anstaltdirektor um eine Berufsausbildung für ihren Sohn Nathan zu ermöglichen, später auch Gnadengesuche, die aber abgelehnt werden.

Im Sommer 1938 befindet sich die Mutter bereits in Bolechow, Stryj, Polen; sie überträgt die Fürsorge auf Rudi Antel

7.10.1938 „Von Abbendorf zurück zur Anstalt“

12.2.1939 Besuchserlaubnis für Rudi Antel

17.5.1939 Nathan Hirschtritt im Zuchthaus Brandenburg bei Minderheiten-Volkszählung

1.9.1939 Überfall der Wehrmacht auf Polen; die bei Haftende geplante Ausweisung nach Polen entfällt

19.9.1939 entlassen nach: Rosenstraße 2/4, Jüdische Gemeinde Verwaltung

27.9.1939 nach Ende der Haftstrafe als „feindlicher Ausländer“ in das KL Sachsenhausen

Der Aufstand im KL Sachsenhausen: »Schießt doch, ihr Hunde!«

Zitiert aus dem Buch „Selbstbehauptung und Widerstand“

Am 22. Oktober 1942 ordnete die Lagerleitung in Durchführung eines Himmlerbefehls an, die jüdischen Häftlinge zum »Arbeitseinsatz« abzutransportieren. 459 Juden erschienen zum Appell. Anschließend wurden sie in die Desinfektionsbaracke kommandiert, wo sie sich völlig entkleiden und ihre gesamte Habe einschließlich des Waschzeugs abliefern mußten.Sie erhielten neue Kleidung und wurden angewiesen, sich wieder zum Appellplatz zu begeben. 18 Häftlinge widersetzten sich und blieben in der Baracke. Sie nahmen an, daß die Transportvorbereitungen nur als Tarnung für ihre unmittelbar bevorstehende Liquidierung im Lager arrangiert worden wären. Als sich die anderen jüdischen Häftlinge auf dem Appellplatz eingefunden und sich zugleich auch die übrigen rund 12000 Gefangenen des Lagers in Reih und Glied aufgestellt hatten, brachen sie aus der Baracke aus, überwältigten SS-Männer und stürmten durch die Lagerstraße. Man hörte Rufe: »Wir lassen uns nicht abschlachten!«, »Wir wollen im Kampf sterben!« oder »Schießt uns doch nieder!« Die Flüchtenden wurden rasch eingefangen, niedergeworfen und so lange festgehalten, bis der Schutzhaftlagerführer erschien. Statt die Aufständischen auf der Stelle zu bestrafen, forderte er sie auf, sich zu erheben. Nathan Hirschtritt, der später den Namen Johann Hüttner annahm, stand als erster auf und gab das Kommando: »Aufstehen! Antreten!« Die Lagerdisziplin kehrte zurück. Man nahm in soldatischer Ordnung Haltung an. Der Lagerführer stellte sie zur Rede. Als er erfuhr, daß sie den Transportbefehl als Signal für ihre sofortige Erschießung verstanden hätten, klärte er das »Mißverständnis« auf. Er versicherte ihnen: »Ich gebe Euch mein Ehrenwort, ihr werdet nicht erschossen. Ihr geht in ein Arbeitslager im Osten. Erschwert uns nicht die Arbeit.«

Adam König berichtet über den „Aufstand der 18“

„Am 22. Oktober wurden wir durch die Blockführer auf den Appellplatz getrieben und in einer Isolierbaracke umgekleidet. Uns wurde dort alles abgenommen, persönliche Kleidungsstücke, die Häftlingskleidung, auch die Schuhe, man gab uns Holzpantinen, Drillichzeug. Das ganze sah nicht nach Transport aus, sondern eher nach einer Vorbereitung auf die Erschießung. Es gab zynische Bemerkungen der Blockführer, dass wir »durch den Schornstein« gehen würden. In dieser Situation kam es zu Gesprächen unter politischen und jungen jüdischen Häftlingen. Dabei wurde der Beschluss gefasst, beim Abendappell, wenn das ganze Lager angetreten war, aus dieser Isolierbaracke – die war von einer Postenkette umstellt – auszubrechen und zum Appellplatz zu rennen. Unsere Losung lautete: »Schießt doch, ihr Hunde!«

Wir haben also das Fenster der Baracke aufgestoßen. Die Posten draußen waren ganz verdutzt. Da wir in Richtung Appellplatz liefen, haben sie aber nicht geschossen. Wir sind also auf den Appellplatz gerannt, haben die Losung gerufen und sind auf die SS los. Die waren natürlich stärker und haben uns zusammengeschlagen, direkt am Lagertor, am Turm A. Es gab ziemlichen Aufruhr. Der Lagerführer fragte nach unserem Anführer. Horst Jonas meldete sich und antwortete, dass wir überzeugt seien, wir würden nicht auf Transport, sondern in den Erschießungsgraben gehen. Der Lagerführer ordnete an, uns die Kleidung zurückzugeben und uns noch am selben Abend nach Auschwitz deportieren zu lassen. Das ist dann auch passiert.“

Auschwitz

22.10.1942 Überstellung von jüdischen polnischen Häftlingen aus dem KL Sachsenhausen in das KL Ausschwitz zum Ausbau des BUNA-Werks in Auschwitz Monowitz; auf diesem Transport befanden sich neben Nathan Hirschtritt, Horst Jonas, Adam König auch Abraham Matuszak.

25.10.1942 Deportation von 454 jüdischen Häftlingen von Sachsenhausen nach Auschwitz zum Ausbau des BUNA-Werkes in Monowitz

Ankunft und Selektion in Auschwitz; Nathan Hirschtritt wird eingewiesen in Auschwitz III zum Aufbau des IG-Farben Werkes Buna Monowitz, Auschwitz-Häftlingsnummer ?

18.1.1945 „Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; ca 60 000 Häftlinge auf dem Todesmarsch über 80 km von Auschwitz nach Gleiwitz; Isidor Philipp berichtet:

„Von dort begann dann – in offenen Kohlewaggons und bei 15 Grad unter Null – die Fahrt durch Polen, Tschechoslowakei und Österreich zurück nach Deutschland.“

KL Nordhausen

Außenlager des KZ Buchenwald KL Mittelbau Dora bei Nordhausen, V2-Produktion

28.1.1945 -2.2.1945 Transport mit vielen anderen Paderborner Chaluzim in das KL Mittelbau Dora bei Nordhausen, V2-Produktion, von dort direkt ins KL-Außenlager von Mittelbau Dora, in die Boelcke-Kaserne in Nordhausen; Dora-Mittelbau war Außenlager des KZ Buchenwald Sommer 1943-Oktober 1944, dann eigenständiges Konzentrationslager

3.4.1945 fataler Luftangriff der Allierten auf die Boelcke-Kaserne mit 1000 Toten und 2000 weiteren in den nächsten Wochen. Das entstehende Inferno nutzen viele im HKB eingesetzte Häftlinge zur Flucht, so auch Nathan Hirschtritt.

11.4.1945 Befreiung von Nordhausen durch US-Truppen (3rd Armored Division, 104th Infantry Division, 9th Infantry Division)

Nach der Befreiung zunächst mit anderen (Zionisten?) nach Frankreich, später dann in die sowjetisch besetzte Zone (SBZ, „Ostzone“)

April 1943 Vater Leo Hirschtritt im KL Agnone

Mai 1943 Vater Leo Hirschtritt im KL Ferramonti

Gedenken/Erinnerung

1987 Grabstein für Nathan Hirschtritt Friedhof Pankow III, Berlin Niederschönhausen

19.6.1988 Page of Testimony für die Mutter Dora von Max Hirschtritt/Moshe Ofer

1988 Buch von Len Crome über Jonny Hüttner „UNBROKEN“

September 2015 in der Liederbestenliste der Gruppe Grenzgänger „In Kerkermauern sitzen wir“, 1937 von dem Widerstandskämpfer Hans „Jonny“ Hüttner alias Nathan Hirschtritt in einem Brandenburger Gefängnis geschrieben

Quellen

Thomas Friedländer, Bonzos Auge; Edition Schwarzdruck, 2023

Konrad Kwiet, Helmut Eschwege; Selbstbehauptung und Widerstand, 1984

https://jungle.world/artikel/2004/16/wir-riefen-schiesst-doch-ihr-hunde

https://yvng.yadvashem.org/ad

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/2614037

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/3767128

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12115183

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12115364

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12117267

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12119292

Pilarczyk, Ulrike (Hrsg) Hachschara und Jugendalija, Schulmuseum Steinhorst, 2019

https://www.mappingthelives.org

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=FL4311316

Staatsarchiv Israel, Einwanderungslisten

Video-Interview mit Issy Philipp 1994

Naftali-Rosenthal-Ron, Aufblitzende Erinnerungen, Autobiografie; deutsche Übersetzung von Alice Meroz, Berlin 2015

Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz

Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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