Baumwol Jutta

Jutta Baumwol

Foto Itzchak Baumwol

*4.5.1925 in Danzig; ✡ 1943 in Auschwitz;

Staatsangehörigkeit polnisch; staatenlos

Religion jüdisch

Vater Yechiel Baumwol *21.1.1894 in Warschau; ✡?

Mutter Miriam Baumwol *5.10.1892 in Warschau; ✡ ?

Onkel Simon Baumwol *21.9.1900 in Warschau; ✡ 12./13. Oktober 1941 Massenerschießung in Zasavica

Geschwister

Rebecca Baumwol *ca 1921 in Danzig; ✡?

Sara Baumwol *? in Danzig; ✡?

Itzhak Baumwol *5.3.1930 in Danzig; ✡ 10.5.2023 in Tel Aviv

Beruf

Adressen Danzig, Langgasse; Hamburg; Schniebinchen, Landsberg a. d. Warthe; Neuendorf

Heirat

Kinder

Weiterer Lebensweg

17.5.1939 mit den Eltern bei Minderheiten-Volkszählung

1939 zur Hachschara nach Schniebinchen

Mai 1940 Vereinbarung der Jüdischen Gemeinde in Danzig mit Adolf Eichmann, dass 500 Juden nach Palästina auswandern dürfen.

1941 Juttas Eltern und Geschwister verlassen als eine der letzten organisierten jüdischen Gruppen Danzig. Jutta beschließt mit den Chawerim auf Hachschara zu bleiben. Sie kommt zum Abschied aus Schniebinchen nach Danzig.

Ihr Bruder Itzchak erinnert sich:

„Meine Eltern erlaubten es ihr. Es erschien viel wahrscheinlicher, dass sie über die Hachschara-Bewegung schließlich Palästina erreichen könnte, denn wir wussten ja gar nicht, was mit uns werden würde“

Sommer 1941 nach Auflösung von Schniebinchen nach Hamburg (Kibbuz Rissen?)

5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Um­be­nen­nung der noch bestehenden in „Jü­di­sches Ar­beits­ein­satz­lager“

Mai bis September 1941 Auflösung der Hachscharalager Ahrensdorf, Jessen, Havelberg; Verlegung der Chaluzim in das Lehrgut Neuendorf im Sande; nur ein kleiner Teil darf noch im Landwerk arbeiten, die meisten werden zur Zwangsarbeit bei Unternehmen in Fürstenwalde verpflichtet.

17.1.1942 aus Hamburg zum Landwerk Neuendorf

Jutta in Neuendorf (rechts)

Sie schreibt regelmäßig Briefe an die Familie in Palästina

2.4.1942 Verhaftung der älteren und der bereits bei der Gestapo zuvor auffällig gewordenen Chaluzim aus Neuendorf und Deportation auf Lastwagen in eine große Turnhalle nach Frankfurt/Oder

3.4.1942 Deportation dieser Neuendorf-Gruppe mit 1009 Personen nach Warschau

November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“

20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“

März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz und ins „Generalgouvernement“ deportiert.

31.3.1943 Die Belegschaftsliste des Landwerk Neuendorf enthält 96 Männer (drei abwesend) und 66 Frauennamen

7.4.1943 Zustellung der Transportlisten für Neuendorf

Sie schreibt ein DRK-Telegramm an ihre Schwestern auf Mauritius; Bruder Itzchak berichtet:

„Sie schrieb uns, ich fahre zur Oma. Und die Oma war lange tot.

„Seid stark und wach! Ich bin’s auch.

schrieb sie, und am Ende ‚Auf Wiedersehen ?‘ mit einem Fragezeichen. Sie wusste, dass sie nach Auschwitz kommt, sie kannte ihr Schicksal.“

10. 4.1943 aus Neuendorf mit LKW nach Fürstenwalde, von dort mit der Bahn nach Berlin; zu Fuß ins Sammellager Große Hamburger Straße

19.4.1943 auf dem 37. Osttransport als Teil der Fabrikaktion, allein 153 Personen aus dem Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde.

Esther Bejarano erinnert sich:

„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“

Esther berichtet auch, dass viele alte und schwache Menschen diesen mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Miriam Edel, Anne Borinski, Hilde Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg, Herbert Growald und noch viele andere.

20. 4. 1943 Ankunft in Auschwitz; Notiz im Lagerbuch von Auschwitz:

„Mit einem Transport der RSHA […] sind etwa 1 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41870 bis 42027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen.
Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“

Jutta Baumhol zur Zwangsarbeit in Auschwitz-Birkenau eingewiesen.

Arbeit in der SS Verwaltung im Gebäude der SS-Kommandantur in Birkenau

Tod 1943 im Häftlingskrankenbau in Auschwitz Birkenau an Typhus

Alle Briefe, die ihre Eltern und ihre Schwestern im Mai und Juni 1943 nach Neuendorf schickten, blieben unbeantwortet. Eine Antwort kam von einem Chawer Erich(in Betracht kommt hier nur Erich Wallach, der mit seinen zwei Brüder als „Geltungsjude“ noch bis 1944 in Neuendorf blieb), der an ihre Eltern zurück schrieb, dass Jutta nach Osten geschickt wurde und er denkt, sie ist mehr oder weniger in Ordnung…

Eltern und Bruder Jitzchak Alija Beth auf der SS ATLANTIC

August 1940 abgemeldet zunächst Zugfahrt nach Bratislawa (Pressburg)

10.9.1940 zum Donauhafen von Bratislava; dort Verteilung der Chalutzim auf die drei Ausflugsdampfer URANUS, MELK und SCHÖNBRUNN

10.-20.9.1940 von Bratislava nach Tulcea am Schwarzen Meer;

Anfang Oktober 1940 werden 1000 Flüchtlinge auf die drei Schiffe SS PACIFIC, SS MILOS und SS ATLANTIC verteilt, Deutsche auf die PACIFIC, Tschechen auf die MILOS.

Zwischenstopp im Hafen Agios Nikolaos, Kreta, um Kohle aufzunehmen

31.10.1940 von britischer Marine aufgebracht und in den Hafen von Haifa geleitet

1.11.1940 Ankunft der SS PACIFIC in Haifa

4.11.1940 Alle Passagiere der SS PACIFIC werden auf die SS PATRIA umgeschifft, dem von den Briten beschlagnahmten, als Truppentransporter umgebauten, großen französischen Frachtschiff (18 000 t)

5.11.1940 Ankunft der tschechischen Emigranten auf der SS MILOS, die ebenfalls auf die PATRIA verbracht werden

zunächst auch zur Deportation nach Mauritius vorgesehen

23. oder 24.11.1940 Ankunft der SS ATLANTIC in Haifa; die Ankunft der ATLANTIC erfolgt so spät, dass die Passagiere  am 25.11.1940 nur zum Teil auf die SS PATRIA umgeladen sind.

25.11.1940 Sprengstoff-Anschlag der Haganah im Maschinenraum der SS PATRIA, zu diesem Zeitpunkt waren bereits 1771 jüdische illegale Einwanderer auf das Schiff gebracht.

Walter Steinitz, ebenfalls aus dem Umschulungslager Paderborn kommend, berichtet:

“ Am 25.November morgens um neun Uhr mussten alle auf die Reling, denn der Colonel hatte die Instruktion gegeben, aber um 9.12 Uhr hatte ein Kommando von 60-80 jungen Leuten ins Wasser zu springen, um die Engländer abzulenken, die mit kleinen Booten die Menschen auffischten. Zeitentsprechend zündete einer von uns eine Bombe, keine Zeitbombe, und ist mitgetötet worden. Es war der zweite Transportleiter – Hans Wendel. Niemand hatte von dieser Aktion gewußt – außer acht Leuten. Innerhalb von ein paar Minuten neigte sich das Schiff zur Seite. … Von den 4000 auf der SS PATRIA zusammengedrängten Menschen verloren etwa 260 ihr Leben.“ (ca 200 von 1771)

Die ins Wasser gesprungenen und die an Bord Überlebenden werden als Schiffbrüchige der SS Patria von den Briten an Land gebracht.

25.11.1940 Internierung in einer Lagerhalle im Hafen von Haifa; die von Bord gesprungenen werden in die Arrestzellen der Polizeiwache von Haifa; Serie von Verhören, insbesondere wenn sie von den Briten der Zugehörigkeit zur Haganah verdächtigt wurden.

26.11. und 8.12.1940 die Überlebenden der SS PATRIA werden mit Bussen in das Internierungscamp Atlith verbracht;

Dezember 1940 die noch auf die Umladung wartenden Schwestern werden mit 1581 Emigranten auf der MILOS und ATLANTIC werden als „Detainees“ mit holländischen Frachtschiffen nach Mauritius deportiert. Dort trafen sie am 26.12.1940 ein und wurden in das das Zentralgefängnis von Mauritius nahe Beau Bassin verbracht.

1940 zunächst nur Freilassung kleiner Gruppen aus dem Camp Atlith, die eine Aufnahmeadresse in Palästina vorweisen können

September -Dezember 1941 Entlassung der meisten Internierten aus dem Camp Atlith

12.8.1945 Es sollte noch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dauern, bevor die Schwestern mit 1.310 überlebenden Flüchtlingen aus Mauritius auf der SS FRANCONIA in das ersehnte Eretz Israel gebracht werden konnten.

9.9.1947 Schreiben von Yechiel Baumwol an den High Commissioner

Onkel Simon Baumwol auf dem Kladovo-Transport Sonderhachschara Nr. 5

Vom Hechaluz Österreich organisierte Alijah; Plan über die Donauroute, Schwarzes Meer, Palästina

24./25.11.,1939 mit 822 von Wien nach Bratislava; dort kamen weitere 130 aus Berlin, 50 aus Danzig, 100 aus Prag

Anfang Dezember auf die SS URANUS zunächst nach Gyor; dann wieder zurück nach Bratislava

12.12. 1939 weiter nach Bezdan

14./15.12.1939 in Budapest auf drei jugoslawischen Schiffen SS Kraljica Marija, Car Dusan and Car Nikola zur jugoslawisch-rumänischen Grenze. Die Rumänen verweigern die Einreise

18.12.-30. 12.1939 in Prahovo

31.12.1939 die Schiffe liegen im Winterliegeplatz in Kladovo, die Flüchtlinge bleiben an Bord

Januar 1940 ein umgebauter Schleppkahn wird angehängt, um mehr Platz zu haben

Mai 1940 die Schiffe fahren ab, die Flüchtlinge suchen bei Bauern Unterkunft

19. 9.1940 die Flüchtlinge werden auf dem Kahn nach Sabac geschleppt

Unterbringung in Sabac in einer alten Mühle und einem Getreidespeicher

März 1941 verlassen bevorzugt Kinder und Jugendliche Sabac mit legalen Visa

6.4.1941 Einmarsch der Wehrmacht in Serbien

August 1941 Juden von Sabac und die Flüchtlinge in einer alten Festung Camp Sabac interniert

11.10.1941 Jüdische Männer, Zigeuner und manche Serben verlegt in das Seniak Camp

12./13. Oktober 1941 Massenerschießung in Zasavica von 2100 Männern als Vergeltungsaktion für 21 tote deutsche Soldaten; Simon Baumwol auf der Liste

Anfang Januar 1942 Frauen und Kinder des Kladovo-Transportes (ca. 750 – 800) aus dem KL Šabac deportiert in das von der SS verwaltete KL Sajmište

19. 3. bis 10. 5.1942 tägliche Fahrten eines Gaswagens mit 50 – 80 Opfer zur Erstickung mit CO-Gas

Gedenken

5.7.1955 Pages of Testimony für Jutta und Onkel Simon von Yechiel Baumwol

25.3.1990 Page of Testimony für Jutta von ihrem Freund aus Neuendorf Eli Heymann

Juni 2018 Denkmal für Jutta Baumwol in Neuendorf auf Betreiben des Bruders Itzchak; Foto Neuendorf e.V.

Quellen

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

https://taz.de/Denkmal-fuer-Hachschara-Landgut/!5520160/

BILDER & DOKUMENTE – הכשרות החלוץ בגרמניה – דור המשך (hachshara-dor-hemshech.com)

https://yvng.yadvashem.org/ad

http://www.maapilim.org.il/notebook_ext.asp?book=27658&lang=eng&site=maapilim

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1044135

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de213815

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212882

Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883

Peter W. Lande,  Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History

https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=FL4311316

Anneliese Ora Borinski, Erinnerungen

Esther Bejarano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989

Esther Bejarano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013

Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386

Herbert Fiedler, Eine Geschichte der Hachschara; Verein Internationale Begegnungsstätte Hachschara-Landwerk Ahrensdorf e.V

Herbert und Ruth Fiedler, Hachschara, Hentrich & Hentrich 2004

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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