Hirsch Paul

Paul Hirsch

*12.12.1914 in Aachen; ✡  14.11.1979 in Buenos Aires

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Heinrich Hirsch *16.5.1881 in Aachen; ✡ 5.2.1926 in Aachen

Heirat der Eltern 12.11.1913

Mutter Olga Heinemann *8.7.1887 in Grevenbroich; ✡ 17.1.1957 in Buenos Aires, Pando, Bolivien

2. Ehe der Mutter 1.10.1927 in Aachen

Stiefvater Martin Rafael *17.12.1882 in Neustadt, Posen;

Bruder

Alfred Fredi Hirsch * 11.2.1916 in Aachen; ✡ 8.3.1944 in Auschwitz

Beruf Lehrer, Rabbiner

Adressen Aachen; Breslau; Alt-Schermbeck; Buenos Aires

Heirat Narcisa Heuser

Kinder drei

Weiterer Lebensweg

Vater Heinrich Metzger und Lebensmittelgroßhändler in Aachen

1926 Tod des Vaters Heinrich Hirsch nach langer Krankheit

1.10.1927 in Aachen zweite Ehe der Mutter mit Martin Rafael

Die Brüder besuchen die Hindenburg-Schule, Oberrealschule mit Realgymnasium in Aachen

Fredi Hirsch in Pfadfinderkluft

1932 Gründer der Ortsgruppe des Jüdischen Pfadfinderbundes JPD in Aachen; beide Brüder in führenden Positionen des JPD (1934 mit dem Sportverein Makkabi zu JPD-Makkabi Hatzair fusioniert)

1934 Bruder Fredi zieht nach Düsseldorf, dort Leiter des JPD

Paul Hirsch studiert am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau

Die Hachschara Bewegung

In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.

Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.

Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).

So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.

Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.

Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.

Haus Berta am Freudenberg bei Alt-Schermbeck

Auf Betreiben von Leo Gompertz, Vorsitzender der RjF-Ortsgruppe Gelsenkirchen entstand 1934 auf dem Heide und Waldgelände des Julius Goldschmidt ein Jugend-und Ferienheim, Haus Berta, benannt nach der Mutter des Julius Goldschmidt. Die feierliche Eröffnung fand am 29.7.1934 im Beisein von reichsweiter RjF- und Rabbinats-Prominenz statt. Heimleiter wurde Dr. jur. Willi Stern, 1933 von den Nazis außer Dienst gestellter Amtsgerichtsrat aus Recklinghausen. Madrich für das erste Landsommerhalbjahr 1935 war Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege.

Die geistliche Betreuung übernahm der zuständige Bezirksrabbiner Dr. Selig Auerbach aus Recklinghausen. Das Ehepaar Leo und Rosa Auerbach war für die Hauswirtschaft zuständig, Ruth Stamm für den Jugendsport und die Gymnastik. Die vom Hamburger Oberrabbiner Dr. Joseph Carlebach empfohlene Edith Möller aus Hamburg-Altona führte die streng koschere Küche.

Vom 10.5.-31.10.1935 fand das bereits an einer Hachschara ausgerichteten erste Landhalbjahr statt; Madrich war Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege.

Als vermutlich bewusste Provokation wurde Haus Berta 1937 während eines wie immer besonders festlich begangenen Freitagabend-Gottesdienst zum jüdischen Schabbat von der Gestapo geschlossen.

Aus dem Lagebericht von 1937 der Staatspolizeidienststelle für den Regierungsbezirk Münster:

„Die polizeiliche Schließung des jüdischen Ferienhauses (…) hat nach dem vorliegenden Bericht des Landrats in Recklinghausen in der Bevölkerung lebhafte Befriedigung ausgelöst.“

Paul Hirsch in Haus Berta

Eröffnung 29.7.1934, Willy Stern (blau) in der Aachener JPD-Gruppe; Paul Hirsch (gelb) hält die Ansprache für die Jugend

Paul Hirsch gehörte schon zur Aufbaugruppe. Bei der Eröffnungsfeier am 29.Juli 1934 soll er die Rede halten im Namen der Aachener jüdische Sportgruppe des RjF, die zur Eöffnung mit großen Gruppe angereist war : Dazu schreibt Heinz Isakowitz 1963:

Zeltlager der Aachener Gruppe

Sommer 1934 in das Ferienheim/ Umschichtungslager „Haus Berta“ am Freudenberg bei Alt-Schermbeck in Trägerschaft des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten RjF

10.5.-31.10.1935 Erstes Landhalbjahr in „Haus Berta“

Paul Hirsch geht ins Auswandererlehrgut Groß-Breesen; Lagerleiter war Curt
Bondy (1894–1972)

10.11.1938 Novemberpogrom, Überfall der SS in Groß Breesen

Werner „Töpper“ Angress (Amsterdam) berichtet:

„Nachdem ich noch mit Frosch zusammen war, fand ich beim Nachhauskommen Hilla vor […] Sie erzählte, daß sie Breesen kurz und kleingeschlagen haben. SS stahl Geld, Schreibmaschinen usw.. Es ist furchtbar. Die Jungen scheinen in Buchenwald zu sitzen. Ich hatte gerade mit Schwarzschild telefoniert, der mir die Grenzübertrittsscheine von Prinz, Juwa und Paul Hirsch bestätigte. Die Jungen müssen sehr, sehr bald raus. Hilla will Donnerstag nach Australien.“

17.5.1939 Mutter Olga mit Ehemann Martin Raphael in Hamburg-Harvestehude, Klosterstern bei der Minderheitenzählung

1939 Emigration der Mutter Olga mit Ehemann Martin Raphael nach Bolivien

Paul Hirsch geht nach Bolivien. Dann nach Buenos Aires, dort als Lehrer und Rabbi tätig.

Wohnadresse: Estanislao del Campo 1528, Florida, Prov. Buenos Aires

25.6.1963 Einreise nach Brasilien

Anfrage von Leo Gompertz, Gründer von Haus Berta

Das Schicksal des schwulen Bruders Alfred

1926-1931 Hindenburg-Schule Oberrealschule und Gymnasium in Aachen

Ab 1933 Gruppenleiter, Sportlehrer in den Sportgruppen des Makkabi in Aachen; Düsseldorf; Frankfurt

in Bautzen (Inhaftiert?)

1934 von Düsseldorf nach Frankfurt

November 1935 von Frankfurt Flucht nach Prag

1936 nach Brünn (Brno); dort lernt er den Medizinstudenten Jan Jenda Mautner kennen

Fredy Hirsch und Jan Mautner hatten eine schwule Liebesbeziehung, wohnen zusammen; gemeinsam im Makkabi aktiv

1939 nach Prag

24.11.1941 Verhaftung mit 324 führenden Zionisten in Prag

4.12.1941 von Prag Transport Ak-1 STAB als „Aufbaukommando“ nach Theresienstadt

6.9.1943 von Theresienstadt nach Auschwitz

8.3.1944 Suizid in Auschwitz; Diagnose eines SS-Arztes: Überdosis von Schlafmitteln

Gedenken

1.12.1997 Page of Testimony von Frantisek Kraus

16.1.2008 Stolperstein für Alfred Hirsch in Aachen, Richardstraße 7

2017 Israelischer Dokumentarfilm von Rubi Gat mit Zeitzeugen „Dear Fredy

24.6.2021 Stolperstein für Alfred Hirsch ersetzt mit neuem Text in Aachen, Richardstraße 7

Quellen

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

US Census, Volkszählung 1940 der Vereinigten Staaten – Paul Hirsch

https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/Publikationen_digital/Werner%20T%20Angress%20Generation%20zwischen%20Furcht%20und%20Hoffnung.pdf

Anna Hajkova Zeitungsbericht; Tagesspiegel vom 30. August 2018

Fredy Hirsch

https://www.stolpersteine-homosexuelle.de/wp-content/uploads/2021/01/Presse-Tagesspiegel-Fredy-Hirsch-und-Jan-Mautner-30.8.2018.pdf

https://en.wikipedia.org/wiki/Fredy_Hirsch

Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 6440); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1465767

Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5046501

https://www.jmw-dorsten.de/hachschara-auf-haus-berta/

https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/785194

https://archive.org/details/leogompertzcolle01gomp/page/n59/mode/1up?view=theater

http://www.holstina.de/history/hausberta.html

https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-345341#id20

http://www.dorsten-unterm-hakenkreuz.de/2012/05/28/haus-bertha-am-freudenberg-ein-lichtblick-und-kurzer-hoffnungsstrahl-fur-bedrangte-judische-kinder-aus-dem-reich-den-willen-zum-uberleben-gestarkt/

https://www.schermbeck-grenzenlos.de/index.php/aktuelles/2-uncategorised/17069-auf-den-spuren-der-geschichte-von-haus-berta

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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