Kurt Stern
*27.1.1920 in Meinerzhagen; ✡ 30.1.200o in Burlingame, San Matteo, California
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Leo Stern *5.9.1882 in Meinerzhagen; ✡ nach dem 28.4.1942 in der Region Zamosc
Heirat der Eltern 1910 in Münster
Mutter Erna Rosenberg *17.12.1887 in Münster; ✡ nach dem 28.4.1942 in der Region Zamosc
Tante Olga Karola Stern *28.6.1891 in Meinerzhagen; ✡ nach dem 28.4.1942 in der Region Zamosc
Geschwister
Franziska Stern *9.8.1911 in Meinerzhagen; ✡ nach 1961 in England; oo Lieber; oo Martin
Bernard Stern/ Stevens * 1912 in Meinerzhagen; ✡ nach 1945 USA; oo Elsie Altmann
Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant
Adressen Meinerzhagen, Kirchstraße 5; Alt-Schermbeck; Shanghai; San Francisco
Heirat bereits in Shanghai mit Ellen Heymann *3.6.1924 in Köln
Kinder
Zwei Töchter
Kindheit und Jugend in Meinerzhagen
Mitglied im Skiclub Meinerzhagen bis zu seinem Ausschluss 1934
bis 1935 Besuch der Realschule „Selekta“, weiterer Schulbesuch wird untersagt
Mai 35 Kurt Stern in das Ferienheim/ Umschichtungslager „Haus Berta“ am Freudenberg bei Alt-Schermbeck in Trägerschaft des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten RjF
10.5.-31.10.1935 Erstes Landhalbjahr in „Haus Berta“
Die Hachschara Bewegung
In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.
Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.
Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).
So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.
Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.
Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.
Haus Berta am Freudenberg bei Alt-Schermbeck
Auf Betreiben von Leo Gompertz, Vorsitzender der RjF-Ortsgruppe Gelsenkirchen entstand 1934 auf dem Heide und Waldgelände des Julius Goldschmidt ein Jugend-und Ferienheim, Haus Berta, benannt nach der Mutter des Julius Goldschmidt. Die feierliche Eröffnung fand am 24.8.1934 im Beisein von reichsweiter RjF- und Rabbinats-Prominenz statt. Heimleiter wurde Dr. jur. Willi Stern, 1933 von den Nazis außer Dienst gestellter Amtsgerichtsrat aus Recklinghausen. Madrich für das erste Landsommerhalbjahr 1935 war Heinz Kahn (HaKa)aus Eschwege.
Die geistliche Betreuung übernahm der zuständige Bezirksrabbiner Dr. Selig Auerbach aus Recklinghausen. Das Ehepaar Leo und Rosa Auerbach war für die Hauswirtschaft zuständig, Ruth Stamm, die Nichte des Gründers Gompertz, für den Jugendsport und die Gymnastik. Die vom Hamburger Oberrabbiner Dr. Joseph Carlebach empfohlene Edith Möller aus Hamburg-Altona führte die streng koschere Küche.
Vom 10.5.-31.10.1935 fand das bereits an einer Hachschara ausgerichteten erste Landhalbjahr statt; Madrich war Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege.
Als vermutlich bewusste Provokation wurde Haus Berta 1937 während eines wie immer besonders festlich begangenen Freitagabend-Gottesdienst zum jüdischen Schabbat von der Gestapo geschlossen.
Aus dem Lagebericht von 1937 der Staatspolizeidienststelle für den Regierungsbezirk Münster:
„Die polizeiliche Schließung des jüdischen Ferienhauses (…) hat nach dem vorliegenden Bericht des Landrats in Recklinghausen in der Bevölkerung lebhafte Befriedigung ausgelöst.“
Weiterer Lebensweg
1936 bis April 1938 zur Hachschara ins Landwerk Neuendorf bei Berlin
April 1938-März 1939 Gärtnerlehre an der Israelitischen Gartenbauschule Ahlem bei Hannover
10.11.1938 entgeht Kurt durch Hilfe eines nichtjüdischen Gärtnermeisters der Verhaftung
10.11.1938 Vater inhaftiert im Novemberpogrom; Arrest zunächst im Polizeigefängnis Kierspe, 11.11.1938 Vater im Gefängnis in Lüdenscheid; über die Steinwache Dortmund nach Sachsenhausen
13.11.1938 Vater in „Schutzhaft im KL Sachsenhausen Häftlingsnummer 11449
22.12.1938 Entlassung des Vaters aus Sachsenhausen
April 1939 Bruder Bernhard Flucht nach Shanghai; dort bis 1945 im Ghetto;
Mai 1939 vor der Emigration über Italien nach Shanghai, kommt er zum Abschied noch einmal nach Meinerzhagen zu den Eltern: Schilderung von Kurt Stern, was er in Meinerzhagen erleben musste, als er von Neuendorf bei Berlin in seine Heimatstadt fuhr:
„Ich kam mit dem Zug an und ging die Bahnhofstraße runter nach Hause. Da sah ich zwei frühere Klassenkameraden. Aber die drehten sich weg, als sie mich sahen. Keiner grüßte mich. Hinter meinem Rücken hörte ich einen sagen: ,Ich dachte doch, der dreckige Jude ist längst ausgewandert’. Dann hat man mit Steinen nach mir geworfen. Und am Abend marschierte die Hitlerjugend an unserem Haus vorbei. Ehemalige Klassenkameraden von mir waren auch dabei. Die sangen ihre Lieder. Eine Zeile vergesse ich nie. Die geht so: ,Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut….’ Und das in einem Ort, wo jeder jeden kannte. Nach zwei Tagen bin ich aus Meinerzhagen weg. Für immer.“
Ende Mai 1939 Flucht mit der Eisenbahn nach Italien (Genua) und von dort vermutlich mit dem Linienschiff SS Conte Biancamano nach Shanghai
Mai 1939 Kurt Stern Flucht nach Shanghai; mit Bruder Bernhard bis 1945 im Ghetto;
25.8. 1939 Schwester Franziska mit britischen“ Domestic Permit“ als Dienstmädchennach England
28.4. 1942 Eltern und Tante Karola ab Dortmund ins Ghetto Zamosc deportiert
16.5.1947 mit Ehefrau Ellen und Bruder Bernhard auf der USS GENERAL W H GORDONvon Shanghai nach San Francisco
Aufbau eines erfolgreichen Anstreicherunternehmens gemeinsam mit Bruder Bernhard
1963 heftiger Schriftwechsel mit dem Gründer von Haus Berta Leo Gompertz; Kurt hatte den militärischen Stil im Lager des RjF moniert
Januar 2000 schreibt Kurt Stern an die Stadt Meinerzhagen:
„dass meine Heimat jetzt Amerika ist und Israel meine zweite ist, und Deutschland für mich nicht mehr existiert“.
Gedenken
Stolpersteine für Kurt, die Eltern und Geschwister Stern in Meinerzhagen, Kirchstraße 5
Quellen
http://www.stolpersteine-meinerzhagen.de/index.php/verlegeorte-stolpersteine/kirchstrasse-5.html
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://genealogyindexer.org/view/1939Shanghai/115
Passenger Lists of Vessels Arriving at San Francisco, CA, 1893-1953 (National Archives Microfilm Publication M1410, roll 389, line number 4, record id 004894242_00709_3); Digital Folder Number 004894242, Image Number 00709
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de976963
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de976393
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de976904
Anträge und Ansprüche der US-amerikanischen Sozialversicherung, 1936-2007
Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947
https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/785194
https://archive.org/details/leogompertzcolle01gomp/page/n59/mode/1up?view=theater
http://www.holstina.de/history/hausberta.html
https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-345341#id20
Peter W. Lande, Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History
https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt