Ernst Josef Kramer, später Cramer
*28.1.1913 in Augsburg; ✡19.1.2010 in Berlin
Staatsangehörigkeit deutsch
Vater Martin Cramer *8.8.1880 in Speyer; ✡ nach April 1942 in der Region Piaski
Heirat der Eltern 4.11.1911 in Augsburg
Mutter Clara Berberich *26.8.1886 in Augsburg; ✡ nach April 1942 in der Region Piaski
Geschwister
Helene Kramer *26.1.1916 in Augsburg; ✡11.5.1967 in Houston; David Feldman
Erwin Kramer *1.8.1921 in Augsburg; ✡ nach April 1942 in der Region Piaski
Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant; Journalist; Verlagsmanager
Adressen Augsburg, Prinzregentenstraße 9; Groß Breesen; Hyde Farmlands; Berlin
Heirat 1948 in München mit Marianne Untermayer *10.1.2016 in Augsburg; ✡18.7.2008 Berlin
Kinder zwei
Tochter Cramer; oo Jebsen
Weiterer Lebensweg
Hier sollen nur einzelne Facetten des Lebensweges mit Bezug zu Groß Breesen bis in die Nachkriegszeit aufgezeichnet werden, es liegen bereits umfangreiche biografische Darstellungen vor.
1922 Vater Martin Cramer gründet mit Brecht die Literarische Gesellschaft Augsburg.
Ernst Cramer muss die höhere Schule wegen Armut der Familie verlassen, um zu arbeiten
Dezember 1933 Ernst Cramer führend beim Zusammenschluss der nichtzionistischen Jugend zum „Bund deutsch jüdischer Jugend“ BdjJ, später „der Ring“ BdjJ, zuletzt als „Bund der jüdischen Jugend“ 1936 zwangsaufgelöst
10.11.1938 Vater verhaftet im Novemberpogrom;
11.11.1938 Vater inhaftiert als „Aktionsjude“ im KL Dachau
20.12.1938 Entlassung des Vaters aus dem KL Dachau
17.5.1939 Eltern und Bruder Erwin in Augsburg, Prinzregentenstraße 9 bei Minderheitenzählung
4.4.1942 Deportation der Eltern und des Bruders Erwin von München nach Piaski
Übersee-Gruppenwanderer Lehrgut Groß Breesen
Mai 1936 Eröffnung des nichtzionistischen Übersee-Gruppenwanderer Lehrgutes Groß Breesen; im Gegensatz zu anderen Lagern ist Groß Breesen nicht an jüdische Organisationen gebunden, war jedoch stark geprägt vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V., assimiliert, liberal, national)
Mai 1936 Ernst Cramer zur Hachschara ins Überseeauswanderer Lager Groß Breesen
1936-1939 Curt „Bo“ Bondy Lagerleiter und pädagogischer Leiter, auf Bitten von Leo Baeck; von vielen ‚Groß-Breesenern‘ wurde er als charismatische Persönlichkeit, der sie viel zu verdanken haben, verehrt. Unterstützt wurde er von Ernst Cramer als erwachsenen Praktikanten.
Leiter der landwirtschaftlichen Ausbildung war Oberinspektor Erwin Scheier dessen Frau Ruth oblag die Hauswirtschaft, Tischlermeister Max Kiwi die Schreinerei.
10.11.1938 Überfall der SA auf den Hof in Groß Breesen, alle über 18-Jährigen Männer werden mit einem Bus abgeführt und ins KL Buchenwald gebracht, auch Curt Bondy, der als Homosexueller besonders gefährdet war.
Werner „Töpper“ Angress (Amsterdam) berichtet:
„Nachdem ich noch mit Frosch zusammen war, fand ich beim Nachhauskommen Hilla vor […] Sie erzählte, daß sie Breesen kurz und klein geschlagen haben. SS stahl Geld, Schreibmaschinen usw.. Es ist furchtbar. Die Jungen scheinen in Buchenwald zu sitzen. Ich hatte gerade mit Schwarzschild telefoniert, der mir die Grenzübertrittsscheine von Prinz, Juwa und Paul Hirsch bestätigte. Die Jungen müssen sehr, sehr bald raus. Hilla will Donnerstag nach Australien.“
10.11.-10.12. 1938 Ernst Cramer als „Aktionsjude“ im KL Buchenwald, Häftlingsnummer 27833
Ernst Kramer berichtet darüber
„Nach einer weiteren apokalyptischen Nacht war ich einer von zwölf jungen Häftlingen, die Kranke und Tote aus den Baracken in das Waschhaus bringen mussten, während sich die anderen der Größe nach in Hundertschaften auf dem Appellplatz formierten. Als wir mit unserer makabren Arbeit fertig waren, wurden wir dem Hunderter-Block mit den kleinsten Leuten zugeteilt, so dass wir zwölf unsere
Nachbarn um 20 und mehr Zentimeter überragten. Ein SS-Mann in makelloser schwarzer Uniform versuchte, diese Disssymmetrie zu beseitigen, indem er jedem von uns mehrere Male mit einer Holzplatte auf den Kopf schlug. Zum Glück kam über den Lautsprecher der schnarrende Befehl ‚Alle Judenvögel sofort in die Baracken!‘, ehe die Schläge auf unsere Schädel Schlimmeres anrichten konnten als ein paar Beulen und Schrammen und pochende langandauernde Kopfschmerzen.“
9.12.1938 Entlassung von Ernst Cramer, Curt Bondy, Lagerleiter Erwin Scheier und Ludwig Fröhlich aus dem KL Buchenwald (Häftlingsnummern 27833, 28381, 27854 und 27982)
Die Entlassungen der Groß-Breesener erfolgen, nachdem Martin Gerson, Lagerleiter von Lehrgut Winkel beim Lagerkommandanten von Buchenwald vorstellig geworden war.
11.12.1938 Eintreffen im Lehrgut Groß Breesen
15. 12.1938 Flucht nach Amsterdam
Dezember 1938 plant er zunächst von Amsterdam über London auf eine Farm in Kenia zu gehen.
Werner Töpper Angress schreibt dazu:
„Die Jungen der Kenyagruppe, Jochen Feingold, Ernst Cramer, Mösch Braun, Heinz Lichtenstein und noch einer, auf dessen Namen ich eben nicht komme, fahren bereits im Laufe dieser Woche nach England und wohl schon Anfang Januar nach Mombasa weiter.“
17.5.1939 Ernst Cramer in Groß Breesen bei Minderheitenzählung
21.7.1939 Passausstellung für Ernst Cramer in Berlin
31.8.1941 Gestapobefehl: Das Lehrgut Groß Breesen wird Arbeitslager
Die Thalhimer-Farm „Hyde Farmlands“
11.-18.8.1939 Ernst Cramer mit Ernst Heimann auf der SS HAMBURG von Southampton nach New York
Zieladresse
William B. Thalhimer, Warenhausbesitzer in Richmond, kaufte die Farm „Hyde Farmlands“ in Nottoway County, Virginia zur landwirtschaftlichen Ausbildung jüdischer Jugendlicher für die „Virginiagruppe“ der Breesener (Chawerim aus dem Hachscharalager Groß-Breesen)
1940 Vierundzwanzig Groß-Breesener können mit einer Sonderquote für Landwirte nur für die Hyde Farmlands einreisen.
30.4.1940 Ernest Cramer bei US Census erfasst in Haytakol, Nottoway auf Hyde Farmlands als „farmhand“ mit den zwei Werkdorpern Gerd Tworoger und Hermann Kiwi, 24 jüdischen Flüchtlingen aus Groß-Breesen, so auch Rolf Falkenstein aus Recklinghausen
Als „Head“ wird Henry Cornes Heinz Kahn (HaKa) aus Eschwege geführt
Ende 1941 nach Erkrankung von Thalhimer wird die Farm geschlossen; bei Kriegseintritt der USA gehen viele Chawerim in die US Army;
Studium am Mississippi State College und an der Stanford University auf.
7.11.1941 Überfall Japans auf Pearl Harbour; Kriegseintritt der USA;
21.2.1941 Ernst Cramer tritt freiwillig als „private“ zur Ausbildung als „warrant officer“ in die US Army ein, „immaterial branch“. Viele der geflüchteten deutschen Juden dieser Einheit gehören später zu den „Richie Boys“
1945 Cramer als US-Soldat und amerikanischer Staatsbürger nach Deutschland
1948 bis 1954 Cramer stellvertretender Chefredakteur der Neuen Zeitung (München), herausgegeben von den US Besatzungsorganen
1954 -1958 in den USA für die Nachrichtenagentur United Press
1981 bis 1993 Cramer Herausgeber der „Welt am Sonntag“ aus dem Axel Springer Verlag
1981 bis 2010 Vorsitzender des Vorstands der Axel Springer Stiftung
19.1.2010 Tod von Ernst Cramer, Herzinfarkt
Gedenken
Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof in Augsburg- Hochfeld
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
http://www.mappingthelives.org
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de904785
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5278226
Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 6384); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85
Volkszählung 1940 der Vereinigten Staaten
Ernst Cramer, Ein Amerikaner in Buchenwald: Vor sechs Jahren war ich hier KZ-Ier, in: Die Welt, Ausgabe Nr.262, 9.11. 1978
Werner Angress, Generation zwischen Furcht und Hoffnung, 1985
https://archive.org/details/jdischesausb001f022/page/n2/mode/1up?view=theater
https://www.yumpu.com/de/document/read/3840614/21-brief-19-p745-54-gross-breesen-silesia
Niederlande, Bevölkerungsregister, 1810-1936; Bron: boek, Deel: 146, Periode: 1912-1938
https://www.oorlogsbronnen.nl/mensen?personterm=Ontruiming%20Joods%20Werkdorp%20Wieringermeer