Erich Elias Martin Naftalie
* 8.5.1920 in Dortmund; 1939 Palästina
Staatsangehörigkeit deutsch
Vater Wilhelm Naftalie *10.9.1890 in Soldau, Pommern; ✡ 1944 in Riga
Heirat der Eltern 2.12.1919 in Berlin
Mutter Rosa geb. Naftalie *20.12.1904 in Lautenburg; Riga; ✡ 28.2.1963 in Israel
Beruf Schüler
Adressen
Dortmund; Berlin, Köpenicker Straße 30; Bochum, Querenburger Straße 24, Rheinische Straße 28
Bruder
Hans Claus Naftalie *16.4.1930 in Bochum; oo Rosa ; 1939 Rotterdam; ✡28.3.1943 in Sobibor
Weiterer Lebensweg
1919- 1926 in Dortmund
Umzug nach Berlin, Köpenicker Straße 30
August 1929 Umzug der Familie von Berlin nach Bochum
August 1929 bis Ostern 1930 Erich in der jüdischen Volkschule in Bochum
Ostern 1930-8.12.1930 Erich in der Goethe-Oberrealschule
12/1930 -Ostern 1934 Besuch der jüdischen Volksschule Bochum, Lehrer Erich Mendel
Juni 1935 -Juli 1936 Gut Lobitten, Hachschara Lager der Hechaluz in Ostpreußen
Juli 1936 – Mai 1937 Gruesen bei Marburg; Kibbuz Hag Shamash, landwirtschaftliche Hachschara-Ausbildungsstätte (April 1934 bisNovember 1938)
In Grüsen stellten der jüdische Gastwirt Jakob Marx die Räume seiner Gastwirtschaft sowie sechs weitere jüdische Familien vor Ort als Übernachtungsräume zur Verfügung und verpachteten ihr Land an die RVJD, Reichsvertretung der Juden
Mai 1937 bis 10. November 1938 zur Hachschara ins Landwerk Ellguth bei Steinau, Schlesien auch als Klein Schnellendorf bei Falkenberg bezeichnet (bis 1938 in Trägerschaft des Hechaluz, Erstausbildung und mittlere Hachschara, dann des Bachad)
10.11.1938 Überfall und Auflösung des Hachschara-Lager Ellguth im Novemberpogrom
10.11.1938 Erich Naftalie mit den Chawerim verhaftet, nach Buchenwald deportiert
12.11. 1938 Inhaftierung „Schutzhaft“ im KL Buchenwald; Häftlingsnummer 27596
Dezember 1938 Entlassung aus dem KL Buchenwald
Januar 1939 Wiedereröffnung des Lagers Ellguth mit 40 Chaluzim
Dezember 1938 Erich u.a. mit Kurt Hannemann, Adolf Hafner, Joachim Simon zum Hachschara-Trainingskurs für die aus Buchenwald entlassene Gruppe aus Ellguth in der Schlosshofstraße in Bielefeld
1936-Nov. 1938 Bruder Hans besucht die jüdische Volkschule in Bochum Lehrerin Else Hirsch
10.11.1938 Erich im Novemberpogrom in Ellguth verhaftet, nach Buchenwald deportiert
10.11.1938 Vater im Novemberpogrom verhaftet, nach Sachsenhausen deportiert
Mutter Rosa Naftalie in einem Brief vom 3.12.1938:
„Genau 14 Tage nachdem Deine Lieben mit allen anderen poln. Juden so plötzlich fort mußten, ereigneten sich die Aktionen gegen das Judentum im Verlauf dessen hier in Bochum in der Nacht v. 9. zum 10. Novbr. die Synagoge abgebrannt ist! Ebenso das schöne Heim, die Schule zerstört, alle noch vorhandenen jüd. Geschäfte demoliert, sehr viele Privatwohnungen demoliert, das Mobiliar zerschlagen und am 10., 11. u. 12. Novbr. wurden alle jüd. Männer
von 14 Jahren ab in Schutzhaft genommen! Alle, beide Rabbiner, Mendel, alle Vorstandsmitglieder – inzwischen sind die 14-jährigen Knaben und die Männer über 60 Jahren entlassen worden – d.h. soweit sie sich noch im hiesigen Polizei-Präsidium befanden – der größte Teil ist nämlich fortgeschickt worden und nach genau 14 Tagen bekamen die Angehörigen ein paar Zeilen aus dem Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin! Daß mein lieber Mann auch bei diesen Unglücklichen ist, brauche ich wohl gar nicht besonders zu erwähnen. Wenigstens weiß ich aber wo mein lb. Mann ist und habe auch schon ein Lebenszeichen von ihm. Das Furchtbare aber ist, daß ich nicht weiß wo mein Erich ist! Der
Hachscharah Kibbuz Ellgut existiert natürlich seit dem 10./11. auch nicht mehr und ich habe von meinem lb. Jungen noch nichts wieder gehört, alle Anfragen blieben bis jetztunbeantwortet – in der Meinekestr. wird erst seit einigen Tagen wieder gearbeitet, und ich warte mit jeder Post auf eine Auskunft, diese Ungewißheit zermürbt mich und man weiß
wirklich nicht, wie lange die Kräfte noch reichen werden, um das Leid zu tragen – ein Bruder meines Mannes ist als Opfer dieser Aktionen auf schreckliche Weise ums Leben gekommen, ein Mann von 33 Jahren – so ist jede Familie aufs tiefste getroffen und ich meine, daß Deine Lieben in Polen trotz ihrer Not dem Schicksal dankbar sein können, daß die Eltern u. Kinder beisammen sein dürfen und nicht alle Familienbande zerrissen sind. Nun sollen von hier die Kinder ins Ausland geschickt werden nach Holland u. Palästina – unser Hans wird wohl auch fort kommen, nach Holland, (denn Palästina nimmt ja die Kinder erst vom 10. Lebensjahr u. Hans ist 8 Jahre) meine Einwilligung habe ich blutenden Herzens schon gegeben und auch die nötigen Papiere besorgt. Dann bleibe ich ganz allein mit meinem Kummer, aber danach darf ich nicht fragen, die Zukunft des Kindes ist wichtiger, hier ist weder Erziehungs- noch Existenz-Möglichkeit mehr zu erwarten.“„Genau 14 Tage nachdem Deine Lieben mit allen anderen poln. Juden so plötzlich fort mußten, ereigneten sich die Aktionen gegen das Judentum im Verlauf dessen hier in Bochum in der Nacht v. 9. zum 10. Novbr. die Synagoge abgebrannt ist! Ebenso das schöne Heim, die Schule zerstört, alle noch vorhandenen jüd. Geschäfte demoliert, sehr viele Privatwohnungen demoliert, das Mobiliar zerschlagen und am 10., 11. u. 12. Novbr. wurden alle jüd. Männer von 14 Jahren ab in Schutzhaft genommen! Alle, beide Rabbiner, Mendel, alle Vorstandsmitglieder – inzwischen sind die 14-jährigen Knaben und die Männer über 60 Jahren entlassen worden – d.h. soweit sie sich noch im hiesigen Polizei-Präsidium befanden – der größte Teil ist nämlich fortgeschickt worden und nach genau 14 Tagen bekamen die Angehörigen ein paar Zeilen aus dem Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin! Daß mein lieber Mann auch bei diesen Unglücklichen ist, brauche ich wohl gar nicht besonders zu erwähnen. Wenigstens weiß ich aber wo mein lb. Mann ist und habe auch schon ein Lebenszeichen von ihm. Das Furchtbare aber ist, daß ich nicht weiß wo mein Erich ist! Der Hachscharah Kibbuz Ellgut existiert natürlich seit dem 10./11. auch nicht mehr und ich habe von meinem lb. Jungen noch nichts wieder gehört, alle Anfragen blieben bis jetztunbeantwortet – in der Meinekestr. wird erst seit einigen Tagen wieder gearbeitet, und ich warte mit jeder Post auf eine Auskunft, diese Ungewißheit zermürbt mich und man weiß wirklich nicht, wie lange die Kräfte noch reichen werden, um das Leid zu tragen – ein Bruder meines Mannes ist als Opfer dieser Aktionen auf schreckliche Weise ums Leben gekommen, ein Mann von 33 Jahren – so ist jede Familie aufs tiefste getroffen und ich meine, daß Deine Lieben in Polen trotz ihrer Not dem Schicksal dankbar sein können, daß die Eltern u. Kinder beisammen sein dürfen und nicht alle Familienbande zerrissen sind. Nun sollen von hier die Kinder ins Ausland geschickt werden nach Holland u. Palästina – unser Hans wird wohl auch fort kommen, nach Holland, (denn Palästina nimmt ja die Kinder erst vom 10. Lebensjahr u. Hans ist 8 Jahre) meine Einwilligung habe ich blutenden Herzens schon gegeben und auch die nötigen Papiere besorgt. Dann bleibe ich ganz allein mit meinem Kummer, aber danach darf ich nicht fragen, die Zukunft des Kindes ist wichtiger, hier ist weder Erziehungs- noch Existenz-Möglichkeit mehr zu erwarten.“
16.12.1938 Entlassung des Vaters aus dem KL Sachsenhausen
4.1.1939 Bruder Hans mit Kindertransport nach Bergen aan Zee, Holland
4.1.1939 Hans im Zeehuis, Verspijckweg 5, Bergen,
dann Burgerweeshuis, St. Luciensteeg/ Kalverstraat 92, Amsterdam
9.2.1939 Ausreisegenehmigung auch für Erich
12.2.1939 über Bielefeld in die Niederlande ins Werkdorp Wieringen
17.5.1939 Eltern in Bochum bei Minderheiten-Volkszählung
Sommer 1939 Mit weniger Aufsehen und Behinderungen erreichten einige andere Schiffe die palästinensische Küste. Der Mossad-Agent Shmarya Zameret hatte in Juli 1939 in Holland den Dampfer DORA unbemerkt mit fast 500 aus Deutschland geflohenen Juden beladen können.
16.7.1939 Boarding mit 183 Chaluzim in Amsterdam auf der SS DORA zur Alija Beth nach Palästina
16.7.1939 in Amsterdam auf das Alija Beth Schiff SS DORA
17.7.1939 Antwerpen, Zustieg von etwa 200 weiteren Chaluzim
17.-19.7.1939 Verzug in Vlissingen (Flushing)
12.8.1939 Ankunft der SS DORA in Palästina; die Chaluzim werden am Strand von Shefayim in der Nähe von Tel Aviv mit Booten illegal ins Land gebracht
1939 Vater Zwangsarbeit im Bergbau in Bochum
19.7.1939 Hans als Pflegekind in der Familie Heymann Jacobs Rotterdam, Walenburgerweg 110
1939- Jan 1942 Vater Notstandsarbeiter, Zwangsarbeitslager Borghorst, Dumte; Regulierungsarbeiten an der Steinfurter Aa
27.1.-1.2.1942 Eltern deportiert Dortmund nach Skirotawa; Riga, Ghetto
9.3.1942 Bruder Hans ins Jüdisches Waisenhaus, Rotterdam, Mathenesserlaan 208
10.10.1942 Bruder Hans nach Westerbork
23.3.1943 Hans deportiert nach Sobibor; Zug mit 1.250 Juden von Westerbork mit Ziel Sobibor
28.5.1943 Tod von Hans in Sobibor
26.1.1945 Befreiung der Mutter durch die Rote Armee
1939 -1946 im Kibbuz Gal Ed
Mutter Rosa über Braunschweig, Bochum, 1954 nach London
Mai 1948 -Januar 1950 eingezogen zur Armee
Jan 1950 -April 1955 Gemeinschaftssiedlung Arabel
April 1955 Jugendgruppenleiter in der landwirtsch. Schule in Petach-Tikwa
1955 Mutter Rosa zum Sohn Erich nach Israel
1956 macht im Wiedergutmachungsverfahren eidesstattlich falsche Angaben, um höhere Entschädigung zu fordern „Besuch der Goethe-Oberrealschule bis Ostern 1935; antisemitische Lehrer hätten ihn gezwungen, die Schule zu verlassen“
28.2.1963 Tod der Mutter in Israel
Gedenken
31.5.2006 Stolpersteine für Wilhelm und Sohn Hans Naftalie Bochum, Querenburger Str. 24
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Hubert Schneider, Die Entjudung des Wohnraums: Judenhäuser in Bochum; Münster, 2010
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5278230
Gedenkbuch der Opfer der Shoa aus Bochum und Wattenscheid, 2000
https://www.wlb-stuttgart.de/seekrieg/ksp/schwarzmeer/juden_flucht_schiffe.htm
www.dokin.nl/deceased_children/hans-claus-naftalie-born-16-apr-1930/
https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_wfn_420127.html
https://collections.arolsen-archives.org/archive/4578551/?p=1&s=Naftalie&doc_id=4578553
https://collections.arolsen-archives.org/archive/130346009/?p=1&s=Naftalie&doc_id=130346009
Wolfgang Scheffler, Diana Schulle, Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten Juden 2011
Gertrude Schneider, Reise in den Tod, Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Laumann-Verlag, 2008