Lemer Calel

Calel Bezalel Sala Lemer

*15.11.1913 in Rozaniez, Polen; ✡ April 1945

Staatsangehörigkeit polnisch

Religion jüdisch

Vater Moshe Hilel Lemer *1890; ✡ 3.3.1966 in Hendon, London

Mutter Rivka Blima Trynker*1895 in Polen; ✡ vor 1945

Großeltern Jakob (*1866) und Rivka Trynker (*1866)

Großmutter Scheindel Lemer * in Russland; geb. Hon

Onkel Jakob Zukerman; oo Trynker

Geschwister

Sara Lemer *1910 in Polen; ✡1942 oo Fecker (1906-1942)

Chaskiel Jezechiel Lemer *20.10.1911; ✡ 9.12.1990 England; oo Bella Ward

Rudolf Ruben Reuven Lemer *1.3.1922 in Tarnogrod

Beruf Arbeiter

Adressen Rozaniec; Berlin

Heirat ledig

Kinder

Weiterer Lebensweg

In den 1920er Jahren (nach 1922) Familie Lemer zieht von Polen nach Berlin

1.Polenaktion – Abschiebung der Familie nach Polen

28.10.1938 Familie Lemer als polnische Staatsangehörige vermutlich abgeschoben nach Zbaszyn

1939 Vater Max und Bruder Chaskel können nach England emigrieren

Flucht der übrigen Familie vor den Deutschen nach Lemberg

Der lange Weg von Calel Lemer

Calel Lemer aktiv in einer jüdisch-kommunistischen Widerstandsgruppe, sein Deckname war „Walter“; die Gruppe wird aber von der Gestapo enttarnt.

Zeitweilig in der Untersuchungshaftanstalt II Leipzig, dann Gefängnis Tegel

8.1.1937 Urteil des Kammergerichts Berlin wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens.- Mitverurteilt: Georg Moritz Hofmann, Karl Paul Domke, Hans Georg Wilhelm Scharping, Fritz Paul Adolf Busack, Fritz Erwin Schöfer, Max Ernst Rohloff, Wally Elisabeth Else Schwill und Paul Schmidtke.

5.2.1937 Neuzugang aus dem Gefängnis Tegel in die Haftanstalt Brandenburg/Havel-Görden als politischer Häftling

23.7.1937 Verlegung aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden in die Strafanstalt Waldheim

1939 im Zuchthaus Zwickau; hier hatten schon August Bebel (1874 und 1886 wegen der Sozialistengesetze) und Rosa Luxemburg (1904 wegen Majestätsbeleidigung) eingesessen.

17.5.1939 erfasst in Zwickau, Schillerstraße 2 (Zuchthaus)bei der Minderheiten-Zählung

1939 im Polizeigefängnis Leipzig

8.9.-9-10.1939 Calel Lemer im Häftlingskrankenbau des KL Sachsenhausen

24.4.1940 noch im KL Sachsenhausen

Auschwitz Monowitz

17.10.1942 1942 Überstellung von 405 polnischen Häftlingen aus Buchenwald in das KL Ausschwitz zum Ausbau des Buna-Werks in Auschwitz Monowitz; auf diesem Transport befinden sich auch Adi Lindenbaum, Jakob Zylbersztajn und Heinrich Tydor

25.10.1942 Callel Lemer mit 454 jüdischen, überwiegend polnischen Häftlingen aus dem KL Sachsenhausen zum Ausbau des BUNA Werkes; an der Rampe in Auschwitz wird er zur Zwangsarbeit im „Arbeitslager Buna“ Monowitz selektiert; auf demselben Transport David Malz; Malz bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 70107 in den linken Unterarm tätowiert.

Auszüge aus dem autobiografischen Bericht von Ernst Azriel Zimche aus Berlin über Calel Lemer 1942-1945 in Auschwitz

„Mein Kapo war ein „politischer“ Deutscher mit einem „roten Dreieck“, ein ehemaliger Häftling in einem Konzentrationslager. Mit ihm hatte ich das erste menschliche Gespräch im Lager. Er führte mich und erzählte mir, was im Lager BUNA geschah. Von ihm erfuhr ich auch von den ehemaligen jüdischen Häftlingen im Lager. Sie kamen im August 1942 aus Buchenwald und Sachsenhausen nach Auschwitz und wurden bei der Errichtung der an Auschwitz-Birkenau angeschlossenen Lager eingesetzt, darunter auch BUNA-Monowitz der I.G. Farben Werke. Er nannte auch Namen. Ich suchte nach Namen von Leuten, die ich aus Berlin kannte. Also ging ich ins Lager, um einen der Namen zu suchen. Es dauerte eine Weile, bis ich die Person fand, denn für einen neuen Häftling (Neuzugang) ist es nicht einfach, die Baracke zu betreten und eine Person zu suchen.

Ich ging vorbei, aber es gab niemanden unter den Leuten, der mir bekannt war. Ich ging wieder vorbei und fragte nach Calel Lemer. Sie fragten sofort: „Wer bist du und was suchst du nach ihm?“ Nachdem ich alle Informationen gegeben hatte, wurde ich zu ihm geführt. Erst als ich seine Stimme hörte, erkannte ich ihn wieder.

Sein Aussehen war das eines Fremden. Ich hatte ihn seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Seitdem war er in Gefängnissen und in K.Z. In Berlin trafen wir uns in einem nichtjüdischen Sportverein – ich im Namen von Maccabi-Berlin, er im Namen von Fichte Berlin (Arbeitersportverein). Wir standen beide auf Ringen. Calel stammte aus einer osteuropäischen Familie und lebt seit 1920 in Berlin. Er war bereits in Berlin politisch aktiv und gehörte einer kommunistischen Bewegung mit jüdischer Seele an. Diese jüdische Gruppe verschwand mit dem Aufstieg Hitlers, und niemand wusste, wo sie geblieben war. Erst als ich Calel traf, hörte ich, was alle unsere Bekannten durchgemacht hatten.

Meine Beziehung zu Calel war, als hätten wir uns nie getrennt. Er hatte Führungsqualitäten als Jugendberater. Ich habe es immer bedauert, dass er kein Zionist war. Er war so selbstbewusst in seiner Art, dass ich es immer vermied, mit ihm zu streiten. Ihn zu treffen, machte mir Mut. Ich sah einen Mann, der so viele Jahre im K.Z und Gefängnissen verbracht hatte und ein anderer Mensch geblieben war. Wir trennten uns mit dem Gefühl, dass im Schlamm, wo ich hier versunken war, eine Art Rückenlehne gefunden zu haben. Es war mir wichtig, einen Menschen zu finden, der unter den Bedingungen der Haft für so viele Jahre physisch, spirituell und geistig ein Mensch geblieben ist. Das waren Momente, in denen ich wieder Selbstvertrauen gewann, und ich sah einen Lichtblick am Ende des dunklen Tunnels, in den ich hineingezogen worden war.

Ein paar Tage später besuchte mich Calel in meiner Baracke. Die Verantwortlichen des Blocks kannten ihn und freuten sich über ihn. Wir setzten uns auf mein Bett und fingen an, über meine persönlichen Probleme zu sprechen. ….

Ich arbeitete hart auf der Suche nach meinem Vater, nachdem sie mir erzählt hatten, dass sie ihn im Krankenrevier getroffen hatten. Alle Nachforschungen blieben erfolglos. Ich erzählte Calel davon, und er hörte mich und fragte mich nach Details über meinen Vater – über sein Alter und seinen Gesundheitszustand. Ich erzählte ihm: Mein Vater war 46 Jahre alt, hatte viele Jahre an Zucker gelitten und sich zu Hause zweimal täglich Insulin gespritzt. Nachdem er sich alle Ausführungen angehört hatte, packte er mich und sagte: „Mein Freund, widme dich dem Überleben, dass du einmal rächen und die Bande der verdammten Nazis eliminieren kannst. Der Tag rückt näher, und wir müssen uns mit ihnen auf den Tag des Gerichts vorbereiten, wir werden uns an ihnen rächen. Du wirst deinen Vater hier nicht finden können, die Suche nach ihm wird nur deine Moral schädigen und dich emotional schwächen. Später erzählte er mir, was hier mit kranken Menschen und Muselmanen geschah – ich habe das Konzept von ihm gelernt – und zeigte mit dem Finger in den Himmel.

….

Calel kam nach der Arbeit zu mir zurück und wir setzten unser Gespräch über das Leben im Lager fort. wie ich den Prüfungen standhalten kann, die auf mich zukommen, wie Hunger und Schläge; und wie man sich vor den verschiedenen Typen hütet, die man am Bahnhof antrifft; Und nicht, um Essen gegen Zigaretten und so weiter einzutauschen. Seine Sprache war so durchdringend, dass sie in mein Inneres drang. Manchmal schien es mir, als hätte er die Macht der Überzeugung. Es ging nicht nur um das Essen und die Bedingungen im Camp, sondern auch darum, was uns sonst noch erwartet und worauf wir vorbereitet sein müssen. Im Hintergrund seiner Gespräche trat die russisch-sowjetische kommunistische Ideologie deutlich zutage. Das Thema Stalingrad stand damals auf der Tagesordnung, und er sprach viel darüber. Ich erzählte ihm von meinen Freunden aus der Paderborner Hachschara, die in BUNA waren. Er interessierte sich sehr für Freunde und wollte sich mit den Freunden, den jungen Leuten aus Paderborn treffen.

Von Bezalel Lemer erfuhr ich, dass es in BUNA viele politische Gefangene in zentralen Funktionen gibt, die versuchen, vor allem jungen Menschen zu helfen. Ich bemerkte, dass sich seit Calels Besuchen bei mir auch die Einstellung des Blockältesten zu mir verändert hatte.

Nach einigen Monaten im Lager wurde ich von Calel Leimer zu einem Rekonvaleszenzabend im Häftlingskrankenbau im Lager eingeladen. Das war an einem Sonntag. Ein Tag, an dem sie nicht im Lager arbeiteten. Es gab viele Sonntage. Für diesen Abend brachten sie Patienten aus allen Zimmern, die Deutsch oder Jiddisch verstanden. Die Patienten kamen auf Stühlen, Tragen und Betten und erholten sich auch. Es waren etwa 60-80Personen in dem Raum – Ärzte, Krankenschwestern, Patienten und auch SS-Männer, die für den Raum verantwortlich waren….

Es begann mit einem satirischen Gedicht über die Heiler. Von Lesung zu Lesung vertieften sich die Themen in Poesie und Prosa, alles mündlich; Es gab keine Bücher im Lager. Der Inhalt zielte auf Freiheit, Denken, Leben und die Zukunft, außer Gott.  Mir fiel auf, dass es Brecht, Tucholsky, Schiller, Heine und Kerr gab. Es wurden keine Namen genannt. Alles war auf Deutsch.

….

Fluchtversuch

Mein Freund Calel war auch an einem Fluchtversuch beteiligt und erhielt einen roten Punkt („Fluchtpunkt“) als Symbol dafür, dass es ihm verboten war, das Lager zu verlassen.“

Ende der Auszüge aus dem Bereicht von Ernst „Piese“ Zimche

Die Todesmärsche von Auschwitz

15.1.1945 die Häftlinge in Auschwitz hören den russischen Kanonendonner 30 km aus dem Osten

18.1.1945 Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; ca. 60 000 Häftlinge; 10000 Männer aus Monowitz

Auschwitz-Überlebende berichten von der Brutalität der SS-Leute während des Todesmarsches:

Asher Aud:

„Wenn wir sind gegangen Totenmarsch, da sind keine Menschen gegangen, da sind nur Skelette gegangen.“

Sigmund Kalinski:

„Wer nicht konnte oder wer zur Seite war, wurde erschossen, bei ungefähr 15 bis 20 Grad minus in unseren Kleidern.“

Isidor Philipp berichtet:

„Wer sich hinlegte, wurde von den SS-Männern, die auf Motorrädern fuhren, erschossen.“

19. – 23.1.1945 Ankunft in den Eisenbahnknotenpunkten Gleiwitz und Loslau. Von Gleiwitz oder Loslau in Güterwaggons zu westlich gelegen Konzentrationslager wie Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen

Isidor Philipp berichtet:

„Von dort begann dann – in offenen Kohlewaggons und bei 15 Grad unter Null – die Fahrt durch Polen, Tschechoslowakei und Österreich zurück nach Deutschland.“

Nach Schätzungen starben bei diesen Räumungstransporten von Auschwitz insgesamt zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge.

Ab Gleiwitz geht die Fahrt über Tschechien nach Mauthausen. Dort werden sie wegen Überfüllung abgewiesen. Die tagelange Irrfahrt endet im KL Dora.

Kartei des KL Dora; Häftlingsnummer 108 253

Außenlager des KZ Buchenwald KL Mittelbau Dora bei Nordhausen, unterirdische V2-Raketenproduktion;

Anfang April 1945 Räumung des KL Dora-Mittelbau in mehreren Schüben

Das Massaker von Gardelegen in der Isenschnibber Feldscheune

In der Umgebung von Gardelegen kommen zwei Transportzüge zum Stehen.

13.4.1945 1100 Häftlinge eingesperrt in der Kaserne „Remonteschule“, etwa 1000 werden am Abend in die große Scheune des Gutes Isenschnibbe getrieben und durch Maschinengewehrfeuer und jegliche andere Waffen ermordet; die Scheune wurde in Brand gesteckt, die Leichen in Massengruben verscharrt.

Die Nichte von Calel Sala Lemer schreibt dazu:

„My Uncle Sala was evacuated from Auschwitz as the Russians advanced.
Forced march and trains – many died. Pause at Camp Dora, then onwards to Gardelegen. Many more died. At Gardelegen, there was a selection “ all those wishing to return to Russia step forward“.
Sala stepped forward, against my informant’s advice. The selectees were split into 2 parties.
Next morning, the barn holding one party had been burnt to the ground with all inhabitants.
The other party had been sent off in train, which was then blown up in a tunnel. All selectees perished.

Auf der Liste mit über 300 identifizierten Opfern ist der Name Lemer nicht geführt.

Gedenken

22.11.1977 Pages of Testimony für die Brüder Bezalel und Ruben, Schwester Sara, die Mutter Blima, die Großeltern Trynker, die Großmutter Scheindl Lemer und Onkel Jakob von Jezechiel Lemer

Quellen

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/4089531

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/2651474

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12115181

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/12117820

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1579673

http://www.trafoberlin.de/widerstand_in_berlin/Namensregister_pdf/Band_09_Gesamtregister.pdf

https://archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?guid=5c1b5b5b-1926-4ae4-83ab-07e213cd607a

https://www.mappingthelives.org

Deutsche Minderheitenzählung 1939

https://yvng.yadvashem.org/ad

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch

Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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