Bertold Kohn
*13.7.1912 in Hamburg; ✡ 13.8.1997 in Stockholm

Staatsangehörigkeit Ungar, Tschechoslowakei; staatenlos
Vater Jeno Eugen Kohn *7.8.1882, Ungar; ✡23.4.1934 in Hamburg
Heirat der Eltern 1911
Mutter Helene Aschenbrandt *1.11.1888 in Sontra, Hessen; Schneiderin; ✡1.1.1945 in Stutthof
Geschwister
Walter Kohn *3.12.1913 in Hamburg, später Collins; oo Sonia Persolja; ✡6.5.1982 in London
Beruf Tischler; später Ausbildung zum Klavierbauer
Adressen Hamburg, Bornstraße 5, Heinrich-Barth-Straße 17, zuletztKlosterallee 5, III
Heirat
1.Ehe Fira Szapiro geb. in Charkow, Ukraine
Sohn Danny Kohn *9.2.1953 in Schweden; ✡16.2.2018 in Stockholm
2. Ehe 1972 Selma Zanderer *9.4.1918; ✡26.10.2002 in Stockholm
Stieftochter Suzie Pivnik hatte schwere Multiple Sklerose, ✡ vor 2010 Suizid
Weiterer Lebensweg
Vater selbständiger Tischler;
Volksschule
4 Jahre Talmud-Toraschule
1928-1933 Volontär und Lehre in Exportfirmen
1933-1935 Tischlerlehre im Betrieb des Vaters
23.4.1934 Tod des Vaters, die Mutter lässt den Betrieb auf ihren Namen eintragen
Mitglied im „Hechaluz“ (säkular-zionistische Jugend)
1938 Geschäftsführer der Tischlerei Kohn
19.8.1938 bei der Mutter erfasst als Ungar mit Staatsangehörigkeit CSR, Klosterallee 5, III
Dezember 1938 Löschung des Betriebes „Ausschaltung von Juden aus dem Wirtschaftsleben“
Emigration mit Bruder Walter nach England
Rückkehr nach Hamburg, um die Mutter nicht allein zu lassen
17.5.1939 mit der Mutter Helene in Hamburg Harvestehude bei Minderheiten-Volkszählung
Hachschara Ausbildung in Gut Schniebinchen im Kreis Sorau
Berthold Cohn vermutlich Ausbilder (Madrich) in das Lehrgut Schniebinchen
Gut Schniebinchen war ein zuletzt dem Apotheker Otto Kaesbach gehörendes Landgut von 1117 Morgen bei Sorau/ Sommerfeld in der Niederlausitz. Kaesbach produzierte hier nach Aufgabe der Landwirtschaft Pharmaka wie das Sexmittel OKASA.
Seine geschiedene Ehefrau Martha Kaesbach stellte als Verwalter Herrn v. Horn ein. Die zum Gutsbesitz gehörende Wassermühle (Jessener Mühle) verkaufte Kaesbach 1929 an die Familie Lichting, auch hier entstand später ein Hachscharalager.
10.11.1938 in der Pogromnacht wird das Lager für einige Tage von örtlicher SA besetzt, die aber keine Misshandlungen an den Bewohner begeht.
1939 waren 109 Chaluzim und Personal im Lager;
Leiter von Schniebinchen war Dr. Alfred Cohn (April-Sept 1939); ab September 1939 wurden Ludwig Kuttner und Fanny Bergas als Wirtschaftsleiterin dessen Nachfolger. Cohn und Kuttner waren zuvor zuvor Lehrer an der Privaten Waldschule Kaliski in Berlin. Lotte Kaiser und Lotte Adam hatten die pädagogische Leitung. Das Verhältnis Jungen/Mädchen lag bei 60/40. Für Mädchen stand vor allem Hausarbeit wie Kochen, Backen, Nähen und Stricken auf dem Plan.
Ab April 1939 war Jenny Rosenbaum später Aloni Jugendleiterin, bevor auch sie im November nach Palästina auswanderte. Sie berichtet von ihrer Ankunft:
„Auf dem Zaun ein Papagei. Ein lebendiger Papagei. Er heißt Laura… Papagei Laura rief im Vorbeigehen jedem zu „Heil Hitler Schalom“
Vor der Besetzung Dänemarks 1940 gingen viele mangels ausreichender Zertifikate für Palästina zur Einzelhachschara auf Bauernhöfe in Dänemark.
März 1939 eine erste Alija beth Gruppe von einer Gruppe Chawerim aus Schniebinchen in Wien einem Sammeltransport angeschlossen, die ab Spalato, Jugoslawien auf einem kleinen Seeschiff „Dora“ nach etwa 10-tägiger Fahrt unbehindert in Palästina landete; sogenannte erste illegale Sonderhachschara SH1
13.10. 1939 fuhren etwa 20 Chawerim, ab Schniebinchen über Sommerfeld und Breslau nach Wien, wo sie der Sonderhachschara (SH2) über die Schwarzmeerroute angeschlossen werden und auf der SS HILDA vor der Drei-Meilen-Zone von der Royal Navy vor Haifa geentert werden.
29.1.1940 Erlaubnis der Briten im Hafen von Haifa zu landen, von wo sie mit Bussen in das britische Internierungslager nach Athlith verbracht werden
5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Umbenennung „Jüdisches Arbeitseinsatzlager“
Nach Auflösung Bethold Cohn zur Zwangsarbeit für Bauunternehmen in Sorau
1.12.1941 Mutter erhält Deportationsbefehl zur Evakuierung in den Osten
Bertold meldet sich bei der Gestapo, um sie freiwilig zu begleiten

5.12.1941 Verhaftung und Verbringung zur Sammelstelle Logenhaus Moorweidenstraße in Hamburg
6.12.1941 Transport vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg nach Riga Skirotawa
9.12.1941 Ankunft Rangierbahnhof Skirotawa, Fußmarsch ins Lager Jungfernhof
Februar 1942 Selektion von Funktionspersonal durch die SS im Jungfernhof.
Als Tischlerei wird er Chef der Tischlerei im Jungfernhof.
Februar 1943 Auflösung des Jungfernhof, das Funktionspersonal geht ins Ghetto Riga
Juli-2. November 1943 schrittweise Auflösung des Ghettos, Einrichtung des Konzentrationslagers Riga-Kaiserwald und verschiedener Betriebslager mit lokaler Kasernierung
September Verlegung mit der Mutter ins KL Kaiserwald
In Kaiserwald von „Mister X“, Xaver Abel, einem brutaler Kapo zusammengeschlagen, offene Unterkieferfraktur; Xavier Abel zählte zur Häftlingskategorie BV (eigentlich „befristete Vorbeugehaft“, im Lagerjargon „Berufsverbrecher“, da es sich meist um Wiederholungstäter handelte)
Verlegt ins Zentrallazarett im Ghetto Riga
November 1943 mit der Mutter ins ABA701 in Riga-Mühlgraben
Sommer 1944 Auflösung des KL Kaiserwald, Riga
Juli – September 1944 Transporte der Arbeitsfähigen aus Riga per Schiff nach Stutthof
6.8-9.8.1944 1. Großer Transport mit der „Bremerhaven“ von Libau nach Danzig
28.9.-1.10.1944 3155 Häftlinge aus Riga Kaiserwald, 300 von der Lenta auf dem Frachtschiff „Kanonier“ von Riga->Danzig, auch seine Mutter Helene
29.9.- 3.10.1944 140 Zwangsarbeiter ABA 701 mit dem Frachtschiff „Sanga“ nach Libau, Lettland
13.-14.10. 1944 Die letzten 50 Männer, 10 junge Frauen mit der „Drechtdijk“ auch „Drächtig“ nach Libau
SS-Sonderlager Libau in Lettland, Arbeit im Hafen, Be- und Entladen von Schiffen
22.10.1944 Fliegerangriff auf Libau mit zwei Toten unter den Häftlingen
22.12.1944 schwerer russischer Bombenangriff auf die besetzte Stadt, 14 Lagerinhaftierte kommen um
1.1.1945 Tod der Mutter in Stutthof
19. 2. 1945 200 Häftlinge von Libau auf dem mit Granaten- und Patronenhülsen beladenen Kohlefrachter „Balkan“ über die Ostsee erst Richtung Lübeck, wegen Bombenangriffen umgeleitet nach Hamburg;
10 junge Männer bleiben bei der SS in Libau zurück und werden am 9.5.1945 in Libau befreit
27.2.1945 Ankunft in Hamburg, von der Gestapo in Gefängniswagen vom Hafen nach Fuhlsbüttel
27.2.1945 – 11.4.1945 Polizeigefängnis Fuhlsbüttel „Kola-Fu“, Zuchthaus und Konzentrationslager
12.-15.4.1945 86 km Fußmarsch nach Kiel, ins „Arbeitserziehungslager“ (AEL) „Nordmark“ in Hassee, Außenlager des KL Neuengamme in Kiel.
Rettungsaktion „Graf Bernadotte“ durch das Schwedische Rote Kreuz
Nach Verhandlungen des schwedischen Graf Bernadotte und Norbert Masur vom World Jewish Congress, Stockholm mit Heinrich Himmler nahe Berlin werden unter anderem 153 jüdische Häftlinge und ihre Kinder nach Schweden freigelassen.
1.5.1945 153 Juden mit weißen Bussen des Roten Kreuz nach Pattburg, Dänemark, Entlausung in der Quarantänestation; weiter mit dem Zug nach Kopenhagen
2.5.1945 mit der Fähre nach Malmö; erste Quarantäne ca. 10 Tage
4.5.1945 Befreiung des AEL Nordmark Hassee durch britische „Royal Army“
Wegen der Kieferfraktur nach Lund ins Krankenhaus; Kiefer-OP schlägt fehl
1946 Erfolgreiche Kiefer-OP in englischer Spezialklinik
Arbeit als Tischler, Klavierbauer, Handlungsreisender
Enge Freundschaft mit Ehepaar Sekules
Antisemitismus-Aktivist; organisiert erste Ausstellung in Schweden 1994. Später Wanderausstellung
Gedenken
Grabstein für Bertold und Selma Kohn auf dem Jüdischen Südfriedhof in Stockholm
29. 3. 2005 Stolperstein für die Mutter Helene (1000ster in Hamburg) in der Klosterallee 5
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939 https://www.mappingthelives.org/
Anita Kugler, Scherwitz – Der Jüdische SS-Offizier, 2017
Wolfgang Scheffler, Diana Schulle, Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten Juden 2011
https://www.stolpersteine-hamburg.de/
https://wiener.soutron.net/Portal/Default/en-GB/recordview/index/106211
Bertold Kohn, A Whole Life, Typoskript 1996, Nachlass Bertold Kohn
Christin Sandow (Hrsg.), Käthe Fries, Schießen Sie mich nieder, Lukas Verlag 2017
Gertrude Schneider, Reise in den Tod, Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Laumann-Verlag, 2008
Gertrude Schneider, Exile and Destruction, The Fate of the Austrian Jews 1938-1945; Praeger 1995
Hilde Sherman: Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto, Frankfurt/M.-Berlin-Wien, 1984
Aufbau, Nach Schweden gerettet; Ausgabe vom 22.6.1945
Bernd Philipsen, Fred Zimmak, Hrsg., Wir sollten leben, Novalis 2020
Dietlind Kautzky, Thomas Käpernick Hrsg., Mein Schicksal ist nur eins von Abertausenden VSA 2020
Mein besonderer Dank gebührt Fred Zimmak für die großzügige Unterstützung meiner Recherchen.