Lotte Franziska Ida Windmüller
*9.7.1922 in Bielefeld; ✡ 1943 in Auschwitz
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Paul Windmüller *3.2.1882 in Bielefeld; ✡26.9.1937 in Bielefeld
Heirat der Eltern 16.12.1913 in Bochum
Mutter Erna Freudenberg *7.8.1890 in Bochum; ✡ 6.11.1931 in Bielefeld
Geschwister
Hans Jakob Windmüller *29.10.1914 in Bielefeld; ✡Mai 1985 in Hendon, London; oo Ivy Wales
Cousin Gerd Freudenberg später Michael Sheldon *22.3.1921 in Bochum; ✡26.12.1982 in London
Beruf –
Adressen

Verlobung 1942 in Bielefeld mit Paul Hoffmann *14.10.1921 in Iserlohn; ✡11.2.2008 in Düsseldorf
Kind –
Weiterer Lebensweg
Lotte Windmüller nach der Geburt noch lange von der Wochenbett- und Säuglingspflegerin Johanne Peppmöller betreut, da ihre Mutter zu schwach war.
Vor 1937 Bruder Hans Jakob emigriert nach England
26.9.1937 Tod des Vaters in Bielefeld
Lotte Windmüller kommt als Pflegetochter bei der antifaschistisch eingestellten Johanne „Peppe“ Peppmöller,
Januar 1938 Peppmöller eröffnet in einer Wohnung in der Bahnhofstr. 46 eine Pension für jüdische Reisende.
15.11.1938 Lotte als Jüdin vom Besuch der Auguste-Viktoria-Schule ausgeschlossen.
Haushaltshilfe in der von Johanne betriebenen Pension. Der Einsatz von Johanne für ihre jüdische Pflegetochter und ihre jüdischen Pensionsgäste stieß in ihrer Familie nicht nur auf Zustimmung. Sie musste außerdem Vorladungen und Hauskontrollen des Leiters des Bielefelder Judenreferats der Gestapo, Wilhelm Pützer, über sich ergehen lassen.
Johann Peppmöller kann anstehende Deportationen von Lotte wiederholt verhindern.
Januar 1939 Cousin Gerd Freudenberg mit Kindertransport nach England
29.9.1939 Bruder Hans bei britischen Census erfasst, Wohnheim: 49, Belsize Avenue, Hampstead, London
2.4.1940 Wechsel von Paul Hoffmann (späterer Verlobter) aus dem Umschulungs- und Einsatzlager Paderborn, Grüner Weg ins Lager Bielefeld, Schloßhofstraße 73 a;
April -Juni 1940 Lotte W. begleitet ihren Freund, der nach Berlin zurückkehrt. Sie bleibt zur Ausbildung als Fotografin drei Monate dort.
Ab 1941 Lotte zur Zwangsarbeit in das Arbeitslager Schloßhof eingewiesen, zunächst nur tagsüber; im Lager Schloßhofstraße lernt sie Paul Hoffmann kennen und besucht ihn häufiger
Zwangsarbeit in einer Fahrradsattelfabrik und ab 1941 in einer Kartonagenfabrik in Bielefeld
5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Umbenennung „Jüdisches Arbeitseinsatzlager Bielefeld“
9.7.1941 lädt sie Paul zu ihrer Geburtstagsfeier in die Pension von Johanne Peppmöller in Bielefeld ein. Weitere Gäste sind Pauls Freund Gerhard Heilborn (*1921 in Breslau), Gerhard Nelson (*1921 in Freiburg) sowie als Freundinnen aus Bielefeld Hildegard Blank (*1923 in Horn/Lippe) und Ursula Gottschalk (*1923 in Bielefeld).
Juli 1942 erneut von einer Deportation zurückgestellt

3.8.1942 Lotte Windmüller aus Bielefeld (Bodelschwingstraße 15?) ins Lager Schloßhofstraße eingewiesen
November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“
20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“
März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert, um den Arbeitskräftebedarf im Nebenlager Buna zu decken.
27.2.1943 Befehl von Wilhelm Pützer (1893-1945), Leiter des Judenreferats der Gestapo-Außendienststelle Bielefeld, das „jüdische Arbeitseinsatzlager in Bielefeld“ aufzulösen und deren Insassen und weitere Juden aus dem Sprengel bis zum 1. März, also zwei Tage später, nach Bielefeld zu bringen, wo sie „spätestens“ bis 13 Uhr im „Saal der Eintracht“ eintreffen mussten.
28.2.1943 Auflösung des Arbeitslagers Bielefeld; die Insassen des Lager Schloßhof werden mit Bussen ins Sammellager Saal im Haus der Gesellschaft „Eintracht“ am Klosterplatz; Paul Hoffmann und seine Verlobte Lotte Windmüller teilen sich die Saalgarderobe mit der Familie Rosenstein aus Warburg.
1.3.1943 Lotte Windmüller schreibt an ihre Pflegemutter aus dem Sammellager:
„Drück weiter die Daumen für uns. […] Morgen früh geht der Zug gegen halb 10h, aber wir werden schon gegen 6-7h abgeholt. Das Gepäck brauchen wir nicht zu tragen.“
2.3.1943 Johanne Peppmöller begleitet ihre Pflegetochter Lotte und Paul Hoffmann zum Güterbahnhof Bielefeld; 40 Stunden im geschlossenen Güterwaggon, Transport Bielefeld über Hannover – Erfurt – Dresden nach Auschwitz mit 69 Insassen des Lager Bielefeld Schloßhofstraße und allen 98 Chawerim aus dem Arbeitslager.
Erwin Angress berichtet:
„Die Jüdischen Lagerinsassen – insgesamt 99 – wurden in Extrawagen nach Bielefeld transportiert, die an den fahrplanmäßigen Zug ab Paderborn am 1.3.43 um 8.24 Uhr angehängt wurden. In Bielefeld gab es im Saal des Vereinslokals ,Eintracht‘ ein Sammellager für Juden aus dem ganzen Bezirk. Bereits in der darauffolgenden Nacht vom 1. auf den 2. März 1943 wurden alle Juden zum Bielelelder Güterbahnhof gebracht und in Waggons gepfercht. Mit diesem Zug rollten wir dann nach Auschwitz… Nur 9 Personen haben überlebt.“
2.3.1943 40 Stunden im geschlossenen Güterwaggon, Transport Bielefeld über Hannover – Erfurt – Dresden nach Auschwitz mit 80 Insassen des Lager Bielefeld allen 98 Chawerim aus dem Arbeitslager Paderborn.
Eine am Bahnhof Neisse aus dem Zug geworfenen Postkarte von Lotte und Paul an Johanne Peppmöller wird tatsächlich zugestellt. Lotte schreibt:
„Mein liebes Peppelein! Gerade habe ich Gelegenheit, dir zu schreiben. Es ist jetzt ½ zwei Uhr und wir werden wohl in einigen Stunden am Ziel sein. Wir sitzen ziemlich gedrängt, aber sind dank der jungen Leute munter. Ich weiß nicht, wann ich dir wieder schreiben kann. Mach dir jedenfalls keine Sorgen. Herzliche Grüße an alle, Dir innige Küsse, Dein Lottekind“

Auf der Rückseite Grüße von Paul Hoffmann
Paul kann noch 50 weitere Briefe an Johanne Peppmöller aus Auschwitz herausschmuggeln.
3.3.1943 Ankunft und Selektion der ‚Alten Rampe‘ am Güterbahnhof von Auschwitz;
Ernst Michel berichtet:
„Es gab nun zwei Reihen, beide rückten langsam voran. Männer an eine Seite, Frauen an die andere. … Issy schlurfte neben mir. Er war in Paderborn einer der charismatischen und zuverlässigsten Leiter. Er war dynamisch, optimistisch und stets hilfsbereit. Er war stark wie ein Stier. Er hatte Lilo in Paderborn geheiratet einige Wochen vor unserer Deportation. Sie war bereits auf der anderen Seite. Tränen rannen sein Gesicht hinunter. Ich berührte ihn. Er nickte nur.“
Paul Hoffmanns Sohn Daniel schreibt:
„Er ging in Richtung des Waggons zurück, aus dem er ausgestiegen war, um mit Lotte noch einmal zusammenzukommen. Es war ein außerordentlicher Zufall, dass er sie auf dem Rückweg noch einmal sehen konnte. Sie stand mit Hannah Egert zusammen, Er war froh darüber, dass er sie mit ihr antraf, denn Hannah, eine 20-jährige Berlinerin, kannte er als eine resolute und intelligente Frau. … Lotte zeigte keine Anzeichen von Furcht. Si schien zuversichtlich zu sein. Lotte und mein Vater versprachen sich noch einmal, auch wenn sie getrennt würden, durchzuhalten.“
Paul eingewiesen in Auschwitz III zum Aufbau des IG-Farben Werkes Buna Monowitz, auf LKW in die Quarantäneblöcke des „Arbeitslager Buna“ gebracht; Tätowierung der „nichtarischen“ Häftlinge, Paul bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 104951 in den linken Unterarm tätowiert und wird für Transport- und Montagearbeiten auf der Werksbaustelle der I.G. Farben in Buna-Monowitz eingesetzt.
Kalendarium von Auschwitz vom 3.3.1943
„Reichssicherheitshauptamt Transport, Juden aus Berlin. Nach der Selektion lieferte man 535 Männer als Häftlinge ins Lager ein, sie bekamen die Nr. 104 890 – 105 424; 145 Frauen bekamen die Nr. 36 9035 – 37 079. Die übrigen wurden vergast.“
Lotte Windmüller wird ins Lager Auschwitz Birkenau übernommen, wo sie Lore Weinberg kennenlernt; Lore Weinberg kommt mit 68 Jüdinnen in das Kommando Politische Abteilung/Standesamt im Stabsgebäude der SS, Kommandantur in Auschwitz I; davon überlebten 53; 19 von Ihnen und vier polnische Häftlinge haben für Lore Shelley Zeitzeugenberichte geschrieben, die sie in ihrem Buch 1992 publiziert hat.
Lotte Windmüller stirbt in Auschwitz.
Gedenken
3.11.1955 Page of Testimony für Lotte Windmüller von Chawera Lore Weinberg-Szaldajewski (später Shelley) in Grotto ferrata
2007 – Buch von seinem Sohn Daniel „Lebensspuren meines Vaters“
Stolperstein für Lotte Windmüller in Bielefeld, Detmolder Straße 76
Quellen
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de991720
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Daniel Hoffman, Lebensspuren meines Vaters, Wallstein Verlag 2007
https://www.dfb.de/ePaper/Auf-den-Spuren-von-Julius-Hirsch/60/
https://spurensuche-bielefeld.de/spur/die-stille-heldin-johanne-peppmoeller-1885-1976/
Lore Shelley, Schreiberinnen des Todes, Lebenserinnerungen internierter jüdischer Frauen; AJZ Verlag 1992
Lore Shelley, Auschwitz The Nazi Civilisation; University Press of America, 1986
http://www.wollheim-memorial.de/de/paul_hoffmann_19212008
https://www.dfb.de/ePaper/Auf-den-Spuren-von-Julius-Hirsch/58/
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT430302_1.jpg
Margit Naarmann, Ein Auge gen Zion, Paderborn, 2000; ISBN3-89498-087-7
Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013
Kurt Salinger, Nächstes Jahr im Kibbutz, Paderborn 1998