Leichtentritt Hans

Hans Kurt Leichtentritt, Chanan Maor

*20.5.1915 in Osnabrück; ✡ 29.7.1989 in Israel

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Georg Leichtentritt *2.1.1881 in Zlotow/ Polen; ✡ 1928 in Osnabrück

Mutter Hedwig Kant oder Gantor; ✡ unbekannt

Stiefmutter Gertrud Leichtentritt geb. Grünewald *25.8.1894 in Beverungen; ✡2.11.1942 in Auschwitz;

Geschwister

Kurt Georg Leichtentritt *8.6.1912 in Osnabrück; ✡ 28.7.2001 in Orangeburg; oo Anna Pollak (*25.4.1912, ✡2.12.1988); oo Mildred Vaccarino (*27.2.1922 ✡24.3.1993 in Orangeburg)

Halbschwester

Erna Leichtentritt *1.10.1927 in Osnabrück

Beruf Fahrer

Adressen Osnabrück, Westerkappeln;

Heirat Margot Miriam Therese Levy *9.8.1916 in Berlin; ✡ 21.3.1945 in Palästina

Kinder

Die Hachschara Bewegung

In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.

Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.

Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachscharalager (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).

So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.

Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.

Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.

Hof Stern in Westerbeck

Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932  bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine Hachschara-Stätte errichtete. Ab Januar 1934  arbeiteten und lernten hier 104 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) von 15 und 17 Jahren in der sogenannten Mi-Ha (mittleren Hachschara): 32 Mädchen und 72 Jungen. Manche blieben nur wenige Wochen, andere bis zu  eineinhalb Jahren.

1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet

Die Leitung des Hofes lag zuletzt bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.

Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, das häufigste Abmeldedatum war der 18.2.1938.

9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern. Sie wurden ebenso wie der Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Einem der vier gelang noch die Flucht ins rettende Ausland. Die anderen drei wurden später in den Osten deportiert und kamen in Buchenwald, in Riga und Stutthof um

Weiterer Lebensweg

zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern, Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Westerbeck in Westerkappeln

22.6.1934 Passausstellung in Osnabrück

20.8.1935 anwesend bei einer Nazi-Großveranstaltung auf dem Ledenhof in Osnabrück mit antisemitischer Hetze zusammen mit seinem jüdischen Freund Werner ten Brink, 16 Jahre alt. Ten Brink erinnert sich: „Auf einer Nazi-Kundgebung mit 20 000 Menschen in Osnabrück wurde plötzlich ein Nazi-Lied gesungen, und jeder streckte den rechten Arm halb hoch zum Hitlergruß, nur ich nicht.“ Dafür bekam der jüdische Junge prompt eine Ohrfeige. „Am folgenden Tag nach der Kundgebung grüßten uns die Nachbarn nicht mehr und wir wurden gemieden.“

Hans Leichtentritt, Chanan Maor schreibt 1984 in einem Brief aus Israel an den Judenhass in Osnabrück:

„Die Bevölkerung Osnabrücks tat sich bereits in den frühen dreißiger Jahren mit großem Judenhass hervor. Bereits im Jahre 1934 oder 35 organisierten wichtige Persönlichkeiten der Stadt auf dem Ledenhof eine Massenveranstaltung mit dem Motto: Aufruf – Judenfrage in Osnabrück – Juden, das ist Eure letzte Warnung! Es gab leider Juden, die den Ernst der Situation nicht erfassten und ihr Zögern mit dem Leben büssen mussten.“

Hans Leichtentritt berichtet auch über den Hof Stern:

»Ich habe gemeinsam mit circa 20 jungen Glaubensgenossen gegen Entgelt eine dürftige landwirtschaftliche Ausbildung bekommen, um auf das Leben als sogenannte ›pioneers‹ in Palästina vorbereitet zu werden«.

8.4.1936 Ankunft von Hans Leichtentritt in Haifa; Alija mit Hechaluz-Arbeiter-Zertifikat C/ L.S.

8.7.1936 Ankunft von Margot Levy in Haifa; Alija mit Hechaluz-Arbeiter-Zertifikat C/ L.S

16.1.1938 Heirat in Rehovot

8.12.1939 Einbürgerung in Palästina; nennt sich danach Chanan Maor

22.11.-2.12.1939 Bruder Kurt auf der SS ROTTERDAM von Rotterdam nach New York

Flucht und Untertauchen von Stiefmutter Gertrud und Halbschwester Erna

1936 Flucht nach Enter zu Marcus Samuel in die Niederlande, Adresse Dorpsstraat 146

Januar 1936 Heirat mit Marcus „De matte“  Samuel *1885, ✡1943

Marcus Samuel mit der ersten Frau Karola Salmagne (*2.5.1886 in Neuss, ✡7.10.1932 in Enter;Heirat 15.11.1908 in Dortmund)

Untere Reihe Gertrud und Erna Leichtentritt, Stiefsohn Isaac Samuel

Oben Les Nathans und Stiefsohn Emil Samuel

Die Stiefsöhne

Isaac Les Samuel *26.8.1909 in Wierden; ✡21.5.1943 in Auschwitz; oo Lena Roosendaal

Emil Samuel *27.1.1920; ✡28.5.1943 in Auschwitz Marcus und Gertrud Samuel tauchen in einem Versteck unter. Der Bürgermeister von Wierden forderte, dass der Geflügelhändler Marcus Samuel und seine Frau Gertrud Grunewald ausfindig gemacht, festgenommen und vor Gericht gestellt werden. Sie werden verhaftet und angeklagt wegen „nicht autorisiertem Wohnortwechsel“, eine gängige juristische Formulierung für Untertauchen in Verstecken.Tochter Erna war in einem Versteck in Hoogeveen untergetaucht und wurde nicht entdeckt

Oktober 1942 Gertrud Samuel in Wierden in Arrest

20.10.1942 Inhaftierung von Gertrud im polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork

30.10.1942 Transport von Westerbork nach Auschwitz

2.11.1942 Tod in Auschwitz

1.12. 1942 Tochter Erna Leichtentritt, Hans‘ Halbschwester in Wieren notiert als  „VOW“ (vertrokken onbekend waarhen) überlebt unentdeckt im Vertseck;

2.10.1945 zieht sie nach Epe zu Halbschwester Rosalie Samuel und Onkel Simon Frank, die in Nijkerk als „onderduiker“) überlebt haben

14.9.1953 zog Erna nach verschiedenen Ortswechseln nach Amsterdam

Juni 1955 Einbürgerung, niederländische Staatsbürgerschaft für Erna Leichtentritt

10.6.1971 Umzug von Erna Leichtentritt nach Amstelveen

Gedenken

Grabstein für Hans Leichtentritt auf dem Sde Yehoshua Military Cemetery, Haifa, Israel

2013 Stolperstein für Gertrud Leichtentritt in Osnabrück Gutenbergstraße 5

2013 Stolpersteine für Gertrud sowie Marcus, Isaak und Emil Samuel in Enter, Dorpsstraat 146

Quellen

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/5152600

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/130367969

Algemeen Politieblad, nr 36, 10 September 1942, 1023, notice 1835

http://www.enterserfgoed.nl/wp-content/uploads/2017/09/De-oorlogsjaren.pdf

https://archief.amsterdam/indexen/persons?ss=%7B%22q%22:%22Leichtentritt%22%7D

https://repository.overheid.nl/frbr/sgd/19541955/0000278731/1/pdf/SGD_19541955_0000052.pdf

Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 6424); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85

Peter W. Lande,  Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/

https://os-rundschau.de/os-und-umzu/stadtgeschichte-os/von-den-uns-angedichteten-schandtaten-hat-unser-gewissen-uns-schon-laengst-freigesprochen/

https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt

Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946 1928 war ich Ehemann Georg

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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