Kayem Gerda

Gerda Kayem

*26.4.1919 in Kaiserslautern; ✡ 25.12.2002 in Israel

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Eugen Kayem *12.8.1880 in Kaiserslautern; ✡13.3.1937

Mutter Clara Fassbender *24.2.1887 in Remagen; ✡ 10.8.1942 in Auschwitz

Geschwister

Ilse Kayem *11.10.1912 in Kaiserslautern; ✡20.5.1985 in Tel Aviv

Beruf

Adressen Kaiserslautern, Glockenstraße 83Westerbeck; Remagen; Mannheim; Gorssel, NL

Heirat

1.Ehe Bernd Jonas *9.2.1919 in Neuhaldensleben

2.Ehe Werner Mordechai Katz *6.7.1909 in Berlin; ✡1.9.1968 in Israel

Kinder

Narda Katz *25.6.1951; ✡24.3.1966 in Israel

Tochter Katz; oo Schneider

Die Hachschara Bewegung

In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.

Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.

Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachscharalager (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).

So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.

Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.

Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.

Hof Stern in Westerbeck

Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932  bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine Hachschara-Stätte errichtete. Ab Januar 1934 arbeiteten und lernten hier 104 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) von 15 und 17 Jahren in der sogenannten Mi-Ha (mittleren Hachschara): 32 Mädchen und 72 Jungen. Manche blieben nur wenige Wochen, andere bis zu  eineinhalb Jahren.

1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet

Die Leitung des Hofes lag zuletzt bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.

Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, das häufigste Abmeldedatum war der 18.2.1938.

9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern. Sie wurden ebenso wie der Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Einem der vier gelang noch die Flucht ins rettende Ausland. Die anderen drei wurden später in den Osten deportiert und kamen in Buchenwald, in Riga und Stutthof um

Weiterer Lebensweg

1930 Nach dem Tod des Großvaters Julius übernehmen seine Söhne Eugen und Ludwig das Wäschegeschäft

Ilse und Gerda Kayem besuchen das Mädchenlyzeum der Franziskanerinnen in Kaiserslautern

Gerda Kayem (vorn) in Kaiserslautern, ca 1934

Aktive Mitglieder im Jüdischen Pfadfinderbund Kaiserslautern später Makkabi Hazair

23.6.36 Gerda Kayem von Kaiserslautern zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern, Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Westerbeck in Westerkappeln

3.9.1936 Ankunft des späteren, zweiten Ehemanns Werner Katz in Haifa

18.11.1937 Antrag auf einen Reisepass in Westerkappeln; Ziele Schweiz oder Holland

18.2.1938 mit einer großen Gruppe abgemeldet aus Westerkappeln; nach Remagen; ihre Mutter Klara Fassbender stammte aus Remagen, ebenso ihr Großonkel Moses Adam Fassbender (*1824, ✡1891 in Recklinghausen)

10.11.1938 über die Novemberpogrome berichtete Gerda Kayem in einem 1989 mit ihr geführten Interview: „Ihre nichtjüdische Schulfreundin Lilo Machers, geb. Steinmann, Tochter des Kunsthändlers Julius Steinmann in der Eisenbahnstraße, sei mit dem Auto vorgefahren, habe Frau Kayem mit ihren beiden Töchtern eingeladen und zunächst in ihr Elternhaus in die Eisenbahnstraße gebracht. Dann nahm sie die Kayems mit in ihr Haus nach Offenbach am Main, wo Lilo Machers seit ihrer Heirat mit dem Apotheker Machers seit kurzem lebte. Dort wohnten Klara, Ilse und Gerda Kayem dann einige Wochen. Lilo Machers,“ so Gerda Kayem wörtlich „hat sich der Freundschaft zu unserer Familie nie geschämt und hat mich und meine Schwester nach dem Krieg übers Rote Kreuz suchen lassen.“

Abmeldung in die Niederlande; Haushilfe in Gorssel, Gelderland, Netherlands

Alija nach Palästina mit Bernd Jonas (Scheinehe?)

21.3.1939 Ankunft in Haifa mit Bernd Jonas; Bernd war zuvor zur Hachschara im Werkdorp Nieuwe Sluis Wieringermeer

2. 9. 1941 Gemeinsame Einbürgerung von Gerda und Bernd Jonas in Palästina

1989 letzter von vielen Besuchen in Kaiserslautern Gerda Katz:

„Nur durch Lilo Steinmann bin ich wieder nach Deutschland gekommen, sie war ein phantastischer Mensch! … Ich denke gerne an die Tage in Kaiserslautern zurück. Die Herzlichkeit, mit der mir viele entgegen kamen, ließen mich Schweres, das ich erlebt habe, zwar nicht vergessen, aber es entstand der Wunsch mehr zu erfahren…“

Schwester Ilse Kayem auf dem Kladovo-Transport

Vom Hechaluz Österreich organisierte Alijah, Sonderhachschara SH-5; Plan über die Donauroute, Schwarzes Meer, Palästina

24./25.11.1939 mit 822 von Wien nach Bratislava; dort kamen weitere 130 aus Berlin, 50 aus Danzig, 100 aus Prag

Anfang Dezember auf die SS URANUS zunächst nach Gyor; dann wieder zurück nach Bratislava

12.12. 1939 weiter nach Bezdan

14./15.12.1939 in Budapest auf drei jugoslawischen Schiffen SS Kraljica Marija, Car Dusan and Car Nikola zur jugoslawisch-rumänischen Grenze. Die Rumänen verweigern die Einreise

18.12.-30. 12.1939 in Prahovo

31.12.1939 die Schiffe liegen im Winterliegeplatz in Kladovo, die Flüchtlinge bleiben an Bord

Januar 1940 ein umgebauter Schleppkahn wird angehängt, um mehr Platz zu haben

Mai 1940 die Schiffe fahren ab, die Flüchtlinge suchen bei Bauern Unterkunft

19. 9.1940 die Flüchtlinge werden auf dem Kahn nach Sabac geschleppt

Unterbringung in Sabac in einer alten Mühle und einem Getreidespeicher

März 1941 verlassen einzelne Familien, 200 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren Sabac mit legalen Visa, darunter auch Ilse Kayem – trotz ihres Alters von 28 Jahren; Schwester Gerda und Werner Katz beschaffen Ilse ein Palästina-Zertifikat, mit dem sie im März 1941, kurz bevor die Deutschen in Jugoslawien einmarschierten, das Land verlassen und über Griechenland, Istanbul, das syrische Aleppo und Beirut nach Palästina weiterreisen konnte.

6.4.1941 Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Serbien

August 1941 Juden von Sabac und die Flüchtlinge in einer alten Festung Camp Sabac interniert

11.10.1941 Jüdische Männer, Zigeuner und manche Serben verlegt in das Seniak Camp

12./13. Oktober 1941 Massenerschießung in Zasavica von 2100 als Racheaktion für 21 tote deutsche Soldaten

Die Bürckel-Wagner-Aktion in Baden

22.10.1940 Mutter Klara in Mannheim ins Sammellager Turnhalle der C6-Schule „Kurfürstenschule“

Auf dem ersten von sieben Transporten von 6500 Juden des Saarlandes, der Pfalz und Baden, davon 1972 aus Mannheim in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich transportiert in der „Bürckel-Wagner-Aktion“.

In Gurs arbeitete Klara Kayem als Friseuse und erlernte die Anfertigung von Stoffblumen, um sich etwas Taschengeld zu verdienen.

März 1941 Verlegung verschiedener Gruppen aus Gurs in andere Lager: Betagte Menschen kamen nach Noé, Schwerbehinderte nach Récébédou, Familien in das sogenannte  ‚Familienlager‘ Rivesaltes,

5.4.1941 Antrag des Vetter Fritz Pappenheim (*18.5.1902 in Köln, ✡31.7.1964 in Cambridge), der in Nizza lebte, für sie einen Erholungsurlaub und stellte die Summe von 18.000 frs. zu ihrer Verfügung bereit. Viele Gurshäftlinge sind noch  auf diesem Weg über ein Sammellager in Marseille nach Casablanca gereist und von dort auf der portugiesischen SS GUINE in die USA gereist. Bei Klara Kayem war dies offenbar nicht möglich.

1942 erhielt Gerda Katz von ihrer Mutter Klara Kayem, geb. Faßbender das letzte Lebenszeichen aus dem Lager Gurs. Es war eine Glückwunschkarte zur Geburt des ersten Enkelkindes.

6.8.1942 Mutter Klara aus Gurs nach Drancy, Sammellager

10.8.1942 vom Sammellager Drancy nach Auschwitz

Gedenken

Grabsteine für Gerda Katz und Tochter Narda auf dem Sde Warburg Cemetery, Israel

12.10.2015 zehn Stolpersteine für Gerda Kayem und ihre Familien in Kaiserslautern, Glockenstraße 83

Quellen

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947

Christine Wetz und Roland Paul, Biografie der Familie Kayem

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de890533

www.stolpersteine-kl.de/stolpersteine-in-kaiserslautern/biografie-familie-kayem/

Peter W. Lande,  Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/

https://www.wochenblatt.com/landleben/nachrichten/fluchtpunkt-landwirtschaft-ein-bauernhof-als-rettende-insel-12528911.html

https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt

Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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