Gert Gustav Löllbach
*5.3.1919 in Elz; ✡ 5.11.1997 in Stockholm
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Siegfried Aka Neumann *24.9.1887 in Rödelheim; ✡10.7.1932 in Berlin
Heirat der Eltern 26.3.1913 in Limburg an der Lahn
Mutter Inge Landau *5.9.1891 in Limburg; ✡10.7.1932 in Berlin
Geschwister
Beruf
Adressen
Heirat Marianne Neumann *18.4.1924 in Berlin; ✡14.10.1993 in Stockholm
Schwägerin Alice Neumann *6.3.1922 in Berlin; ✡1943 in Auschwitz
Kinder
Zwei Kinder aus erster Ehe
Monica Löllbach
2.Ehe 1.11.1974 in Stockholm mit Marianne Danin geb. Porres *25.2.1929 in Katarina, Schweden
Die Hachschara Bewegung
In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.
Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.
Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).
So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.
Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.
Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.
Weiterer Lebensweg
Vater Siegfried Löllbach bis 1924 Direktor und Besitzer der Celluloidfabrik / Kammfabrik
1924 Umzug nach Berlin; Vater Siegfried wird Direktor bei der AEG in Berlin
10.7.1932 Tod der Eltern in Berlin bei Dampfschiffexplosion;
Gert als Vollwaise zu Verwandten, Weinhändler in Bad Kreuznach
Mitglied der zionistischen Jugendorganisation „Kadima“ (hebräisch „Vorwärts“)
Besuch des Kreisgymnasium und Abschluss mit Abitur in Bad Kreuznach;
Aufnahme eines Hochschul-Studiums wird verweigert;
Praktikant bei einem jüdischen Holzhändler in Limburg, einem Freund seines Vaters bis zu dessen „Arisierung“
Hof Stern in Westerbeck
Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932 bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine landwirtschaftliche Ausbildung für die mittlere und die reguläre Hachschara(>17 Jahre) anbot.
Januar 1934 Beginn der Hachschara; die ersten Chawerim heißen Henry Cohen (Altkarbe), Edgar Adamski (Leipzig) und Markus Lichter (Chemnitz)
1934-1938 arbeiteten und lernten hier 97 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) 31 Mädchen und 66 Jungen, im Mittel 19 Jahre alt. Manche blieben nur wenige Tage, andere bis zu eineinhalb Jahren zwei allerdings sogar zweieinhalb Jahre
1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern sind 27 Bewohner gemeldet
Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, 18.2.1938 18 Personen abgemeldet aus Westerbeck. Dieser Exodus markiert wohl das Ende der strukturierten Hachschara-Ausbildung.
März -August 1938 nur noch fünf Chaluzim auf dem Hof gemeldet.
Die Leitung des Hofes lag zuletzt (Mai-November 1938) bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.
9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern. Sie wurden ebenso wie der Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Nur Rudi Frank kann später nach Santo Domingo entkommen.
3.12.1938 Zwangsverkauf des Hofes an den Landwirt Heinrich Pöppelwerth aus Haustenbeck/Lippe
Gert Löllbach zwei Jahre zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern, Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Westerbeck in Westerkappeln; dort Gruppenleiter (Madrich)
10.11.1938 verhaftet in einem Polizeigefängnis in; Entlassung kurz vor Weihnachten 1938; Nicht ins Konzentrationslager verlegt, weil „der Gestapomann aus meinem Heimatort stammte und sich bei meinem Namen an meinen Vater erinnerte.“
Funktionärstätigkeit im Hechaluz in Berlin, Palästinaamt zur Organisation der Alija jüdischer Jugendlicher
Hachschara in Schweden
1939 Da eine Ausreise nach Palästina per Visum nicht mehr möglich ist, erhält Gert Löllbach ein Visum für Schweden und muss unter Aufsicht der SS von Sassnitz (Rügen) mit der Fähre nach Schweden ausreisen
1940 Moezah (Versammlung) des Hechaluz; v.l. Kurt Marcus, Raphael und Margit Kleinschmidt, Gerd Magnus, Seev Smulowitz, Schüler, Gert Löllbach
In Schweden auf landwirtschaftliche Hachschara, organisiert von der Jugendalija und Hechaluz; verantwortlich für die Jugend-Alija in Schweden war Eva Warburg (Bankhaus Warburg!). Für die insgesamt bis zu 100 Chaluzim betreute sie ein Kinderheim in Tjörnarp, den Jugendalija-Hof in Hälsinggården in der Nähe der Stadt Falun – dort arbeiteten die meisten bei den Bauern der Umgebung – und das jüdische Landschulheim mit Internat in Kristinehov. Das Internat war ein 1934 gegründetes Landschulheim im südschwedischen Västraby
Wohnt in der Familie Nilson in Kristianstads
Löllbach wird in die Leitungsgruppe des schwedischen Hechaluz gewählt
13.3.1942 umgemeldet nach Hässleholm bei Kristianstads als Sekretär des Büros des Hechaluz Schweden in der Nachfolge von Simon Kohlberg; in dieser Funktion enge Zusammenarbeit mit Seev Smulowitz und Eva Warburg
Ausnahmezustand in Dänemark – Massenflucht über den Öresund Oktober 1943
29.8.1943 Die deutschen Besatzer verkünden den „Ausnahmezustand“ wegen zunehmender Widerstandaktionen
17.9.1943 Adolf Hitler befiehlt die Endlösung in Dänemark
September 1943 Anordnung von Werner Best, SS-Obergruppenführer und Generalbevollmächtigter für Dänemark
„Die Festnahme der zu evakuierenden Juden erfolgt in der Nacht vom 1. zum 2.10.43. Der Abtransport wird von Seeland zu Schiff (ab Kopenhagen), von Fünen und Jütland mit der Bahn Sonderzug durchgeführt“.
28.9.1943 der deutsche Diplomat Georg Ferdinand Duckwitz verrät die geplante Deportation bei einem treffenden mit dänischen Sozialdemokraten.
Oktober 1943 7700 Juden können sich mit Hilfe der dänischen Bevölkerung in einer Massenflucht über den Øresund (Ostsee) nach Schweden retten.
1943/44 wurde in Schweden mit Hilfe von Gert Löllbach ein so genanntes Palästina-Büro der Jewish Agency eingerichtet
Gerd Löllbach war bei der Organisation dieser Massenflucht tatkräftiger Organisator. Dafür wurde er vom Staat Israel ausgezeichnet. Besonders erwähnenswert sind der von ihm initiierte Ankauf des Fischkutters „Julius“ und seine Beteiligung an der „Weißen Busse“-Aktion des Leiters des Schwedischen Roten Kreuzes Graf Bernadotte.
Gedenken
Grab für die Eltern in Berlin Weißensee
17.4.1988 Page of Testimony für Alice von ihrer Schwester Marianne Löllbach-Neumann
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Schweden, Haushalte-Untersuchungsbücher, 1840-1947 – Gert Löllback
https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20407/Elz%20Mitteilungsblatt%2030-33_2015.pdf
Zeugenvernehmungen in Stockholm durch Juliane Lepsius; Erhard Roy Wiehn (Hrsg.), So haben sie es berichtet: Gert Löllbach, Charlotte, Johanna, Ruth Herz, Richard (Rix) Löwenthal, Eva und Ruth Brössler, Konstanz 2014
Peter W. Lande, Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History
Gisbert Strotdrees, Kibbuz Westerbeck (Hof Stern), in: Hachschara als Erinnerungsort, 12.12.2022.
https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/4.pdf
https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/
https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt
Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946