Moscizky Ida

Ida Judith Moscizky  später Benton

*22.3.1921 in Meißen; ✡

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Leib Lion Moscizky *25.12.1893 in Grajewo; ✡ 1943 in Auschwitz

Mutter Rebekka Regina Rifka Edelmann *10.1.1896 in Grajewo; ✡ 1943 in Auschwitz

Geschwister –

Helena Moscizky ; oo Kermish

Beruf Landwirtschaftliche Praktikantin

Adressen Meißen; Westerkappeln;

Heirat John Benton (Julius Biegeleisen *3.8.1921 ?)

Kinderja

Die Hachschara Bewegung

In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.

Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.

Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).

So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.

Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.

Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.

Hof Stern in Westerbeck

Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932  bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine landwirtschaftliche Ausbildung für die mittlere und die reguläre Hachschara(>17 Jahre) anbot.

Januar 1934 Beginn der Hachschara; die ersten Chawerim heißen Henry Cohen (Altkarbe), Edgar Adamski (Leipzig) und Markus Lichter (Chemnitz)

1934-1938 arbeiteten und lernten hier 97 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) 31 Mädchen und 66 Jungen, im Mittel 19 Jahre alt. Manche blieben nur wenige Tage, andere bis zu eineinhalb Jahren zwei allerdings sogar zweieinhalb Jahre

1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet

Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, 18.2.1938 18 Personen abgemeldet aus Westerbeck. Dieser Exodus markiert wohl das Ende desstrukturierten Hachschara-Ausbildungsbetriebs.

März -August 1938 nur noch fünf Chaluzim auf dem Hof gemeldet.

Die Leitung des Hofes lag zuletzt (Mai-November 1938) bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.

9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern; Julius Weinberg, Hans Bensew, Rudi Frank, werden mit Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Nur Rudi Frank kann später nach Santo Domingo flüchten.

3.12.1938 Zwangsverkauf des Hofes an den Landwirt Heinrich Pöppelwerth aus Haustenbeck/Lippe

Weiterer Lebensweg

zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern, Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Westerbeck in Westerkappeln

12.6.1937 mit einer größeren Gruppe abgemeldet aus Westerkappeln; zur Familie nach Meißen

1937 Geschäft der Eltern in Meißen für chem. Produkte geschlossen

17.5.1939 mit den Eltern in Meißen bei Minderheiten-Volkszählung

Eltern von Gestapo Meißen abgeholt, zwangsweise in ein Judenhaus in Dresden

Sommer 1939 Ida M. durch eine List auf dem Kindertransport nach England:

„Plötzlich wurde ich von manchen Eltern gebeten, ich sollte auf ihre Kinder gut aufpassen.“ …  „So habe ich mir eine List ausgedacht. In einem Puppengeschäft kaufte ich mir eine weiße Rot-Kreuz-Schürze und eine Haube, mit der ich aussah wie eine Krankenschwester.“ …  „Es war so ein Tumult und so rettete ich mir mein Leben.“

29.9.1939 erfasst bei britischem Census in Farandons, D L Street, Godstone, Surrey mit zahlreichen weiteren „agricultural trainees“ auf einer landwirtschaftlichen Hochschule

Frühjahr 1942 Heirat mit Julius Biegeleisen in St Albans, Hertfordshire, England

23./24.11.1942 -2.3.1943 Eltern interniert im Lager Hellerberg/Dresden

Mutter Rebekka (vorn mit Tasche) nach Leibesvisitation bei Internierung im Lager Hellerberg 1942

3.3.1943 Eltern im Rahmen der reichsweiten „Fabrikaktion“ auf dem Transport Paderborn-Hannover-Erfurt-Dresden nach Auschwitz; mehr als 350 Juden aus Sachsen und Thüringen waren zuvor in das „Judenlager“ am Hellersberg in Dresden verbracht worden. Am frühen Morgen des 3.3.43 wurden die Waggons an einen Transport aus gedeckten Güterwagen angeschlossen, der seit dem 1.3. von Stuttgart über Trier, Essen, Dortmund, Bielefeld und Hannover bereits mehr als 1000 Juden aus ganz Westdeutschland aufgenommen hatte.

Gedenken

22.7.1957 Pages of Testimony für die Eltern von Schwester Helena Kermish

8.7.2000 Pages of Testimony für die Eltern von Judy Ida Benton

9.11.2012 Stolpersteine für die Eltern im Beisein von Judy Benton in Meißen Elbstraße 28

Quellen

Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946

Personenkarte von Hof Stern in Westercappeln, Westerbeck Nr. 74

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

https://www.statistik-des-holocaust.de/OT430303-Dresden9.jpg

https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_mid_43a.html

https://www.saechsische.de/wie-ida-mosszizki-zu-judy-benton-wurde-3657218.html

Peter W. Lande,  Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History

Gisbert Strotdrees, Kibbuz Westerbeck (Hof Stern), in: Hachschara als Erinnerungsort, 12.12.2022

https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/4

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/

https://www.wochenblatt.com/landleben/nachrichten/fluchtpunkt-landwirtschaft-ein-bauernhof-als-rettende-insel-12528911.html

https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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