Cohnheim Fritz

Fritz Cohnheim

*14.8.1923 in Hannover; ✡ nach März 1942 Ghetto Warschau oder KL

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Alfred Cohnheim *5.10.1889 in Gleidingen, Hildesheim; ✡ Ghetto Warschau oder KL

Mutter Alice Examus *5.7.1898 in Detmold ; ✡ nach März 1942 Ghetto Warschau oder KL

Tante Marta Cohnheim *14.8.1877 in Gleidingen

Bruder

Hans-Werner Cohnheim *12.5.1926 in Gleidingen, Hildesheim; ✡ Ghetto Warschau oder KL

Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant

Adressen Hannover; Gleidingen, Hauptstraße 138; Westerkappeln;

Heirat ledig

Kinder-

Die Hachschara Bewegung

In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.

Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.

Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).

So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.

Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.

Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.

Hof Stern in Westerbeck

Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932  bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine landwirtschaftliche Ausbildung für die mittlere (14-17 Jahre) und die reguläre Hachschara(>17 Jahre) anbot.

Januar 1934 Beginn der Hachschara; die ersten Chawerim heißen Henry Cohen (Altkarbe), Edgar Adamski (Leipzig) und Markus Lichter (Chemnitz)

1934-1938 arbeiteten und lernten hier 97 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) 31 Mädchen und 66 Jungen, im Mittel 19 Jahre alt. Manche blieben nur wenige Tage, andere bis zu eineinhalb Jahren zwei allerdings sogar zweieinhalb Jahre

1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet

Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, 18.2.1938 18 Personen abgemeldet aus Westerbeck. Dieser Exodus markiert wohl das Ende der strukturierten Hachschara-Ausbildung.

März -August 1938 nur noch fünf Chaluzim auf dem Hof gemeldet.

Die Leitung des Hofes lag zuletzt (Mai-November 1938) bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.

9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern; Julius Weinberg, Hans Bensew, Rudi Frank, werden mit Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Nur Rudi Frank kann später nach Santo Domingo flüchten.

3.12.1938 Zwangsverkauf des Hofes an den Landwirt Heinrich Pöppelwerth aus Haustenbeck/Lippe

Weiterer Lebensweg

Fritz Cohnheim zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern, Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Westerbeck in Westerkappeln

abgemeldet aus Westerkappeln;

17.5.1939 mit den Eltern und Bruder Hans in Hildesheim bei Minderheiten-Volkszählung

26.3.1942 Zwangseinweisung der Familie von Gleidingen, Hauptstraße 138 in die frühere Israelitische Gartenbauschule in Hannover Ahlem; geplantes Transportziel Trawniki

31.3.1942 Deportation mit den Eltern und Bruder Hans vom Bahnhof Fischerhof in Hannover mit dem Transport Gelsenkirchen- Bielefeld – Hannover – Braunschweig nach Warschau

In Abänderung des ursprünglichen Ziels Trawniki ging der Transport in das Warschauer Ghetto.

1.4.1942 Adam Czerniaków vom Warschauer Judenrat notiert in seinem Tagebuch:

„Der Kommissar rief an, nachts um 11:30 Uhr treffe ein Transport mit 1000-2000 Juden ein. Bis nachts um 12 wussten wir nicht, wann und auf welchem Bahnhof sie ankommen. Um 12 teilte A[uerswald] mit, daß sie in einer halben Stunde ankommen werden… Gegen Morgen wurden etwa 1000 Deportierte aus Hannover, Gelsenkirchen usw. hergeschafft… Alte Leute, viele Frauen, kleine Kinder.“

29.7.1942 Tante Marta Marcus/Cohnheim ab Dortmund nach Theresienstadt
23. 9.1942 Tante Marta Marcus von Theresienstadt ins KL Treblinka

Gedenken

Stolpersteine für die Familie Alfred Cohnheim in Laatzen, Haus Nr. 138 (Hildesheimer Straße 567)

Quellen

Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de901317

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de901302

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de901306

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de925512

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de901316

Personenkarte von Hof Stern in Westercappeln, Westerbeck Nr. 74

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420401-28.html

https://www.statistik-des-holocaust.de/X1-3.jpg

https://www.gedenkbuch-detmold.de/index.php/gedenkbuch/38-die-opfer-in-alphabetischer-reihenfolge/42-biographien/68-c-biographien/194-cohnheim-alice-bertha-geb-examus

Peter W. Lande,  Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History

Gisbert Strotdrees, Kibbuz Westerbeck (Hof Stern), in: Hachschara als Erinnerungsort, 12.12.2022

https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/4

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/

https://www.wochenblatt.com/landleben/nachrichten/fluchtpunkt-landwirtschaft-ein-bauernhof-als-rettende-insel-12528911.html

https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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