Irmgard Müller

*10.9.1920 in Halle/Saale; ✡ 14.7.2017 in Chapel Hill North Carolina
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Albert Müller *14.3.1878 in Halle; ✡3.6.1942 in Sobibor, Distrikt Lublin
Heirat der Eltern 26.11.1911 in Halle/Saale
Mutter Else Bär *27.7.1887 in Hamm/Rheinland; ✡ 3.6.1942 in Sobibor, Lublin
Großmutter Karoline Baer geb Aron *26.11.1865 in Puderbach; ✡4.9.1945 in Essen
Großonkel Julius Aron *20.6.1873 in Puderbach; ✡24.4.1944 in Theresienstadt
Geschwister des Vaters
Emil Müller *7.7.1880 in Halle; ledig; ✡20.12.1938 KL Sachsenhausen;
Waldemar Müller *26.6.1876 in Halle; ✡21.9.1937; oo Henny Rosenberg (*1.4.1884 Witten; ✡3.6.1942 Sobibor)
Betty Müller *7.2.1882 in Halle; oo Julius Stein (*29.7.1876); ✡19.10.1941 beide Suizid in Köln; Tochter Hildegard Stein (*1908 in Köln) oo Fritz Weiler
Julie Müller *5.1.1885 in Halle; oo Dr. Max Marcuse
Geschwister

Foto Familienbesitz
Hans-Joachim Müller *17.4.1913 in Halle; ✡4.1.2010 in Chevy Chase, Maryland; oo Ottilie
Beruf –
Adressen Halle/Saale, Zeppelinstraße 54, Händelstraße 3
Heirat ledig
Kinder –
Weiterer Lebensweg
1927-1936 Schulbesuch; nimmt Kurse in Steno und Maschineschreiben; als Mode-Schneiderin
23.11.1934 Bruder Hans-Joachim emigriert nach Panama

10.11.1938 Vater Dr. jur. Albert und Onkel Emil Müller verhaftet im Novemberpogrom, „Schutzhaft“ in Sachsenhausen; Irmgard zu der Zeit zur Ausbildung in Berlin
20.12.1938 Entlassung des Vaters aus dem KL Sachsenhausen
20.12.1938 Tod des Onkels Emil im KL Sachsenhausen; „Herzschlag“ bei Entlassung

18.-25 11.1938 Cousine Hilde Weiler-Stein mit Ehemann Fritz Weiler und Tochter Ellen Hannelore auf der SS MANHATTAN von Southampton via Kopenhagen nach New York
1938-1940 als Kindermädchen im Privathaushalt in Berlin
17.5.1939 mit den Eltern in Halle/Saale bei Minderheiten-Volkszählung
17.5.1939 Tante Henny Müller-Rosenberg in Halle/Saale bei Minderheiten-Volkszählung
Dezember 1939 Vater zur Zwangsarbeit im Straßenbau verpflichtet

Januar 1940 Irmgard ins Auswanderungslehrgut Groß Breesen
5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Umbenennung der noch bestehenden in „Jüdisches Arbeitseinsatzlager“
Ende August 1941 Offizielle Schließung des Hachscharalagers Groß Breesen
Zunächst in das Forst- und Ernteeinsatzlager Kaisermühl, Krs. Lebus
19.10.1941 Tante Betty und Onkel Julius Stein begehen gemeinschaftlichen Suizid mit fünf weiteren Bewohner des Ghettohauses am Ehrenfeldgürtel 136 vor der anstehenden Deportation aus Köln ins Ghetto Lodz.
Wechsel in das Forsteinsatzlager Hasenfelde, Einsatz auf dem Rittergut Edye-Hasenfelde in einer Gärtnerei und für Bürgermeister Müller über das Arbeitsamt Küstrin
1.6.1942 beide Eltern und Tante Henny auf Transport Kassel-Halle- Sobibor

21.7.1942 Großmutter Karolina Baer mit ihrem Bruder Julius und dessen Frau aus dem Juden-Sammellager Holbeckshof in Essen-Steele (zuvor Bismarckstraße 19), offenbar freiwillig nachträglich gemeldet zum Transport VII/1 Abfahrt Düsseldorf nach Theresienstadt
November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“
20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“
März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz und ins „Generalgouvernement“ deportiert
10. 4.1943 Aus Hasenfelde mit 15 Häftlingen nach Frankfurt/Oder; von dort mit der Bahn nach Berlin; zu Fuß ins Sammellager Große Hamburger Straße
19.4.1943 auf dem 37. Osttransport als Teil der Fabrikaktion, allein 153 Personen aus dem Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde, in regulären alten Personenzügen
Esther Bejerano erinnert sich:
„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“
Esther berichtet auch, dass viele alte und schwache Menschen diesen mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Miriam Edel, Anne Borinski, Hilde Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg, Herbert Growald und noch viele andere. Schimschon und Esther hatten sich getrennt, sie hatte inzwischen ein Auge auf Eli Heymann geworfen, an dessen Seite sie den Transport in die Hölle überstand.
20. 4. 1943 Ankunft in Auschwitz; Notiz im Lagerbuch von Auschwitz:
„Mit einem Transport der RSHA […] sind etwa 1 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41870 bis 42027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen.
Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“
Ihr wird die Häftlingsnummer 41965 in den Unterarm tätowiert
Nach einigen Wochen kommt sie in die SS-Wäscherei-Kommando in der SS-Kommandantur für einige Monate
1944 Wechsel des Arbeitskommandos als Schreiberin in der SS-Standortverwaltung
15.1.1945 die Häftlinge in Auschwitz hören den russischen Kanonendonner 30 km aus dem Osten
18.1.1945 Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; ca 60 000 Häftlinge;
18.1.1945 Beginn des Todesmarsches mit 400 Frauen von Auschwitz- Birkenau nach Loslau
Auschwitz-Überlebende berichten von der Brutalität der SS-Leute während des Todesmarsches:
Zofia Posmysz:
„Der letzte Tag in Auschwitz war der 18. Januar. Nach drei Tagen und drei Nächten zu Fuß wurden wir in offenen Güterwagen nach Ravensbrück gebracht.“
Asher Aud:
„Wenn wir sind gegangen Totenmarsch, da sind keine Menschen gegangen, da sind nur Skelette gegangen.“
Sigmund Kalinski:
„Wer nicht konnte oder wer zur Seite war, wurde erschossen, bei ungefähr 15 bis 20 Grad minus in unseren Kleidern.“
Isidor Philipp berichtet:
„Wer sich hinlegte, wurde von den SS-Männern, die auf Motorrädern fuhren, erschossen.“
19. – 23.1.1945 Ankunft in den Eisenbahnknotenpunkten Gleiwitz und Loslau. Von Gleiwitz oder Loslau in Güterwaggons zu westlich gelegen Konzentrationslager wie Buchenwald, Ravensbrück
21./22.1. 1945 Ankunft in Loslau
22.1.-27.1.1945 auf Transport in offenen Güterwaggons über KL Groß-Rosen und KL Sachsenhausen (jeweils wegen Überfüllung abgewiesen) bis ins KL Ravensbrück; dort zunächst ins „Jugendlager“,
Nach Schätzungen starben bei diesen Räumungstransporten von Auschwitz insgesamt zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge.
März/ April 1945 bei Auflösung des „Jugendlagers“ für wenige Tage ins „Frauenlager“
Anfang April 1945 mit einem Personenzug ins Lager Malchow, Außenlager des KL Ravensbrück
April 1945 Erneute Todesmärsche“ mit jeweils 2000 bis 3000 Frauen in zahlreichen Kolonnen aus dem bereits überfüllten KL Ravensbrück in mehrere Richtungen. Geschwächte und kranke Häftlinge, die dem Marsch nicht mehr folgen konnten, wurden erschossen. Die etwa 1500 Überlebenden des ca. 60 km langen Fußmarsches, die im April 1945 im Außenlager Malchow ankamen, sollten hier nur wenige Tage bleiben.
April 1945 Ankunft im Außenlager Malchow.
1.5. 1945 Befehl der SS, das Lager Malchow zu räumen, Todesmarsch über Plau endet in Lübz.
1.5.1945 werden sie erneut auf dem Marsch getrieben. In der Umgebung der Stadt Crivitz traf der größere Teil der Sachsenhausener Häftlinge aus dem Waldlager Below auf die Frauen aus dem KL Ravensbrück, deren Todesmarsch sie über das Außenlager Malchow, nicht weit von Below entfernt, geführt hatte.
Der Zug mischt sich mit großen Flüchtlingsströmen. Die Wachmannschaften werden von Tag zu Tag weniger, bis sie ganz verschwunden sind.
Anni Rosenhain, Margot Edel, Esther Loewy, Sylvia und Karla Wagenberg, Susi Rosenthal aus Essen und Irmgard Müller treffen auf die Chawera Esther Loewy, die aus dem KL Ravensbrück dazukommt. Auf dem Marsch lösen sie sich unbemerkt aus der Kolonne und können sich in einem Wald verstecken. Sie bleiben bis zum Kriegsende zusammen.
Die sieben von nun an freien Gefährtinnen bitten auf einem Bauernhof in der Nahe von Lübz um ein Nachtlager; sie bekommen sogar einen Eimer gekochte Kartoffeln.
Sieben von nun an freie Gefährtinnen ersuchen einem Bauernhof Nahe Lübz um ein Nachtlager; sie bekommen sogar einen Eimer gekochte Kartoffeln.
3.5.1945 am nächsten Morgen rollen die US-Tanks in den Ort und nehmen die jungen Frauen zu einer gemeinsamen Siegesfeier mit Soldaten der ebenfalls eingetroffenen Roten Armee in den Ort Lübz mit. Esther Loewy begleitet das Fest auf dem Akkordeon.
3. 5.1945 Befreiung durch US-Truppen in Lübz in Mecklenburg
4.5.1945 mit den sich zurückziehenden US-Truppen nach Schwerin
Esther Loewy/Bejerano berichtet von der Befreiung
„Am 3. Mai bin ich befreit worden. An diesem Tag fühlte ich mich zum ersten Mal, seit wir vom Todesmarsch geflüchtet waren, sicher. Sieben Mädchen waren wir, wir haben uns im Wald versteckt. Wir sind erst auf russische Soldaten getroffen und dann auf amerikanische Tanks. Die haben uns aufgenommen, nachdem wir ihnen unsere Nummern auf dem linken Arm gezeigt haben. Sie haben uns nach Lübz gebracht.“
Von Lübz kommen Sie in das neben dem alten KL liegende DP Camp Bergen-Belsen, dort erstmals Kontakt mit der Jewish Brigade, die dort einen Stützpunkt hatte.
8.5.1945 Großmutter Karolina Baer in Theresienstadt befreit von der Roten Armee
1946 in Lüneburg, Uelzener Straße 18; angestellt bei: 3. Press Section
Frühjahr 1946 nach Schweden+

15.11.1946 gemeldet in Danderyd bei Stockholm bei Tante Julie Müller-Marcuse (*5.1.1885 in Halle) und Onkel Max Marcuse (*10.9.1876 in Stassfurt), beide zuvor in Köln
28.1.1947 nach 10 Monaten aus Danderyd bei Stockholm zur Emigration in die USA abgemeldet

31.1.-11.2.1947 auf der SS GRIPSHOLM von Göteborg nach New York

Heimatadresse Tante Julie Marcuse

Zieladresse Bruder Hans Müller in Washington DC
1955 zu Besuch in Deutschland
1979 und 1988 wohnt sie in der Familie ihres Neffen Bruce Müller in New York
Gedenken
3.11.2012 Stolpersteine für die Eltern und Onkel Emil in Halle, Albert-Schweitzer-Straße 54
Stolpersteine in Köln Sülz , Wilhelm-Waldeyer-Straße 16 für Tante Betty und Julius Stein
Quellen
http://www.gedenkbuch.halle.de/gbdatensatz.php?num=199
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1124330
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de933092
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de933208
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1000063
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1000047
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de933229
https://www.statistik-des-holocaust.de/TT420721-2.jpg
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411022-21.jpg
https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn511810
Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 6254); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85
Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957 (National Archives Microfilm Publication T715, roll 7281); Records of the Immigration and Naturalization Service, Record Group 85
Video-Interview mit Issy Philipp 1994
Esther Bejerano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989
Esther Bejerano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013
Anneliese Ora Borinski, Erinnerungen
Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386
Naftali-Rosenthal-Ron, Aufblitzende Erinnerungen, Autobiografie; deutsche Übersetzung von Alice Meroz, Berlin 2015
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883
https://www.ortschroniken-mv.de/images/d/d9/MAL_KZ_Aussenlager.pdf
https://www.ernster.com/annot/564C42696D677C7C393738333839313434333533387C7C504446.pdf?sq=2
https://www.topfundsoehne.de/ts/de/service/mediathek/videos/2020/139178.html
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883
Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013