Hans Kaliski
*16.9.1914 Hamburg ; ✡3.8.2004 in Degania A (aleph)
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Josef Kaliski; ✡ 1914
Mutter Selma Selo *11.5.1881 in Schlochau; ✡ 1942 in Riga
Großeltern Aharon Selo und Charlotte Engel in Schlochau
Tante Rosa Selo *4.1.1873 in Schlochau; ✡1.12.1939 Euthanasie in der Landesheilanstalt Meseritz
Onkel Siegmund Selo *19.3.1876 in Schlochau; ✡ 26.4.1944 in Theresienstadt
Onkel Max Selo *26.2.1879 Schlochau; ✡8.9.1942 Massenerschießung in Riga, 19. Berliner Transports
Beruf Landwirtschaftlicher Praktikant
Adressen Hamburg; Giessen; Schlochau; Westerkappeln; Degania
Heirat Zwia Zika Becker *22.10.1918; ✡25.10.2007 in Degania Aleph
Kinder drei
Deportation der Mutter, des Onkels Siegmund mit den Juden aus Stettin am 13.2. und Schneidemühl am 21.2.1940
10.11.1938 Verhaftung des Onkels Siegmund im Novemberpogrom in Schlochau; Interniernung als „Schutzhäftling“ im KL Sachsenhausen
5.12.1938 Entlassung des Onkels Siegmund aus dem KL Sachsenhausen
17.5.1939 Mutter Selma mit Bruder Siegmund in Schlochau bei Minderheiten-Volkszählung
13.2.1940 Deportation von 1107 Stettiner Juden nach Lublin. Die dänische Zeitung „Politiken“ berichtet am 17.2.1940:
„In den Nachtstunden des 12. zum 13. Februar wurden in Stettin sämtliche Juden abtransportiert… Zwischen 3 und 4 Uhr am Morgen des 13. Februar wurden die Juden mit Frauen und Kindern ohne Rücksicht auf ihr Alter und ihren Gesundheitszustand durch je zwei Posten der SS und der SA aus ihren Wohnungen geholt und zum Güterbahnhof Stettin gebracht, von wo aus der Abtransport nach Ostpolen in den frühen Morgenstunden des Dienstag erfolgte. Auch die Insassen der beiden jüdischen Altersheime in Stettin, ca. 82 Personen, darunter Frauen und Männer über 90 Jahre, wurden deportiert. Soweit sie nicht mehr zu gehen imstande waren, wurden sie auf Tragbahren zum Güterbahnhof gebracht… Bereits auf der Durchfahrt durch Schneidemühl – etwa 24 Stunden nach dem Abtransport – mussten die ersten Leichen aus dem Deportationszug entfernt werden. Es handelte sich zunächst um eine Frauenleiche, der später die Leichen von zwei Kindern folgten. Einige andere Personen lagen im Sterben, wie Zurufe aus den Wagenfenstern des Zuges an den Stationsvorsteher des Bahnhofs besagten.“
Februar 1940 Familien aus Schönlanke in das provisorische Gefängnis in Schneidemühl
Eine für das RSHA erstellte Liste vom 9.4.1940 beschreibt die Räumung des Bezirks Schneidemühl:
„Am 21. Februar 1940 wurden die im Regierungsbezirk Schneidemühl wohnhaften Juden im Ort Schneidemühl gesammelt und im Gemeindehaus sowie in der jüdischen Leichenhalle notdürftig untergebracht. Es handelte sich um insgesamt 544 Personen. Am 22. Februar wurden 104 Personen nach Neuendorf überführt. Von diesen kamen zum Forsteinsatz 25 Personen, in Heime und Pflegeanstalten 16 Kinder, ins Krankenhaus 3 Kinder, ins Altersheim Friedenstr. 15 Personen, ins Siechenheim Lichterfelde (Jungfernstieg 15) 2 Personen, in die Sammelpflegestelle Elsässerstrasse (Nr. 85) 3 Personen; in Neuendorf befinden sich 40 Personen. Am 27. Februar wurden mit einem Krankentransport 17 Personen in das Siechenheim Lichterfelde verbracht. Es sind davon 4 Personen verstorben. Am 11. März wurden 165 Personen in das Durchgangslager Glowno b/Posen abtransportiert. Diese wurden am 2.4. und 6.4. aus Glowno entlassen, und zwar nach Neuendorf 65 Personen, nach Radinkendorf 45 Personen, in ein Heim in Bielefeld 38 Personen, in das Altersheim Friedenstrasse 7 Personen, in das Siechenheim Berlin-Lichterfelde 4 Personen, in Pflegestellen Berlin 2 Kinder, in Glowno verstorben 3 Personen, im Krankenhaus Posen verblieben 1 Person. Aus Schneidemühl sind am 4. April 49 Personen verbracht worden, und zwar sind 22 Kinder in Heime und Pflegestellen in Berlin, 27 Erwachsene nach Radinkendorf gekommen. Zur Einzelentlassung kamen (vor allem ins Krankenhaus) 6 Personen, in Schneidemühl verstorben sind 4 Personen. Es befinden sich noch in Schneidemühl 199 Personen.“
Onkel Siegmund kommt in das Siechenheim Lichterfelde und von dort als Krankenpfleger zum orthodox-jüdischen Israelitischen Krankenheim (Adass Jisroel) in der Elsässer Straße 85
6.4.1940 Mutter Selma aus dem Sammellager Glowno bei Posen(Oststadt) mit 38 Personen aus dem Netzekreis nach Bielefeld ins Lager Schloßhof.

25.11.1940 Mutter Selma abgemeldet aus dem Schloßhof nach Dortmund, Moltkestraße 17
19.11.1941 auf der ersten Riga-Transport-Liste der Gestapo Dortmund findet sich der Name der Mutter nicht; der Transport wird mangels Eisenbahn-Kapazität nach Weihnachten auf den 27.1.1942 verschoben

27.1.1942 Transport der Mutter von Dortmund nach Riga
1942 Tod der Mutter in Riga, vermutlich schon bei der Dünamünde -Aktion im März 1942
21.7.1942 Deportation des Onkel Siegmund Selo mit Ehefrau Bertha, beide als Krankenpfleger als Transportbegleitung auf dem Transport I/27, Nr. 2005, Alterstransport aus Berlin nach Theresienstadt
Die Hachschara Bewegung
In den ersten acht Jahren der Nazi-Diktatur bis zum Beginn des Russland-Feldzuges 1941 wurden Auswanderungsaktivitäten jüdischer Organisationen nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert.
Am 25. August 1933 wurde nach dreimonatigen Verhandlungen zwischen der Jewish Agency, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem deutschen Reichsministerium für Wirtschaft zur Erleichterung der Emigration und Förderung des deutschen Exports eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.
Im gesamten „Deutschen Reich“ entstanden überwiegend landwirtschaftliche Ausbildungsstätten für jüdische Mädchen und Jungen, sogenannte Hachschara-Stätten (Hachschara hebräisch für Ertüchtigung).
So bestanden 1935 31 Hachschara-Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei in Deutschland, in denen sich die „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) durch Erlernen eines landwirtschaftlichen Berufs für ihre Auswanderung nach Palästina (Alija) vorbereiteten.
Der entsprechende Nachweis durch die jüdische Dachorganisation Hechaluz bildete die Voraussetzung für die Ausstellung eines Einreisevisums durch die britischen Behörden auf der Basis eines sogenannten „Arbeiterzertifikats der Kategorie C“. Von den ab 1933 nach Palästina auswandernden deutschen Juden gehörten „etwa 36 % zur »Mittelstandseinwanderung«, über das Kapitalisten-Zertifikat (Kategorie A), die 1000 Palästina Pfund mitbringen mussten. Etwa 32 % der Einwanderer waren Arbeiter der Kategorie C.
Zwischen 1933 und 1938 konnten mehr als 18.000 jüdische Jugendliche aus Deutschland emigrieren, überwiegend zur Alija nach Palästina. Das war etwa jeder vierte aus der Generation der 6- bis 25-jährigen.
Hof Stern in Westerbeck
Der erste Hachschara-Hof in Westfalen entstand in der Gemeinde Westerkappeln. Die Umschulungs- und Einsatzlager des RVJD in Bielefeld und Paderborn folgten erst später und bestanden von 1939 bis 1943. Die Brüder Leo (1900-1938) und Rudolf Stern (1898-1957) aus Osterkappeln hatten den Hof Elstroth, Westerbeck mit der Hausnummer 74 in der Gemeinde Westerkappeln mit 20 Hektar Land Ende 1932 bei einer Zwangsversteigerung erworben. In den Jahren 1933 bis 1938 verpachteten sie den Großteil ihres Hofes Stern an den jüdischen Pfadfinderbund „Makkabi Hazair“, der hier eine landwirtschaftliche Ausbildung für die mittlere (14-17 Jahre) und die reguläre Hachschara(>17 Jahre) anbot.
Januar 1934 Beginn der Hachschara; die ersten Chawerim heißen Henry Cohen (Altkarbe), Edgar Adamski (Leipzig) und Markus Lichter (Chemnitz)
1934-1938 arbeiteten und lernten hier 97 „Chaluzim“ (hebräisch für Pioniere) 31 Mädchen und 66 Jungen, im Mittel 19 Jahre alt. Manche blieben nur wenige Tage, andere bis zu eineinhalb Jahren zwei allerdings sogar zweieinhalb Jahre
1937 in Westerbeck auf dem Hof Stern 27 Bewohner gemeldet
Von Juni 1936 bis zum Februar 1938 verließen viele Jugendliche den Hof, zumeist in ihre Heimatorte, 18.2.1938 18 Personen abgemeldet aus Westerbeck. Dieser Exodus markiert wohl das Ende der strukturierten Hachschara-Ausbildung.
März -August 1938 nur noch fünf Chaluzim auf dem Hof gemeldet.
Die Leitung des Hofes lag zuletzt (Mai-November 1938) bei dem aus Syke bei Bremen stammenden Ehepaar Dora und Siegfried Löwenstein, die mit ihrer Tochter Grete auf dem Hof lebten.
9./10. November 1938 in der Pogromnacht überfiel ein SA-Trupp den Hof. Das Verwalterehepaar Löwenstein wurde brutal misshandelt, das Mobiliar wurde zerstört, Fensterscheiben wurden zerschlagen. Vier junge Männer lebten zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Hof Stern: Fritz Goldschmidt, Schwiegersohn des Verwalterehepaares Löwenstein, Julius Weinberg, Hans Bensew, Rudi Frank, werden mit Verwalter Siegfried Löwenstein festgenommen und in Westerkappeln inhaftiert. Während Löwenstein nach einer Woche auf den Hof zurückkehren konnte, wurden die vier anschließend für einige Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Nur Rudi Frank kann später nach Santo Domingo flüchten.
3.12.1938 Zwangsverkauf des Hofes an den Landwirt Heinrich Pöppelwerth aus Haustenbeck/Lippe
Weiterer Lebensweg

28.9.1935 Umzug von Giessen nach Schlochau, vermutlich zur Mutter und den Großeltern Aharon Selo und Charlotte Engel in Schlochau
Hans Kaliski zur Hachschara auf den Hof Westerbeck/Stern,Hachscharalager des jüdischen Pfadfinderbundes „Makkabi Hazair“ auf Gut Westerbeck in Westerkappeln
November 1939 abgemeldet zur Auswanderung nach Palästina
Der Kladovo-Transport Sonderhachschara Nr. 5
Vom Hechaluz Österreich organisierte Alijah beth mit 17 Chaluzim (13 Jungen, 4 Mädchen) aus Ahrensdorf; erstmals sollten auch Jugendliche unter 18 Jahren über die Donauroute, Schwarzes Meer, illegal nach Palästina gebracht werden
24./25.11.1939 mit 822 von Wien nach Bratislava; dort kamen weitere 130 aus Berlin, 50 aus Danzig, 100 aus Prag
Anfang Dezember auf die SS URANUS zunächst nach Gyor; dann wieder zurück nach Bratislava
12.12. 1939 weiter nach Bezdan
14./15.12.1939 in Budapest auf drei jugoslawischen Schiffen SS Kraljica Marija, Car Dusan and Car Nikola zur jugoslawisch-rumänischen Grenze; die rumänischen Behörden verweigern die Einreise.
18.12.-30. 12.1939 in Prahovo
31.12.1939 die Schiffe liegen im Winterliegeplatz in Kladovo, die Flüchtlinge bleiben an Bord
Januar 1940 ein umgebauter Schleppkahn wird angehängt, um mehr Platz zu haben
Mai 1940 die Schiffe fahren ab, die Flüchtlinge suchen bei Bauern Unterkunft
19. 9.1940 die Flüchtlinge werden auf dem Kahn nach Sabac geschleppt
Unterbringung in Sabac in einer alten Mühle und einem Getreidespeicher
März 1941 verlassen bevorzugt Kinder und Jugendliche Sabac mit legalen Visa
6.4.1941 Einmarsch der Wehrmacht in Serbien
August 1941 Juden von Sabac und die Flüchtlinge in einer alten Festung Camp Sabac interniert
11.10.1941 Jüdische Männer, Zigeuner und manche Serben verlegt in das Seniak Camp
12./13. Oktober 1941 Massenerschießung in Zasavica von 2100 Männern als Vergeltungsaktion für 21 tote deutsche Soldaten

auf der Todesliste der Massenerschießung in Zasavica; Hans Kaliski mit gefälschtem Geburtsdatum (?), in der Hoffnung ein Studentenzertifikat B III zu erhalten(?)
Überlebender des Kladovo-Transportes
Kibbuz Degania A (aleph)
3.8.2004 Tod in Degania A (aleph)
Gedenken
24.6.1999 Page of Testimony für die Mutter Selma Kaliski von Sohn Jochanan Kaliski

Grabsteine für Zwia Zika (1918-2007) und Hans Jochanan Kaliski (co:Billion Graves)
auf dem Degania Alef Cemetery, mit Angabe der Namen seiner Eltern Selma und Josef Kaliski
Quellen
Jüdische Einwohner von Westerkappeln seit 1933 mit Belegungsliste Westerbeck, erstellt von der Gemeinde Westerkappeln am 14.11.1946
Personenkarte von Hof Stern in Westercappeln, Westerbeck Nr. 74
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/129110878
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127200233
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de890736
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de890751
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1159574
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de960384
https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_wfn_420127.html
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420127_Dortmund12.jpg
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Peter W. Lande, Jewish „Training“ Centers in Germany, Manuskript von 1978 im Bestand des Centers for Jewish History
Gisbert Strotdrees, Kibbuz Westerbeck (Hof Stern), in: Hachschara als Erinnerungsort, 12.12.2022
https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/4
https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kibbuz-in-westfalen/
https://archive.org/stream/MitteilJdischerPfadfinder/Nr.%2010%20%281936%29_djvu.txt