Werner Michaelis Sauer
*23.11.1918 in Gelsenkirchen; ✡ 27.3.1989 in Middlefield, Geauga County, Ohio
Staatsangehörigkeit deutsch, USA
Vater Leopold Sauer *11.4.1883 in Oedt; ✡März 1945 im Lager Rieben
Mutter Auguste Rotschild *31.10.1888 in Kolmar; ✡14.12.1944 in Stutthof
Onkel Arthur Sauer
Schwester
Lieselotte Sauer *26.2. 1913 in Gelsenkirchen; ✡ USA; oo Kurt Hochheimer
Gefährte Paul Braunschild *17.9.1924 in Nieheim, Detmold; ✡1972 in Köln
Unklar
Ingeborg Sauer *21.1.1928 in Würzburg; Überlebende von Gurs; oo Gluck
Beruf –
Adressen Gelsenkirchen, Schalker Straße 184, Liboriusstraße 61; Berlin
Heirat 1951 Polly Pauline Werkin *21.8.1924; ✡11.6.2003
Kinder keine
Weiterer Lebensweg
21.7.1919 Umzug der Familie von der Friederichstraße 13 in die Schalker Straße 184
1925 Einschulung Jüdische Volksschule
1929 Wechsel zum Gymnasium;
1933 nach Umbenennung in Adolf-Hitler-Gymnasium, muss er abgehen
6.6.1935 Schwester Lieselotte heiratet Kurt Hochheimer; sie emigriert mit dem Ehemann nach Nairobi, Kenia
17.4.1936 Zwangsversteigerung des väterlichen Hauses Schalker Straße 184
22.10.1936 Abmeldung aus Gelsenkirchen, „Auf Reisen“; Flucht mit den Eltern in die Niederlande
1934 Führerschein; Arbeit als Chauffeur
2.2.1937 Rückkehr in die Liboriusstraße
Überseegruppenwanderer Lehrgut Groß Breesen
Mai 1936 Eröffnung des nichtzionistischen Übersee-Gruppenwanderer Lehrgutes Groß Breesen; im Gegensatz zu anderen Lagern ist Groß Breesen nicht an jüdische Organisationen gebunden, war jedoch stark geprägt vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V., assimiliert, liberal, national)
1936-1939 Curt „Bo“ Bondy Lagerleiter und pädagogischer Leiter, auf Bitten von Leo Baeck; von vielen ‚Groß-Breesenern‘ wurde er als charismatische Persönlichkeit, der sie viel zu verdanken haben, verehrt. Unterstützt wurde er von Ernst Cramer, einem älteren Praktikanten.
Leiter der landwirtschaftlichen Ausbildung war Oberinspektor Erwin Scheier, dessen Frau Ruth oblag die Hauswirtschaft, Tischlermeister Max Kiwi die Schreinerei.
14.4.1938 Werner Sauer zur Hachschara in Groß Breesen in Schlesien gemeldet. Dort befand sich eine nicht-zionistische, landwirtschaftliche Umschulungs- und Ausbildungsstätte für jüdische Auswanderer mit Zielländern außerhalb Palästinas.
25. 7.1938 Werners Rückkehr nach Gelsenkirchen in der Liboriusstraße 61
10.11.1938 Novemberpogrom Überfall der SA auf den Hof in Groß Breesen, alle über 18-Jährigen Männer werden mit einem Bus abgeführt und ins KL Buchenwald gebracht, auch Curt Bondy, der als Homosexueller besonders gefährdet war; die Frauen und Jungen bleiben auf dem Hof zurück.
10.11.1938 Novemberpogrom Vater Leo wird nicht verhaftet, wegen seiner Rolle als früherer Sponsor von „Schalke 04“; Werner ist auf der Arbeit
17.5.1939 Werner mit den Eltern in Gelsenkirchen, Liboriusstr. 61 bei Minderheiten-Volkszählung
1939/1940 das Haus Liboriusstraße 61 wird „Judenhaus“
1939 Entzug des Führerscheins für alle Juden
1941 Zwangsarbeit, Werner Sauer als Maurer im Katholischen Krankenhaus an der Kirchstraße in Gelsenkirchen. “Ich werde nicht mehr wiederkommen.” sagte er eines Tages zur Schwester Oberin. “Warum nicht?” fragte die Ordensschwester. “Ich bin Jude.” sagte Werner Sauer leise. Die Oberin antwortete traurig: “Wenn die jüdischen Menschen Deutschland verlassen müssen, wird es sehr dunkel. Denn sie nehmen die Sterne, den Mond und die Sonne mit”.
Die Deportation nach Riga
Rolf Abrahamsohn berichtet:
„Am Morgen des 24. Januar um sieben Uhr wurden wir in Recklinghausen lebenden Juden aus den Häusern geholt. Wir standen bis nachmittags um vier auf der Straße, bevor man uns mit Lastwagen nach Gelsenkirchen zur Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz brachte.“
24.1.1942 Verbringung der Juden aus Geslsenkirchen zur Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz
Die Chronik der Stadt Gelsenkirchen verzeichnet für den 27. Januar 1942:
„In den städtischen Ausstellungshallen ist ein Judensammeltransport zusammengestellt worden. Es handelt sich um 506 Juden aus dem Präsidialbezirk Recklinghausen, die heute nach den Ostgebieten evakuiert werden. Unter ihnen befinden sich 350 Personen aus Gelsenkirchen. Vorerst verbleiben in unserer Stadt noch 132 meist alte und kränkliche Juden“.
27.1.1942 Transport vom Güterbahnhof Gelsenkirchen über Dortmund nach Riga-Skirotawa
1.2.1942 Ankunft Skirotawa, Fußmarsch ins Ghetto Riga
Sommer 1942 der „jüdische SS-Offizier“ Scherwitz, Chef der SS Werkstätten in Riga (Washingtonplatz, später LENTA) macht ihn zum Leiter der deutschen Arbeitskolonne, die täglich vom Ghetto, auf die „LENTA“ marschiert; zur Kolonne gehört auch sein Gefährte Paul Braunschild.
Fritz Scherwitz requiriert ein eigenes Haus für seine beiden Arbeitskolonnen, für die Letten Kalna Iela 30 und die deutsche Kolonne unter Sauer auf der Ludzas Iela.
Juli-2. November 1943 schrittweise Auflösung des Ghettos; Einrichtung des Konzentrationslagers Riga-Kaiserwald und verschiedener Betriebslager mit lokaler Kasernierung; Kommandant des KL Kaiserwald Sturmbannführer Albert Sauer
Sauer mit seiner Arbeitskolonne in die Außenkasernierung LENTA
3.November 1943 Auflösung des Ghetto Riga
Sommer 1944 Auflösung des KL Kaiserwald, Riga
Juli – September 1944 Transporte der Arbeitsfähigen aus Riga per Schiff nach Stutthof
6.8.-9.8.1944 1. Großer Transport mit der „Bremerhaven“ von Riga nach Danzig
Werner Sauer bis zuletzt auf der LENTA
28.9.-1.10.1944 3155 Häftlinge aus Riga Kaiserwald, 300 von der Lenta auf dem Frachtschiff „Kanonier“ von Riga->Danzig
1.10.1944 Ankunft mit der LENTA-Gruppe in Stutthof
31.10.1944 Werner Sauer mit dem Zug in das Außenlager Burggraben, Zwangsarbeit auf der Schichau-Werft in Danzig (U-Boot-Bau) auf dem täglichen Marsch zur Werft; flieht er mit Paul Braunschild; sie werden gefasst; zwei Wochen im Gefängnis; sie geben vor, gefangene Marine-Deserteure aus dem KL Stutthof zu sein.
3.2.1945 Vater Leopold Evakuierungsmarsch von Stutthof in das Auffanglager Rybno (Rieben) Anfang März 1945 Tod des Vaters Leopold Sauer in Rieben
Zweite Flucht, Überleben bis zur Befreiung durch die „Rote Armee“ im Versteck bei polnischen Bauern; zunächst verhaftet von den Russen als „deutscher Spion“; von einem Juden des polnischen „Roten Kreuz“ mitgenommen nach Bromberg dort trifft er Helga Lindemann aus Gelsenkirchen, die für den NKWD in der Küche arbeitet; daraufhin gibt er sich als holländischer Jude aus
Mit Hilfe französischer Soldaten kommt er nach Berlin in den frz. Sektor
Berlin
1949 USA zu Onkel Arthur Sauer in Cleveland
3 Jahre als Bierbrauer bei der Carlings Brewing Company Cleveland
Monteur für Gas Thermen in Cleveland
1984 Oral History Interview
27.3.1989 Tod in Middlefield, Ohio
Gedenken
8.5.2020 Stolpersteine in Gelsenkirchen für Werner Sauerund seine Eltern Schalker Str. 184
Quellen
Anita Kugler, Scherwitz – Der Jüdische SS-Offizier, 2017
https://collections.yadvashem.org/en/documents/3550820
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420127-Gelsenkirchen13.jpg
http://www.stolpersteine-gelsenkirchen.de/stolpersteine_ehepaar_sauer.htm
https://portal.ehri-project.eu/units/us-005578-irn521410Wolfgang Scheffler, Diana Schulle, Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten Juden 2011
Christin Sandow (Hrsg.), Käthe Fries, Schießen Sie mich nieder, Lukas Verlag 2017
Gertrude Schneider, Reise in den Tod, Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Laumann-Verlag, 2008, Seite 127
Gertrude Schneider, Exile and Destruction, The Fate of the Austrian Jews 1938-1945; Praeger 1995
Hilde Sherman: Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto, Frankfurt/M.-Berlin-Wien, 1984