
Alex (Jakob) Salm
*18.5.1922 in Wegberg; ✡ 6.9.2004 in Köln
Staatsangehörigkeit deutsch, staatenlos
Vater Moses Salm, Viehhändler, *11.10.1889 Golkrath; ✡nach 1942 Ghetto Izbica
Heirat der Eltern im Juni 1921 in Gey bei Düren (vermittelte Ehe)
Mutter Berta Meyer, *14.3.1893 Gey; ✡nach 1942 Ghetto Izbica
Großeltern Albert Salm und Sara Bendix
Großeltern David Meyer und Adelheid Meier; ✡1931 in Düren

v.l. Berta, Kurt, Lotte, Ilse, Moses, Alex Salm 1930
Geschwister
Ilse Salm *26.11.1923 Wegberg; ✡nach 1942 Ghetto Izbica
Lotte Salm, *27.5.1925 Wegberg; Näherin, ledig; ✡nach 1942 Ghetto Izbica
Kurt Salm, *25.8.1928 Wegberg; wohnhaft in Wegberg; ✡nach 1942 Ghetto Izbica
Beruf Versicherungskaufmann
Adressen Wegberg, Venloerstraße 6; Köln, Am Duffesbach 24
Heirat 1946 Margarete Stammsen ; ✡1997
Kinder
Ilse Salm 1947; ✡1952 an Hirnhautentzündung
Kurt Salm 1949
Weiterer Lebensweg
12. 10. 1922 Änderung des Vornamens in Alex, geboren als Jakob Salm
Ostern 1928 Einschulung katholische Volksschule in Wegberg
1932 1932 Wechsel auf die Familienschule, eine zweijährige Privatschule in Wegberg; jüdischer Religionsunterricht in Wassenberg durch den jüdischen Lehrer Frohmann aus Geilenkirchen
1934 – Ostern 1936 jüdische Schule in Rheydt
Alex Salm schreibt über seine Kindheit mit Verwandtenbesuchen in Linnich:
„Ich hatte drei Verwandtenfamilien – wenn man die entfernt verwandten Familien Jakobi und Mendel nicht dazu rechnet – innerhalb der Jüdischen Gemeinde Linnich und habe dort entsprechend oft zwischen 1930 und 1941 meine Ferien verbracht. Ich kannte die meisten Familien, weil mein Onkel Sigmund Schwarz der einzige Schochat (ritueller jüdischer Metzger) in der Gemeinde war und ich oft und gerne mitfuhr, die jüdischen Familien mit Fleisch zu beliefern. Ich kannte die Kinder der jüdischen Schule, den Lehrer und befreundete Familien, die Synagoge und den Friedhof. Soviel ich von meinen Linnicher Cousinen noch weiß, war Linnich damals die kleinste Stadt in Deutschland mit ca. 2000 Einwohner. Die jüdischen Einwohner Linnichs waren, an dieser Zahl gemessen, so zahlreich, daß Linnich eine jüdische Schule mit qualifiziertem jüdischen Lehrer hatte. Die Synagoge war für solch ein Städtchen sehr groß, so groß wie die in der Stadt Rheiydt, entsprechend ihrer Mitgliederzahl. Zur jüdischen Gemeinde Linnich zählten auch die Juden aus den Orten Körrenzig, Boslar Setterich usw., wie z.B. meine Tante Johanna Schwarz aus Körrenzig, deren Familie aus vier Personen (bestand), Frau Rosa Seligmann aus Körrenzig, deren Familie aus 5 Personen (ohne Schwiegersohn) bestand und Sigmund Schwarz aus Körrenzig, Mitglied des Israelitischen Wohltätigkeitsvereins und des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten.
Mitte April 1935 Fensterscheiben am Wohnhaus der Familie werden eingeworfen. Die Täter wurden nicht ermittelt.
11./ 12. Mai das Wohnhaus nächtlich mit roter und brauner Farbe und judenfeindlichen Aufschriften beschmiert. Die Täter wurden zwar ermittelt, später jedoch freigelassen, keine Strafverfolgung
1935 Mutter Berta bringt Bruder Kurt zum Onkel Siegfried Meier nach Belgien
1935 Entzug des Wandergewerbescheins von Alex‘ Vater, angeblich wegen Unzuverlässigkeit und Verstößen gegen Vorschriften; er arbeitet danach als Straßenfeger.
April 1936 Kaufm. Lehre in der jüdischen Weberei Hellendall in M.-Gladbach
1936 Eltern Salm aus der Wahlkartei der Gemeinde gestrichen (reichsweite Verfügung)
17.11.1936 Strafanzeige der Gemeinde Wegberg gegen Moses Salm wegen Gewerbevergehens
17. 2.1937 Entzug der Legitimationskarte für die Ausübung des Handels.
2.7.1937 Entscheid des Regierungspräsidenten in Aachen Untersagung des Viehhandels
8.8.1937 Streichung der Gewerbeanmeldung aus der Gewerbekartei der Gemeinde
10.11.1938 Haustür und Wohnung demoliert, Alex zusammen mit seinem Vater und Onkel und Vetter Albert verhaftet im Novemberpogrom, in Haft im Kellergeschoß des Alten Rathauses in Erkelenz; währenddessen Zwangsarbeit in einer Steingrube, wobei sich Alex an der Hand verletzt
15.11.1938 Vater in „Schutzhaft“ im KL Sachsenhausen; Alex nach Hause entlassen
Im KL Sachsenhausen erhält der Cousin aus Mülheim das Visum zur Ausreise in die Dominikanische Republik (Sosua-Settlement-Project)
14.12.1938 Vater entlassen aus dem KL Sachsenhausen
Dezember 1938 die Geschwister Alex, Kurt und Lotte nach Belgien zu ihrem Onkel Siegfried Meier
Alex erkundigt sich beim Palästinaamt der RVJD in Berlin nach den Möglichkeiten zur Alija nach Palästina; es wird ihm als Hachscharalager Urfeld bei Bonn angeboten; sein Vater verbietet ihm diese Umschulung und vermittelt ihm die Schweißerausbildung in Köln

8./9.1.1939 Alex Salm zur Ausbildung in der Handwerkerschule Synagogengemeinde in Köln, Utrechter Straße 26

Vorne v.l.: A. Voks, Heinz Friedmann, Alex Salm, Wolfgang Jakobs, unbekannt (Artur Kann? Fred Wolf?)
Hintere Reihe v.l.: Siegfried Rothschildt, Karl Heinz Ulmer, Joachim Israel, Karl-Heinz Lichtenstein, Kurt Jaegers
Er wohnt im Lehrlingsheim in der Agrippastraße 10. Nach Abschluss der Ausbildung für ein Unternehmen für Schweißarbeiten (Dipl. Ing. Fritz in Köln-Kalk), als Schweißer auf Montage tätig, wie zum Beispiel bei der Reparatur einer Brücke über die Wied.
10.5.1940 Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Belgien, Onkel Siegfried emigriert nach Canterbury in England, die Geschwister Kurt und Lotte müssen zurück nach Deutschland
Anfang April 1941 Eltern zusammen mit ihren Kindern Inge, Lotte und Kurt in das Ghettohaus
„Haus Spiess“ in Hetzerath eingewiesen, wo sie mit 36 Mitbewohnern leben mussten
19.11.1941 Alex Salm mit Max Leib auf einer Baustelle für eine Siegener Firma an der Donnersmarckhütte in Hindenburg; dort erreicht ihn der Deportationsbescheid per Post mit der Aufforderung, sich am 6.12.1941 in den Messenhallen Köln-Deutz einzufinden; geplante Abfahrt 8.12.1941!)
Alex Salm besucht daraufhin vor seiner Deportation nach Riga seine Familie ein letztes Mal im Judenghetto in Hetzerath; er wohnt mit Max Leib bei Familie von Max Leibs Freundin Grete Wilzig in Köln, Am Duffesbach 24, die

ebenfalls auf den Riga-Transport gehen
6.12.1941 Sammellager Messehallen Köln Deutz

7./8.12.1941 Transport mit Max Leib von Köln Deutz in 3. Klasse-Waggons der Reichsbahn nach Skirotawa, Riga und einer Gruppe von sechs Jugendlichen aus der Firma Fritz ( Helmut Roelen, Max Leib, Heinz Baermann, Rudi Billig, Artur Kann); Rudi Billig wird am Bahnhof Deutz zusammengeschlagen
8.12.1941 soll es einen kleinen Nachtransport gegeben haben; (wohl irrtümliche Annahme, da der ursprüngliche Transport auf den 8.12.1941 aus Köln angesetzt war).
10.12.1941 Ankunft Rangierbahnhof Skirotawa, Fußmarsch ins Ghetto Riga
13.12.1941 18 km Fußmarsch von 200 jungen Männern aus dem Ghetto Riga zum Aufbau des Lagers Salaspils; Alex zusammen mit vier Freunden aus dem Kölner Transport: Heinz Baermann, dessen Cousin Hans Baermann, Rudi Billig, Artur Kann und Max Leib; alle fünf überlebten Riga
22.3.1942 Auflösung des Judenghetto „Haus Spiess“

Familie Salm mit der Bahn über Aachen in das Transitghetto Izbica (Distrikt Lublin, Polen)
Mai (spätestens August 1942 Rückkehr aus Salaspils ins Ghetto Riga
1943 SS-Leute verprügelten Alex Salm im KL Kaiserwald mit einer Art Ochsenziemer derart, dass er, zunächst für tot gehalten weggetragen wurde. Sein Arm war bis auf die Knochen blutig geschlagen worden. Zwei jüdische Ärzte Dr. Hans Aufrecht und Rolf Bischofswerder, beide zuvor Ärzte im Kölner Krankenhaus „Israelitisches Asyl“, nähten seine tiefklaffenden Wunden.
Alex Salm behielt hiervon lebenslang Narben, am linken Oberarm sowie an Brust und Rücken. Der linke Arm blieb in seiner Beweglichkeit eingeschränkt.
Juli-2. November 1943 schrittweise Auflösung des Ghettos; Einrichtung des Konzentrationslagers Riga-Kaiserwald und verschiedener Betriebslager mit lokaler Kasernierung; Kommandant des KL Kaiserwald Sturmbannführer Albert Sauer
1943 zur Zwangsarbeit im Männerlager Suschenhof, einem landwirtschaftlichen Gut; es bestand von April 1943 bis zur Schließung im Spätherbst 1943; Lager Leiter Reese
3. November 1943 Auflösung des Ghetto Riga

6.3.-28.4.1944 als Schlosser in den LENTA-Werkstätten
16.5.-3.8.1944 als Schweißer im HKP Heereskraftfahrzeugpark
4.8.-16.8.1944 als Arbeiter im Außenlager Strasdenhof (AEG-Fabrik)
Sommer 1944 Auflösung des KL Kaiserwald, Riga
Juli – September 1944 Transporte der Arbeitsfähigen aus Riga per Schiff nach Stutthof
6.8-9.8.1944 1. Großer Transport mit der „Bremerhaven“ von Riga nach Danzig
28.9.-1.10.1944 3155 Häftlinge aus Riga Kaiserwald, 300 von der Lenta auf dem Frachtschiff „Kanonier“ von Riga->Danzig
1.10.1944 Ankunft von Alex Salm in Stutthof

3.11.1945 aus Stutthof in das Buchenwald-Außenlager Polte Werke (Munitionsfabrik) in Magdeburg,

zusammen mit Heinz Baermann und Hans Leiser aus Köln, Siegfried Joseph, Adolf Lewy aus Herford, Dagobert Menschenfreund aus Recklinghausen, den Brüdern Ernst und Kurt Neuwald aus Gelsenkirchen, 19.11.1945 offizielle Übernahme in die Lagerstärke des KL Buchenwald
Mitte April Befreiung von Magdeburg durch die US-Army in Magdeburg
Mithäftling Kurt Neuwald berichtet:
„Das Kriegsende habe ich folgendermaßen erlebt: Das war auch wieder ein Glücksfall. Ich war in einem Außenlager des KZ-Lagers Buchenwald in Magdeburg und wurde von SS-Leuten bewacht. Wir arbeiteten in einer Munitionsfabrik. Die Amerikaner standen schon jenseits der Elbe, und wir sollten abtransportiert werden. Das wussten wir aber nicht so genau. Als wir nun abmarschieren sollten, gab es plötzlich Bombenalarm. Die Bewachungsmannschaften liefen alle weg, wir liefen auch. Da haben mein Bruder und ich das Glück gehabt, daß wir ein Versteck gefunden haben, in dem wir drei Tage bleiben konnten, bis die Amerikaner uns befreiten. Die anderen, die nicht das Glück gehabt haben, solch ein Versteck zu finden, wurden nach dem Bombenalarm von den Wachmannschaften wieder eingesammelt. Die meisten von ihnen sind auf den Hungermärschen erschossen worden.“
Alex Salm mit anderen Häftlingen durch Volkssturm Wachmannschaften in mehreren Etappen von Magdeburg in östliche Richtung nach Genthin getrieben
In Genthin gaben sich Alex Salm und co. als Letten aus und kamen in ein Lager mit Ausländern,
dort bekamen sie eine „Hundemarke“
und danach wieder zurück in westliche Richtung nach Burg, östlich von Magdeburg.
5. 5 1945 in Hohenseeden von der Roten Armee eingeholt.
6./7. Mai 1945 mit Heinz Baermann und Lutz Pieck nach Ladau
Bis Ende Mai Alex Salm für etwa drei Wochen mit einer kleinen Gruppe befreiter Häftlinge
auf einem Bauernhof in Ladau
Ende Mai 1945 von Bad Belzig, etwa siebzig Kilometer östlich von Magdeburg,
mit einer Gruppe befreiter niederländische Kriegsgefangener über die Elbe in den Westen
Armee eingeholt. Auf einem Bauernhof blieb Alex Salm für etwa drei Wochen mit einer kleinen Gruppe
29.6.1945 Rückkehr nach Wegberg;
Kennenlernen von Margarete Stamsen, eine Katholikin; sie arbeitet in einer Leihibliothek
1946 Heirat mit Margarete Stamsen
1947 Geburt der Tochter Ilse
1949 Geburt von Sohn Kurt
November 1951 Umzug in die Fußbachstraße 19
1952 Tod der Tochter Ilse an Hirnhautentzündung.
Eröffnung eines Schreib- und Spielwarengeschäft mit Leihbücherei in Wegberg, das sie bis 1957 selbst führten und dann verpachteten.
Januar 1959 Umzug nach Odenthal; dazu Alex Salm:
„Ich hatte sie wieder verlassen, weil ich nicht mehr anhören konnte, wie gut alle in schlimmer Zeit zu meinen Eltern und zu meiner Familie waren.“
1964 bis 1987 Versicherungskaufmann für eine Kölner Versicherungsgesellschaft
1972 Rückkehr nach Wegberg, Uevekoven
3.1.1989 Alex Salm dazu in einem Brief an den Bürgermeister Jakobs
„Obwohl die damalige Gemeinde Wegberg 1945 von meiner Rückkehr aus dem KZ als einzigem Wegberger Juden nur statistische und melderechtliche Kenntnis genommenhat, bin ich 1972 noch ein weiteres Mal in meine Heimatstadt zurückgekehrt. … In der Fremde (Berg.Land) bin ich nicht heimisch geworden. … Ich bin Wegberger und liebe meine Heimat- und Vaterstadt wie andere auch.“
Zuletzt in einem Altenheim in Bergheim
Gedenken und Ehrungen
7.4.1996 Pages of Testimony für seine Eltern und drei Geschwister von Alex Salm
Bei Yad Vashem finden sich 7.647 Ergebnisse für Opfer/Individuen eingereicht von Alex Salm
21.9.2004 Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (posthum)
27.1.2023 Verlegung der ersten Stolpersteine in Wegberg, darunter sechs für Alex Salm und seine Familie an der Venloerstraße 6
Quellen
https://www.historischer-verein-wegberg.de/files/08_juedische_familien-1.pdf
Interview mit Alex Salm von Becker-Jákli, Barbara am 19.6.1998 und 25.8.1998; Stadtarchiv Köln
Fotos aus dem Nachlass Alex Salm, Stadtarchiv Wegberg
Baermann, Hans (Köln), Bericht, in: Eugen Kogon, Der SS – Staat, München, 1974, S. 222–227
https://groups.google.com/g/alt.obituaries/c/HkjL_xvevY4?pli=1
https://www.wegberg.de/tourismus-kultur/stolpersteine-in-wegberg/111-alex-salm.pdf?cid=ioy
StadtA Wegberg, Nachlass Alex Salm/11: handschriftlicher Lebenslauf von Alex Salm
19 StadtA Wegberg, Zeitgeschichtliche Sammlung/mündlicher Erinnerungsbericht von Alex Salm am 24.02.1999
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420322_Aachen31.jpg
Bernd Philipsen, Fred Zimmak, Hrsg., Wir sollten leben, Novalis 2020
Dietlind Kautzky, Thomas Käpernick Hrsg., Mein Schicksal ist nur eins von Abertausenden VSA 2020
Wolfgang Scheffler, Diana Schulle, Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten Juden 2011
Christin Sandow (Hrsg.), Käthe Fries, Schießen Sie mich nieder, Lukas Verlag 2017
Gertrude Schneider, Reise in den Tod, Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Laumann-Verlag, 2008
Gertrude Schneider, Exile and Destruction, The Fate of the Austrian Jews 1938-1945; Praeger 1995
Hilde Sherman: Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto, Frankfurt/M.-Berlin-Wien, 1984
Anita Kugler, Scherwitz – Der Jüdische SS-Offizier, 2017