Weinberg Lore

Lore Weinberg

1935; Stadtarchiv Lübbecke

*19.2.1924 in Lübbecke; ✡ 21.2.2011 in Riverdale , New York

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Siegfried Fritz Weinberg*16.1.1898 in Lübbecke; ✡30.8.1924 in Bielefeld

Mutter Meta Weinberg *7.11.1889 in Werther; ✡ 9.2.1943 in Auschwitz

Großeltern Gemeindevorsteher Bendix Moses Weinberg, Therese Windmüller

Stiefvater Paul Schöneberg *15.9.1882 in Brackwede; ✡5.1.1940 in Lübbecke

Cousine Resi Schöneberg *25.6.1931 in Brackwede; ✡1989

Cousin Bodo Salomons *4.2.1927 in Bochum Werne

Geschwister

Beruf promovierte Psychologin, Wissenschaftlerin, Buchautorin

Adressen Lübbecke; Berlin; Kersdorf

Heirat 12.8.1951 in Rom Sucher Szaldajewski *25.3.1926 in Lodz; umbenannt in Shelley; ✡26.10.2009 in Bronx, NY

2. Ehe mit Harold Kaplan

Kinder

Weiterer Lebensweg

30.8.1924 Tod des Vaters in Bielefeld, Motorradunfall Ecke Düppelstraße/Herforder Straße; der Tod wird von der Polizeiverwaltung Bielefeld angezeigt

13.8.1929 Max Weinberg schreibt einen Protestbrief an die örtliche Polizeiverwaltung wegen eines Stürmerplakates an einer Linde vor dem Amtshaus

1930-1934 Besuch der städtischen Volksschule. Die letzten jüdischen Schulkinder in Lübbecke waren Helmut Bloch, Ernst Neustädter und Lore Weinberg.

13.3.1933 zu Chanukka spielt sie in einem Stück des Lehrer Max Lazarus den Juda Makkabi

1934 – Frühjahr 1938 Besuch der städt. Mittelschule in Lübbecke; wird gezwungen abzugehen

Lore Weinberg berichtet in einem Brief

„Ich war die letzte in Lübbecke, die das Zirkular zu den jüdischen Familien brachte. Das Zirkular enthielt das Programm des Festtagsgottesdienstes, das in feinster Sütterlin Handschrift von Lehrer Lazarus geschrieben worden war und in einem Aktendeckel oder einer Kladde steckte. Vor den Feiertagen Pessach, Schawuoth, Sukkoth, Rosh-ha-Shana und Yom Kippur peddelte ich per Rad zu allen Gemeindemitgliedern und zeigte ihnen das Zirkular. Der Gottesdienst fand gewöhnlich um die gleiche Zeit statt, und die Leute wußten im Voraus, was im Zirkular stand. Nichtsdestoweniger studierten sie das einzige Exemplar sehr genau und gaben es mir zurück. Es war Usus, daß die Überbringer des Zirkulars mit Süßigkeiten belohnt wurden. Als noch viele jüdische Kinder in Lübbecke waren, gab es wahrscheinlich eine strenge Reihenfolge, nach welcher die Zirkulanten ausgesucht wurden. In den Mitt- und späten dreißiger Jahren war ich die einzige, und ich bestand darauf, nie irgendetwas als Entgelt zu akzeptieren. Also radelte ich von Hechts zu Rubens, zu Neustädters, Wolffs, Hurwitz, Lazarus, Schöndelns, Rosenbergs, Löwensteins, Blochs, Levys und Steinbergs, manchmal in Begleitung meines Drahthaarterriers Juppi.“

Mai -Dezember 1938 im Landschulheim Herrlingen bei Ulm; dort vermutlich mit der gleichaltrigen Esther Loewy später Bejarano in derselben Klasse; Leiter der Schule von 1933 bis zur Schließung 1939 war Hugo Rosenthal (1887-1990) zusammen mit seiner Frau Judith aus Dortmund

1939 -1941 Besuch der jüdischen Höheren Handelsschule Schule in Berlin;

dort mit anderen zur Untermiete bei Klara Hulisch geb Goldschmidt aus Dortmund

17.5.1939 Lore Weinberg in Berlin Wilmersdorf bei Minderheiten-Volkszählung

Zur Untermiete bei Saul, Grunewald, Kunostraße 60

Mai 1941 Schließung der jüdischen Schule; zur Land und Forstarbeit in das Einsatzlager Kersdorf bei Briesen; dort zusammen mit 70 Zwangsarbeitern, davon 40 Frauen; sie bekommt noch Pakete von Dorothee Harre, der früheren Haushaltshilfe des Lehrers Max Lazarus

5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Um­be­nen­nung der noch bestehenden in „Jü­di­sches Ar­beits­ein­satz­lager“

November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“

23.3.1942 Mutter Meta aus Lübbecke nach Köln, Utrechter Straße 6; Arbeit als Krankenschwester im Israelitischen Asyl, Ottostraße 85

Januar 1943 Mutter Meta bittet Lore nach Köln zu kommen, um sie auf dem Transport zu begleiten, Lore bekommt zwar die Erlaubnis zur Fahrt aus Kersdorf nach Köln; die Gestapo Köln lehnt aber ihre Mitdeportation ab, so dass sie nach Kersdorf zurückkehrt

15.1.1943 Mutter deportiert von Köln nach Berlin

23.1.1943 Mutter Meta von Berlin nach Auschwitz

9.2.1943 Tod der Mutter in Auschwitz

20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“

März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz und ins „Generalgouvernement“ deportiert

10. 4.1943 Aus dem Forsteinsatzlager Kersdorf nach Frankfurt/Oder, ebenfalls aus Kersdorf auf dem Transport Thea Schuster aus Recklinghausen

19.4.1943 auf dem 37. Osttransport als Teil der Fabrikaktion, allein 54 Personen aus Kersdorf, 153 Personen aus dem Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde.

Esther Bejarano erinnert sich:

„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“

Esther berichtet auch, dass viele alte und schwache Menschen die zwei Tage dauernde Tortur in den Güterwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Miriam Edel, Anne Borinski, Hilde Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg, Herbert Growald und noch viele andere. Schimschon und Esther hatten sich getrennt, sie hatte inzwischen ein Auge auf Eli Heymann geworfen, an dessen Seite sie den Transport in die Hölle überstand.

20. 4. 1943 Ankunft in Auschwitz; Notiz im Lagerbuch von Auschwitz:

„Mit einem Transport der RSHA […] sind etwa 1 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41870 bis 42027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen.
Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“

Ihr wird die Häftlingsnummer 42014 auf den linken Unterarm tätowiert.

Lore Weinberg kommt mit 68 Jüdinnen in das Kommando Politische Abteilung/Standesamt im Stabsgebäude der SS, Kommandantur in Auschwitz I; davon überlebten 53; 19 von ihnen und vier polnische Häftlinge haben Lore Shelley einen Bericht geschrieben, die sie in ihrem Buch 1992 publiziert hat.

Sie arbeitet zunächst in der „Totenabteilung“

Lore Shelley berichtet über ihre Aufgaben:

„Führen der Kartei und Personaldossiers aller Häftlinge, Briefverkehr mit den verschiedenen für die Häftlingsverschickung nach Auschwitz verantwortlichen Gestapo- und Kripostellen, Empfang von Häftlingstransporten, Aufrechterhaltung der Lagersicherheit, Bekämpfung jeglicher Widerstandsbewegung unter den Gefangenen, Verhör von Häftlingen, Führen des Zivilregisters und Verwaltung der Krematorien“

Sie teilt den Schlafraum mit etwa 300 weiblichen Häftlingen im Dienst der SS.

1944 Wechsel nach Auschwitz-Birkenau, Unterkunft in Abschnitt B Ib

13.8.1944 Alliierter Bombenangriff, Lore Weinberg am Knie verletzt, ein weibl. Häftling getötet

15.1.1945 die Häftlinge in Auschwitz hören den russischen Kanonendonner 30 km aus dem Osten

18.1.1945 Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; ca 60 000 Häftlinge;

18.1.1945 Beginn des Todesmarsches mit 400 Frauen von Auschwitz- Birkenau nach Loslau

Todesmarsch der Frauen nach Loslau, Zeichnung von Ella Liebermann

Auschwitz-Überlebende berichten von der Brutalität der SS-Leute während des Todesmarsches:

Zofia Posmysz:

„Der letzte Tag in Auschwitz war der 18. Januar. Nach drei Tagen und drei Nächten zu Fuß wurden wir in offenen Güterwagen nach Ravensbrück gebracht.“

Asher Aud:

„Wenn wir sind gegangen Totenmarsch, da sind keine Menschen gegangen, da sind nur Skelette gegangen.“

Sigmund Kalinski:

„Wer nicht konnte oder wer zur Seite war, wurde erschossen, bei ungefähr 15 bis 20 Grad minus in unseren Kleidern.“

Isidor Philipp berichtet:

„Wer sich hinlegte, wurde von den SS-Männern, die auf Motorrädern fuhren, erschossen.“

19. – 23.1.1945 Ankunft in den Eisenbahnknotenpunkten Gleiwitz und Loslau. Von Gleiwitz oder Loslau in Güterwaggons zu westlich gelegen Konzentrationslager wie Buchenwald, Ravensbrück

Isidor Philipp berichtet:

„Von dort begann dann – in offenen Kohlewaggons und bei 15 Grad unter Null – die Fahrt durch Polen, Tschechoslowakei und Österreich zurück nach Deutschland.“

21./22.1. 1945 Ankunft in Loslau

22.1.-27.1.1945 Miriam mit Anni auf Transport in offenen Kohlewaggons über KL Groß-Rosen und KL Sachsenhausen (jeweils wegen Überfüllung abgewiesen) bis ins KL Ravensbrück; dort zunächst ins „Jugendlager“,

Nach Schätzungen starben bei diesen Räumungstransporten von Auschwitz insgesamt zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge.

März/ April 1945 bei Auflösung des „Jugendlagers“ für wenige Tage ins „Frauenlager“

Anfang April 1945 mit einem Personenzug ins Lager Malchow, Außenlager des KL Ravensbrück

April 1945 Erneute Todesmärsche“ mit jeweils 2000 bis 3000 Frauen in zahlreichen Kolonnen aus dem bereits überfüllten KL Ravensbrück in mehrere Richtungen. Geschwächte und kranke Häftlinge, die dem Marsch nicht mehr folgen konnten, wurden erschossen. Die etwa 1500 Überlebenden des ca. 60 km langen Fußmarsches, die im April 1945 im Außenlager Malchow ankamen, sollten hier nur wenige Tage bleiben.

April 1945 Ankunft im Außenlager Malchow.

April 1945 mit hochfieberhafter Lungenentzündung in den Häftlingskrankanbau des KL Malchow

1.5. 1945 Befehl der SS, das Lager Malchow zu räumen, Todesmarsch über Plau Richtung Neustadt.

1.5.1945 werden sie erneut auf dem Marsch getrieben. In der Umgebung der Stadt Crivitz traf der größere Teil der Sachsenhausener Häftlinge aus dem Waldlager Below auf die Frauen aus dem KL Ravensbrück, deren Todesmarsch sie über das Außenlager Malchow, nicht weit von Below entfernt, geführt hatte.

Der Zug mischt sich mit großen Flüchtlingsströmen. Die Wachmannschaften werden von Tag zu Tag weniger, bis sie ganz verschwunden sind. Lore kollabiert in einer Scheune und wird in der folgenden Nacht von der „Roten Armee“ befreit

4.5.1945 mit den sich zurückziehenden US-Truppen nach Schwerin

Ab Sommer 1945 -1946 in DP-Hospitälern der englischen Zone

9.10.1946 zur Kur in ein Sanatorien in Zürich, um eine im KL zugezogene Lungentuberkulose auszuheilen.

5.1.1947 zur Kur im Sanatorium Etania in Davos

27.10.1947 in Lübbecke, Langstraße gemeldet

18.8.1949 in der Klinik Quisana in Leysin-Village in Kanton Waadt stellt sie einen IRO Antrag auf Unterstützung

12.8.1951 Heirat in Rom, Lazio mit Sucher Szaldajewski

1955 Psychologiestudium in Genf unter Piaget

6.11.1955 auch 2.1.1956 in Grotto Ferrata bei Rom

1956 mit Sucher Szaldajewski Auswanderung in die USA; Fortsetzung des Studiums in New York und Kalifornien. Promotion in St. Barbara. Lebt in den USA.

21.2.2011 Tod in Riverdale , New York

Gedenken

3.11.1955 Page of Testimony für ihre Mutter von Lore Szaldajewski in Grotto ferrat

Gedenkstein für Meta Weinberg auf dem Gelände des neuen Friedhofs

Quellen

Lore Shelley, Schreiberinnen des Todes, Lebenserinnerungen internierter jüdischer Frauen; AJZ Verlag 1992

Lore Shelley, Auschwitz The Nazi Civilisation; University Press of America, 1986

Volker Beckmann, Die jüdische Bevölkerung der Landkreise Lübbecke und Halle i.W.; Dissertation, 2015

Werner Renz, Buchbesprechung in der TAZ vom 4.8.1992

https://www.statistik-des-holocaust.de/OT27-16.jpg

Video-Interview mit Issy Philipp 1994

Esther Bejarano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989

Esther Bejarano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013

Anneliese Ora Borinski, Erinnerungen

Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386

Naftali-Rosenthal-Ron, Aufblitzende Erinnerungen, Autobiografie; deutsche Übersetzung von Alice Meroz, Berlin 2015

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/81232226

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883

https://www.ortschroniken-mv.de/images/d/d9/MAL_KZ_Aussenlager.pdf

https://www.ernster.com/annot/564C42696D677C7C393738333839313434333533387C7C504446.pdf?sq=2

https://www.spiegel.de/geschichte/esther-bejarano-ist-tot-erinnungen-an-den-sommer-1945-a-06923ddf-6dc0-4c75-8136-011be044df7a

https://www.topfundsoehne.de/ts/de/service/mediathek/videos/2020/139178.html

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883

Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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1 Kommentar

  1. Sehr geehrter Herr Wittstamm,
    ich bin soeben auf Ihre Recherchen zu Lore Shelley, geb. Weinberg, gestoßen und habe sie mit großem Interesse gelesen. Ganz besonders interessant ist für mich, dass sie zusammen mit Esther Loewy, später Bejarano, das jüdische Landschulheim in Herrlingen besucht hat, eine Schule, die 1926 von Anna Essinger begründet wurde und nach deren Flucht bis 1939 von Hugo Rosenthal weitergeführt wurde. Als Lehrer des Ulmer Anna-Essinger-Gymnasiums betreue ich seit über zwei Jahren die Anna-Essinger-AG, in der wir zurzeit u.a. eine kleine Vitrinenaustellung zu ehemaligen Schülerinnen und Schülern von Anna Essingers Schule vorbereiten (vgl. http://www.anna-essinger-gymnasium.de > Angebote > Anna-Essinger-AG).
    Aus Ulm grüßt Sie
    Michael Koch

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