Ludwig Eliezer Kempe
*22.12.1922 in Ladenburg, Mannheim; ✡ ?
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Erich Isaak Kempe *9.10.1896 in Berlin; ✡ 13.8.1942 in Auschwitz
Mutter Betty Plaut *19.11.1894 in Ottrau, Ziegenhain ; ✡ 13.8.1942 in Auschwitz
Geschwister keine
Beruf landwirtschaftlicher Praktikant
Adressen Ladenburg; Steckelsdorf bei Rathenow im Landkreis Jerichow;
Heirat Zipora Goldschmied aus Würzburg
Kinder acht Kinder, 71 Enkel und 60 Urenkel (Stand 2007)
Weiterer Lebensweg
30.1.1933 Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler Ludwig Kempe erinnert sich:
„Ich war zwar 10 Jahre alt damals, zu diesem Regime sind wir gewachsen. Das Leben wurde nach und nach schwerer,“… „auch in der Notzeit lebte man weiter, wenn man ein Optimist ist, und das waren wir, hofften immer, es wird schon mal besser werden. Wir feierten unsere Feste so gut wir konnten, sogar auch nach dem 9.November 1938.“
Über Hitler wurden auch Witze gerissen:
“Man redete über diesen Bösewicht, wie er eben war. Man hat sogar Witze über ihn gemacht. Es war ja nicht der erste, welcher das jüdische Volk vernichten wollte, das lernten wir aus der jüdischen Geschichte.“
9./10.11.1938 „ Reichskristallnacht“ in Ladenburg; Vater und Onkel werden verhaftet, die Nationalsozialisten sammelten am späteren Abend alle männlichen jüdischen Ladenburger im Rathaus, sortierten die Alten und Jungen aus, und brachten die restlichen Männer mit einem Lastauto ins KZ Dachau.
Ludwig Kempe: „Diesen Tag in allen Einzelheiten, werde ich nie vergessen.“
11.11.-5.12.1938 Vater als Aktionsjude im KL Dachau
17.5.1939 Ludwig Kempe in Hamburg Harvestehude bei Minderheiten-Volkszählung, vermutlich in einem Hachschara-Zentrum
17.5.1939 Die Eltern Kempe in Ladenburg bei Minderheiten-Volkszählung
Das jüdische Umschulungslager Steckelsdorf-Ausbau
Ludwig Kempe zur Hachschara in das jüdische Umschulungslager Landwerk Steckelsdorf-Ausbau bei Rathenow im Landkreis Jerichow II; Träger ist der Bachad, 1928 gegründete Jugendorganisation des orthodox-jüdischen Misrachi; das hebräische Akronym בָּחָ״ד BaChaD steht für Brit Chaluzim Datiim, deutsch ‚Bund religiöser Pioniere‘; Träger war zuletzt die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland RVJD. Das Anwesen gehörte als Jagdvilla einem Berliner Industriellen, der es einschließlich der dazugehörigen Gärtnerei 1936/37 seiner Jüdischen Gemeinde zur Einrichtung eines Erholungsheims schenkte.
Lagerleiter/Madrichim waren Sigmar Bromberger, Manfred und Schoschana Litten, Dr. Benjamin Abrahamson, Herbert Schönewald, Werner Hoffbauer, Friedrich Löwenthal, ab 1941 Kurt Silberpfennig
Madrichim 1939/40 Chaim Grosz, Joachim Lippmann und Richard Heymann
10.11.1938 Novemberpogrom in Steckelsdorf, am Abend wurde das Landwerk gestürmt und verwüstet. Alle männlichen Funktionsträger wie Betriebsleiter Werner Hoffbauer, Simon Berlinger, Adolf Frohmann, Friedrich Löwenthal und Herbert Schönewald verhaftet ins Polizeigefängnis Magdeburg und später als „Schutzhäftlinge“ nach Buchenwald gebracht.
21.11.1938 Entlassung der Steckelsdorf Madrichim Simon Berlinger, Adolf Frohmann, Friedrich Löwenthal und Herbert Schönewald aus dem KL Buchenwald
1939 Instandsetzung und Übernahme von Steckelsdorf durch die RVJD
1.9.1939 Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen
Wagner-Bürckel-Aktion
22.10.1940 die Eltern mit 116 Juden aus Mannheim, insgesamt 5600 Juden aus Baden, sowie 900 Juden aus der Pfalz und dem Saarland nach Gurs deportiert
10.8.1942 Deportation der Eltern aus dem Sammellager Drancy nach Auschwitz
Alija Beth – Sonderhachschara VII – der Paraguay-Transport
März 1940 die führenden jüdischen Funktionäre aus Berlin, Prag und Wien werden von SS-Sturmbannführer Adolf Eichmann ins Reichssicherheitshauptamt nach Berlin vorgeladen, um die illegalen „Sondertransporte“ nach Palästina zu forcieren; Ephraim Frank als Vertreter des erkrankten Lyon vom Palästinaamt und als designierter Transportführer dabei.
16.8.1940 mit dem Zug aus Berlin, Bahnhof Friedrichstraße fahren 350 Jugendliche und 150 Eltern, deren Kinder bereits Palästina-Pioniere in Palästina waren, nach Wien mit dem Ziel über die Schwarzmeerroute nach Haifa zu kommen; Transportführer war Ephraim Frank
Zwei bis drei Wochen in Wien, in einer jüdischen Schule oder Lehrlingsheim
3. 9.1940 mit dem Zug von Wien nach Pressburg/ Bratislava an die Donau;
10.9.1940 zum Donauhafen von Bratislava; dort Verteilung der Chalutzim auf die drei Ausflugsdampfer URANUS, MELK und SCHÖNBRUNN
10.-20.9.1940 von Bratislava nach Tulcea am Schwarzen Meer;
Anfang Oktober 1940 werden 1000 Flüchtlinge auf die drei Schiffe SS PACIFIC, SS MILOS und SS ATLANTIC verteilt, Deutsche auf die PACIFIC, Tschechen auf die MILOS.
Zwischenstopp im Hafen Agios Nikolaos, Kreta, um Kohle aufzunehmen
31.10.1940 von britischer Marine aufgebracht und in den Hafen von Haifa geleitet
1.11.1940 Ankunft der SS PACIFIC in Haifa.
3.11.1940 Ankunft der tschechischen Emigranten auf der SS MILOS, die ebenfalls auf die PATRIA verbracht werden
4.11.1940 Alle Passagiere der SS PACIFIC werden auf die SS PATRIA umgeschifft, dem von den Briten beschlagnahmten, als Truppentransporter umgebauten, großen französischen Frachtschiff (18 000 t)

8.11.1940 Registrierung im Camp Atlith; zunächst auch zur Deportation nach Mauritius vorgesehen
23. oder 24.11.1940 Ankunft der SS ATLANTIC in Haifa
25.11.1940 Sprengstoff-Anschlag der Haganah im Maschinenraum der SS PATRIA, zu diesem Zeitpunkt waren bereits 1771 Ma’apilim (illegale Immigranten) auf das Schiff gebracht.
Walter Steinitz, ebenfalls aus dem Umschulungslager Paderborn kommend, berichtet:
“ Am 25.November morgens um neun Uhr mussten alle auf die Reling, denn der Colonel hatte die Instruktion gegeben, aber um 9.12 Uhr hatte ein Kommando von 60-80 jungen Leuten ins Wasser zu springen, um die Engländer abzulenken, die mit kleinen Booten die Menschen auffischten. Zeitentsprechend zündete einer von uns eine Bombe, keine Zeitbombe, und ist mitgetötet worden. Es war der zweite Transportleiter – Hans Wendel. Niemand hatte von dieser Aktion gewußt – außer acht Leuten. Innerhalb von ein paar Minuten neigte sich das Schiff zur Seite. … Von den 4000 auf der SS PATRIA zusammengedrängten Menschen verloren etwa 260 ihr Leben.“ (ca 200 von 1771)
25.11.1940 Internierung in einer Lagerhalle im Hafen von Haifa; die von Bord gesprungenen werden in die Arrestzellen der Polizeiwache von Haifa; Serie von Verhören, insbesondere wenn sie von den Briten der Zugehörigkeit zur Haganah verdächtigt wurden.
26.11. und 8.12.1940 die Überlebenden der SS PATRIA werden mit Bussen in das Internierungscamp Atlith verbracht;
Dezember 1940 noch auf die Umladung wartenden 1581 Emigranten auf der MILOS und ATLANTIC werden als „Detainees“ mit holländischen Frachtschiffen nach Mauritius deportiert. Dort trafen sie am 26.12.1940 ein und wurden in das Zentralgefängnis von Mauritius nahe Beau Bassin verbracht.
1940 zunächst nur Freilassung kleiner Gruppen aus dem Camp Atlith, die eine Aufnahmeadresse in Palästina vorweisen können
September -Dezember 1941 Entlassung der meisten Internierten aus dem Camp Atlith
12.8.1945 Es sollte noch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dauern, bevor die 1.310 überlebenden Flüchtlinge aus Mauritius auf der SS FRANCONIA in das ersehnte Eretz Israel gebracht werden konnten.
Ludwig Kempe geht in den Kibbuz „Beersth-Ischak“
Gedenken
1990 Ludwig Kempe besucht auf Einladung der Stadt seine Heimat:
“Meinen Heimatort liebte ich sehr mit all seinen Gassen und Feldwegen, wo ich schöne und unbesorgte Kinderjahre verbrachte, hatte immer ein kleines Heimweh im Herzen und plötzlich, im 1990, bekamen wir die Einladung der Stadt. War damals sehr gerührt und die Tage waren ein großes Lebensereignis für mich. Damit ist das Heimweh erloschen. Kenne ja keinen mehr von dort und auch Ladenburg hat sein Gesicht verändert. Kein Pferd oder keine Kuh ist dort noch zu sehen. Bin auch keine 18 Jahre mehr oder 38. In Gedanken bin ich noch oft dort.“
Quellen
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
https://www.mappingthelives.org
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de897453
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de897472
Staatsarchiv Israel, Einwanderungslisten
Mandat zur Einbürgerung in Palästina, 1937-1947
https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/projekte/schueler-machen-mut/juden-ladenburg
https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/13.pdf
Bettina L. Götze, Landwerk Steckelsdorf-Ausbau, in: Hachschara als Erinnerungsort.
https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/13> [24.03.2024]
Ezra Ben Gershôm David. Aufzeichnungen eines Überlebenden, Evangelische Verlagsanstalt 1989
Joel König (Ezra Ben Gershom), Den Netzen entronnen, Vandenhoeck u. Ruprecht 1967
Bettina Götze, Rathenow, in: Irene Annemarie Diekmann (Hrsg.), Jüdisches Brandenburg. Verlag für Berlin-Brandenburg 2008. S. 304–328
Jizchak Schwersenz: Die versteckte Gruppe. Ein jüdischer Lehrer erinnert sich an Deutschland. Berlin: Wichern Verlag 1988
Michael Wermke: Ein letztes Treffen im August 1941. Kurt Silberpfennig und die Praxis religiös-zionistischer Pädagogik, Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland. Münster: Waxmann 2020