Grunow Charlotte

*21.1.1909 in Berlin; Auschwitz-Überlebende; ✡ 16.11.1966 in Helsingborg

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Josef Schenk *2.1.1876 in Budapest, Ungarn; ✡12.11.1915

Heirat der Eltern 28.3.1908 in Berlin

Mutter Emilie Willdorf *28.7.1878 in Berlin; ✡?

Großeltern

Armin Schenk und Regina Sommer

Louis Willdorf und and Agathe Augusta Reimann

Geschwister

Heinz Kurt Schenk *15.10.1910 in Berlin; Pianobauer; ✡1.6.1971; oo 16.1.1936 Martha Weiss (*1.12.1912); Sohn Arnim Schenk *30.7.1937 in Berlin

Margarete Margit Schenk *8.8.1912 in Berlin; ✡23.3.1992; oo Ake Teovald Vinslöv *21.6.1902

Beruf Hauswirtschafterin, Kinderpflegerin

Adressen Berlin – Charlottenburg, Grolmanstraße 62 und 15, zuletzt Gervinusstraße 20 bei Rothholz

Heirat 13.10.1936 Standesamt Berlin-Charlottenburg Harry Hermann Grunow *8.3.1910 in Berlin;

Kinder

Weiterer Lebensweg

12.11.1915 Tod des Vaters Josef Schenk in Berlin

1916-1928 Bruder Heinz nach dem Tode des Vaters im jüdischen Waisenhaus

13.10.1936 Heirat auf dem Standesamt Berlin-Charlottenburg mit Ingenieur Harry Grunow; Trauzeuge ist Bruder Heinz Schenk

Wohnadresse Anfang der 1930er in Berlin Grolmanstraße 15; in der Nähe liegt das jüdische Waisenheim der Nanny-Julius und Roslie-Böhm-Stiftung, Knesebeckstraße, wo sie als Hauswirtschafterin beschäftigt gewesen sein könnte; aus dieser Zeit kennt sie vielleicht auch Ingeborg Petzal.

17.5.1939 mit Ehemann Harry in Berlin Charlottenburg, Grolmanstr. 15 bei Minderheiten-Volkszählung

1939 Charlotte wurde Hauswirtschaftsleiterin in Hamburg/Altona/Rissen im Hachschara-Heim ʿEjn Chajim („Quell des Lebens“) im Tinsdaler Kirchenweg 245, eine Wohneinrichtung des Hechaluz der „Älteren Hachschara“ für über 18-Jährige; Ehemann Harry war dort Hausmeister. Die Jugendlichen arbeiteten in jüdischen Ausbildungsstätten der Umgegend.

21.6.1941 reichsweite Mitteilung, dass die Hachscharalager im Sommer 1941 aufgelöst werden müssen; Umstrukturierung der großen Lager wie Neuendorf, Bielefeld, Paderborn in Arbeitseinsatzlager unter Kontrolle der örtlichen Behörden

September 1941 Schließung des Ejn Chajim-Heimes in HH-Rissen

Ehepaar Grunow wechselt in das Arbeitseinsatzlager zuvor Hachscharalager Eichow-Post Krieschow bei Cottbus. Zwangsarbeit auf dem Rittergut Eichow gesteuert durch das Arbeitsamt Cottbus

Die vollständige Auflösung soll schon im Dezember 1941 erfolgt sein.

Rückkehr des Ehepaars Grunow nach Berlin; Zwangsarbeit in kriegswichtigen Betrieben; für kurze Zeit als Untermieter bei Familie Rothholz in der Gervinusstraße 20

November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“

20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“

März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz und ins „Generalgouvernement“ deportiert

27.2.1943 Verhaftung der noch in kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“, z.T. direkt am Zwangsarbeitsplatz verhaftet und in das Sammellager ehemaliges jüdisches Altenheim Große Hamburger Straße 26 verbracht

1.3.1943 Ehemann Harry Grunow auf dem 31. Osttransport von Berlin nach Auschwitz; von den deportierten 1736 Juden werden nur 677 jüdische Häftlinge als arbeitsfähig in die „Lagerstärke“ genommen, davon 292 Männer und 385 Frauen 1059 Männer, Frauen und Kinder werden in die Gaskammer geführt.

Harry Grunow wird für die Zwangsarbeit selektiert und bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 104766 in den linken Unterarm tätowiert

Der 37. Osttransport nach Auschwitz

19.4.1943 Charlotte Grunow auf dem 37. Osttransport als Teil der Fabrikaktion, allein 153 Personen aus dem Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde.

Esther Bejarano erinnert sich:

„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“

Esther berichtet auch, dass viele alte und schwache Menschen diese mehrere Tage dauernde Fahrt in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Miriam Edel, Anne Borinski, Hilde Grynbaum, Karla und Sylvia Wagenberg, Herbert Growald und noch viele andere.

20. 4. 1943 Ankunft in Auschwitz; Notiz im Lagerbuch von Auschwitz:

„Mit einem Transport der RSHA […] sind etwa 1 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41870 bis 42027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen.
Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“

Charlotte Grunows Bericht für den Deutschen Dienst der BBC, April 1945, Interview von Patrick Gordon Walker:

Sie wird zur Zwangsarbeit in Auschwitz-Birkenau eingewiesen; sie bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 41913 in den linken Unterarm tätowiert.

Ein Brief aus Hamburg

10.8.1943 Max Plaut, Leiter der „Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ schreibt einen maschinenschriftlichen Brief an Charlotte Grunow mit der SS-Adresse „Lager Birkenau b Neu Berun O/S“
( der Durchschlag des Briefes ohne Unterschrift ist erhalten)

Hamburg, den 10.8.1943
Liebe Frau Grunow!
Ich freue mich, aus Ihrer Karte zu ersehen, daß Sie wohlauf sind; hoffentlich geht es Ihnen weiter gut. Fanny ist mit ihrer Familie abgewandert – von Berthold hatte ich gestern eine Karte, Es geht ihm und seiner Familie gut. Sobald ich ihm schreibe, werde ich ihm Ihre Grüße bestellen. Mit herzlichen Grüßen bin ich Ihr

Die erwähnten Personen sind Jurist Berthold Simonsohn (1912-1978) und die Fürsorgerin Fanny David, beide aktiv in der jüdischen Wohlfahrt in Hamburg in den Bereichen Kindertransport und Hachschara

Das Mädchenorchester von Auschwitz

Auf Betreiben der SS-Oberaufseherin des Frauenlagers Maria Mandl, bekommt Zofia Czajkowska den Auftrag, ein Frauenorchester als Pendant zu dem bereits bestehenden Männerorchester in Auschwitz Birkenau zu gründen.

Esther Loewy/Bejarano berichtet über die Aufstellung des Mädchenorchester von Auschwitz im April 1943

„Als dann die Dirigentin, Zofia Czajkowska eines Tages bei den Blockältesten nach Musikerinnen suchte, wurden meine Freundinnen Hilde Grynbaum, Sylvia Wagenberg und ich vorgeschlagen… Auch meine Freundinnen wurden akzeptiert, Hilde als Geigerin, Sylvia als Flötistin, und so zogen wir drei in die Baracke, in der die Musiker schliefen, die sogenannte Funktionsbaracke.“

August 1943 Alma Rose übernimmt die Leitung des Mädchenorchesters.

4. 4.1944 Tod von Alma Rose (*3.11.1906 in Wien, 4.4.1944 in Auschwitz)

April 1944 Sonia Winogradowa wird neue Leiterin und verlangt den Ausschluss der jüdischen Musikerinnen

August 1944 sie steht auf einer Kranken-Revier-Liste „Laboruntersuchungen des SS-Hygiene-Instituts Auschwitz, betreffend Urin-, Blut-, Stuhl- und Sputumproben sowie Rachenabstriche von Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz“ zusammen mit den Musikerinnen: Helene Dunicz, Jadwiga Tatorska, Fanny Kornblum, Maria Mosa, Regina Kuperberg, Charlotte Grunow, Lola Croner, Sonia Winogradowa

30.10.-1.11.1944 Verlegung von etwa 30 Mitgliedern des Mädchenorchester aus dem KL Auschwitz nach Bergen-Belsen

15.4.1945 Befreiung durch die Royal Army in Bergen Belsen

20.4.1945 ein Bericht von Charlotte Grunow wird über den Deutschen Dienst der BBC ausgestrahlt.

14.6.1945 Liste deutscher Jüdinnen in Bergen Belsen mit Mitgliedern des Mädchenorchesters: Ruth Basinski,  Hilde Grynbaum, Charlotte Grunow, Elga Schiessel; Renate und Anita Lasker, Sylvia Wagenberg, Carla Wagenberg;

ebenfalls in Bergen Belsen Regina Kuperberg, Helen Dunicz, Elsa Miller, Flora Jacobs, Rachela Selmanowitz

30.6.1945 Unterbrinung in Block M.B. 19, Zimmer 18

November 1945 zusammen mit Jutta Pelz,  Lucie Kaufmann auf der Liste weiblicher DP-Patienten der Kieferklinik in Hamburg Blankenese

9.11.1945 Notiz im „AUFBAU“ „Das erste Lebenszeichen“ S. 31

14.1.1946 nach Helsingborg zu Cousin Dr. Paul Kallos, Schweden ausgewandert, wo sie sich mit Schwester Margit trifft

1953-1971 Bruder Heinz Schenk langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Berlin (Ost); seit 1960 als KP (Kontaktperson) bzw. IM »Heinz« (inoffizieller Mitarbeiter) beim MfS „Stasi“ erfasst.

16.11.1966 Tod von Lotte Grunow in Helsinborg

Gedenken –

Quellen

https://www.mappingthelives.org/bio/00e19bb0-9014-4781-81e1-81c858f69dcb

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1063495

https://thegirlsintheauschwitz.band

Staatsarchiv Hamburg, Briefe von Max Plaut an Charlotte Grunow und Inge Petzal

http://files.genealogy.net/verlustlisten/oesterreich/300/VL_19151025_300_037.jpg

https://archive.org/details/aufbau111945germ/page/n851/mode/1up?view=theater

https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/heinz-schenk

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/11233813

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/67267912

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/70646143

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212454

https://die-quellen-sprechen.de/11-220.html

https://www.wikidata.de-de.nina.az/Hachscharah.html

https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_ot31.html

Fischer, Hubertus (2018a): „Umschulungslager“ Eichow. Jüdische Jugend zwischen Auswanderungsvorbereitung und Deportation. Mit einem lokalgeschichtlichen Rückblick. In: Peter Bahl/Clemens Bergstedt/Felix Escher/Ines Garlisch/ Frank Göse (Hg.) (2018): Sonderdruck aus Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte. Berlin, S. 165-194.

https://yvng.yadvashem.org/ad

Lore Shelley (Editor), The Union Kommando in Auschwitz, Lanham, New York, London, 1996

Judith Caro, excerpted from Inge Franken. Gegen Das Vergessen: Erinnerungen an
Das Jüdische Kinderheim Fehrbelliner Straße 92 Berlin-Prenzlauer Berg, 2010
Felstein, Jean-Jacques, Dans L’orchestre D’Auschwitz: Le Secret De Ma Mère . Paris:
Imago, 2010
Hauff, Lisa, ed. Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren April 1943 –
1945 (577-579), 2020
Lasker-Wallfisch, Anita. Inherit the Truth 1939-1945: The Documented Experiences of a Survivor of Auschwitz and Belsen, London: Giles de la Mare, 2013
Newman, Richard, and Karen Kirtley, Alma Rosé: Vienna to Auschwitz , 2005

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=FL4311316

Staatsarchiv Israel, Einwanderungslisten

Harald Lordick, Landwerk Neuendorf in Brandenburg, in: Kalonymos, 2017, Heft 2

Esther Bejarano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989

Esther Bejarano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013

Anneliese Ora-Borinski, Erinnerungen 1940 – 1943, Kwuzat Maayan-Zwi, Israel 1970

Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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