Sylvia Wagenberg später Shulamit Kalif
*11.6.1928 in Dessau; ✡ 15.8.2003
Staatsangehörigkeit deutsch
Religion jüdisch
Vater Max Wagenberg *26.12.1893 in Kolomya, Galizien ✡Israel
Mutter Lea Nadelreich Lia Nadelbaum *26.2.1898 in Frankfurt ✡ 18.2.1980 London
Großeltern Schaja Nadelreich und Hella Lederberg
Schwester, aus erster Ehe des Vaters mit Malcia Framer (*29.3.1889; Tod in Minsk nach 1942)
Carla Wagenberg *1.12.1923 in Krasnik
Beruf –
Adressen Dessau; Berlin Wilmersdorf, Berliner Straße 159; Jüdisches Kinderheim Fehrbelliner Straße 92, Droysenstraße 4 bei Feiertag; Ahrensdorf, Neuendorf;
Heirat
- Ehe 1946 Jechiel Beeri;
- Ehe Shalom Kalif
Kinder
drei Söhne: zwei aus erster, einen aus zweiter Ehe
Weiterer Lebensweg
1.4.1935 Einschulung in Dessau
1938 Wechsel in das reformpädagogische Landschulheim Caputh bei Berlin
10.11.1938 Verwüstung des Landschulheim Caputh durch HJ- und SA-Horden
Jan. 1939 Wechsel mit der Schwester in das Jüdische Kinderheim (1910-1942) Fehrbelliner Straße 92, Prenzlauer Berg; hier freundet sie sich mit Regina Anders an
Purim im Kinderheim; Foto Abraham Pisarek, Theaterfotograph
9.1.1939 wieder in der jüdische Schule in Berlin gemeldet
26.2.1939 Vater Max Ankunft auf der SS GALILEA in Haifa
Sylvia Wagenberg Mitte, evtl mit Schwester Carla
17.5.1939 mit der Schwester Carla in Berlin, Prenzlauer Berg, bei Minderheiten-Volkszählung
17.5.1939 Mutter in Berlin Mitte bei Minderheiten-Volkszählung
Mutter Lia emigriert nach England
1939 Schwester Carla ins Hachscharalager Ahrensdorf
5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Umbenennung der noch bestehenden in „Jüdisches Arbeitseinsatzlager“
Juli -September 1941 Auflösung des Hachscharalagers Ahrensdorf; Verlegung in das Lehrgut Neuendorf im Sande;
Sylvia trägt in Berlin Deportationsankündigungsbriefe aus; Regina Steinitz:
„Sie hatte eine Erlaubnis, mit dem Bus zu fahren, obwohl sie einen Judenstern trug und Juden Busfahren verboten war. Sie musste für die Nazis diese Briefe austeilen, wo drin stand, die Leute sollen sich bereithalten, man kommt sie am Sonntag oder Montag abholen. Sie wusste natürlich nicht, wohin sie gebracht werden sollten.“
5.10.1942 Malcia Wagenberg, Mutter der Schwester auf Transport 44 von Wien nach Minsk
November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“
20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“
März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz und ins „Generalgouvernement“ deportiert
10. 4.1943 Schwester Carla aus Neuendorf mit LKW nach Fürstenwalde, von dort mit der Bahn nach Berlin; zu Fuß ins Sammellager Große Hamburger Straße
Regina Steinitz berichtet:
„In der Gruppe aus Neuendorf war auch Carla Wagenberg, Sylvias ältere Schwester. Als Frau Feiertag erfuhr, dass die jungen Leute aus Neuendorf zum Transport geholt worden waren, schlug sie Sylvia vor, freiwillig mit ihnen zu gehen. Es sei doch besser für sie, mit den jungen Menschen zusammen zu sein, als auf den eigenen Transport zusammen mit den älteren Gemeindeangestellten zu warten. Und Sylvia hing sehr an ihrer Schwester. So ging Sylvia auch in die Große Hamburger Straße, in ihr ehemaliges Schulhaus und von dort mit den anderen auf den 37. ›Osttransport‹ vom 19. April 1943. Mit Güterwagen wurden sie nach Auschwitz gebracht, dort aber wurde die Neuendorfer Gruppe auseinander gerissen.“
19.4.1943 auf dem 37. Osttransport als Teil der Fabrikaktion, allein 153 Personen aus dem Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde.
Esther Bejarano erinnert sich:
„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“
Esther berichtet auch, dass viele alte und schwache Menschen diesen mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Miriam Edel, Anne Borinski, Hilde Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg, Herbert Growald und noch viele andere. Schimschon und Esther hatten sich getrennt, sie hatte inzwischen ein Auge auf Eli Heymann geworfen, an dessen Seite sie den Transport nach Auschwitz überstand.
20. 4. 1943 Ankunft in Auschwitz; Notiz im Lagerbuch von Auschwitz:
„Mit einem Transport der RSHA […] sind etwa 1 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41870 bis 42027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen.
Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“
Auschwitz- Häftlingsnummer ? unsicher
Schwester Karla hat die Auschwitz- Häftlingsnummer 42020
Esther Bejarano (Auschwitz-Nr. 41948) erinnert sich:
„Als dann die Dirigentin, Sofia Tschaikowska eines Tages bei den Blockältesten nach Musikerinnen suchte, wurden meine Freundinnen Hilde Grünbaum, Sylvia Wagenberg und ich vorgeschlagen… Auch meine Freundinnen wurden akzeptiert, Hilde als Geigerin, Sylvia als Flötistin, und so zogen wir drei in die Baracke, in der die Musiker schliefen, die sogenannte Funktionsbaracke.“
Dort schlafen 300 Schreiberinnen und andere Funktionshäftlinge in richtigen Betten.
15.1.1945 die Häftlinge in Auschwitz hören den russischen Kanonendonner 30 km aus dem Osten
18.1.1945 Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; 56000 Häftlinge;
18.1.1945 Beginn des Todesmarsches mit 400 Frauen von Auschwitz- Birkenau nach Loslau
Auschwitz-Überlebende berichten von der Brutalität der SS-Leute während des Todesmarsches:
Zofia Posmysz:
„Der letzte Tag in Auschwitz war der 18. Januar. Nach drei Tagen und drei Nächten zu Fuß wurden wir in offenen Güterwagen nach Ravensbrück gebracht.“
Asher Aud:
„Wenn wir sind gegangen Totenmarsch, da sind keine Menschen gegangen, da sind nur Skelette gegangen.“
Sigmund Kalinski:
„Wer nicht konnte oder wer zur Seite war, wurde erschossen, bei ungefähr 15 bis 20 Grad minus in unseren Kleidern.“
Isidor Philipp berichtet:
„Wer sich hinlegte, wurde von den SS-Männern, die auf Motorrädern fuhren, erschossen.“
19. – 23.1.1945 Ankunft in den Eisenbahnknotenpunkten Gleiwitz und Loslau. Von Gleiwitz oder Loslau in Güterwaggons zu westlich gelegen Konzentrationslager wie Buchenwald, Ravensbrück
Isidor Philipp berichtet:
„Von dort begann dann – in offenen Kohlewaggons und bei 15 Grad unter Null – die Fahrt durch Polen, Tschechoslowakei und Österreich zurück nach Deutschland.“
21./22.1. 1945 Ankunft in Loslau
22.1.-27.1.1945 auf Transport in offenen Kohlewaggons über KL Groß-Rosen und KL Sachsenhausen (jeweils wegen Überfüllung abgewiesen) bis ins KL Ravensbrück; dort zunächst ins „Jugendlager“,
Nach Schätzungen starben bei diesen Räumungstransporten von Auschwitz insgesamt zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge.
März/ April 1945 bei Auflösung des „Jugendlagers“ für wenige Tage ins „Frauenlager“
Anfang April 1945 mit einem Personenzug ins Lager Malchow, Außenlager des KL Ravensbrück
April 1945 Erneute Todesmärsche“ mit jeweils 2000 bis 3000 Frauen in zahlreichen Kolonnen aus dem bereits überfüllten KL Ravensbrück in mehrere Richtungen. Geschwächte und kranke Häftlinge, die dem Marsch nicht mehr folgen konnten, wurden erschossen. Die etwa 1500 Überlebenden des ca. 60 km langen Fußmarsches, die im April 1945 im Außenlager Malchow ankamen, sollten hier nur wenige Tage bleiben.
April 1945 Ankunft im Außenlager Malchow.
1.5. 1945 Befehl der SS, das Lager Malchow zu räumen, Todesmarsch über Plau endet in Lübz.
1.5.1945 werden sie erneut auf dem Marsch getrieben. In der Umgebung der Stadt Crivitz traf der größere Teil der Sachsenhausener Häftlinge aus dem Waldlager Below auf die Frauen aus dem KL Ravensbrück, deren Todesmarsch sie über das Außenlager Malchow, nicht weit von Below entfernt, geführt hatte. Der Zug mischt sich mit großen Flüchtlingsströmen. Die Wachmannschaften werden von Tag zu Tag weniger, bis sie ganz verschwunden sind.
Anni Rosenhain, Margot Edel, Esther Loewy, Sylvia und Karla Wagenberg, Susi Rosenthal aus Essen und Irmgard Müller aus Halle treffen auf die Chawera Esther Loewy, die aus dem KL Ravensbrück dazukommt. Auf dem Marsch lösen sie sich unbemerkt aus der Kolonne und können sich in einem Wald verstecken. Sie bleiben bis zum Kriegsende zusammen.
Die sieben von nun an freien Gefährtinnen bitten auf einem Bauernhof in der Nahe von Lübz um ein Nachtlager; sie bekommen sogar einen Eimer gekochte Kartoffeln.
Sieben von nun an freie Gefährtinnen ersuchen einem Bauernhof Nahe Lübz um ein Nachtlager; sie bekommen sogar einen Eimer gekochte Kartoffeln.
3.5.1945 am nächsten Morgen rollen die US-Tanks in den Ort und nehmen die jungen Frauen zu einer gemeinsamen Siegesfeier mit Soldaten der ebenfalls eingetroffenen Roten Armee in den Ort Lübz mit. Esther Loewy begleitet das Fest auf dem Akkordeon.
3. 5.1945 Befreiung durch US-Truppen in Lübz in Mecklenburg
4.5.1945 mit den sich zurückziehenden US-Truppen nach Schwerin
Esther Loewy/Bejerano berichtet von der Befreiung
„Am 3. Mai bin ich befreit worden. An diesem Tag fühlte ich mich zum ersten Mal, seit wir vom Todesmarsch geflüchtet waren, sicher. Sieben Mädchen waren wir, wir haben uns im Wald versteckt. Wir sind erst auf russische Soldaten getroffen und dann auf amerikanische Tanks. Die haben uns aufgenommen, nachdem wir ihnen unsere Nummern auf dem linken Arm gezeigt haben. Sie haben uns nach Lübz gebracht.“
Mai 1945 Von Lübz kommen Sie in das neben dem alten KL liegende DP Camp Bergen-Belsen, dort erstmals Kontakt mit der Jewish Brigade, die dort einen Stützpunkt hatte. Die Jewish Brigade empfiehlt ihnen den „Kibbuz Buchenwald“ auf dem Gehringshof aufzusuchen.
14.6.1945 Liste deutscher Jüdinnen in Bergen Belsen mit Mitgliedern des Mädchenorchesters: Ruth Basinski, Hilde Grynbaum, Charlotte Grunow, Elga Schiessel; Renate und Anita Lasker, Sylvia Wagenberg, Carla Wagenberg;
ebenfalls in Bergen Belsen Regina Kuperberg, Helen Dunicz, Elsa Miller, Flora Jacobs, Rachela Selmanowitz
Zusammen mit Hilde Grünbaum in den „Kibbuz Buchenwald“ Gehringshof bei Fulda
1946 im DP Camp Zeilsheim
Bricha durch die Jewish Brigade nach Frankreich
17.-27.3.1946 Alija Beth auf der SS TEL HAI von Marseille nach Haifa mit ihrer Freundin Hilda Grünbaum, Issy Philipp, Piese Zimche und vielen anderen.
30 Jahre im Labor der der landwirtschaftlichen Fakultät der Hebräischen Universität in Rechovot.
1999 trat sie in dem Dokumentarfilm „Bach in Auschwitz“ auf (Regie und Produktion: Michel Daeron)
August 2003 Tod infolge einer Krebserkrankung.
Gedenken
Grabstein für die Mutter auf dem Hoop Lane Cemetery London
Grabstein für Sylvia Shulamit Kalif auf dem Friedhof in Rechovot
Quellen
https://billiongraves.com/images?t=med16866517
Video-Interview mit Issy Philipp 1994
Werner Grossert, Carla und Sylvia Wagenberg, zwei Dessauer jüdische Mädchen im „Mädchenorchester“ des Vernichtungslagers Auschwitz, 2007
Esther Bejarano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989
Esther Bejarano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013
Anneliese Ora Borinski, Erinnerungen
Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386
Naftali-Rosenthal-Ron, Aufblitzende Erinnerungen, Autobiografie; deutsche Übersetzung von Alice Meroz, Berlin 2015
Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939
Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883
https://www.ortschroniken-mv.de/images/d/d9/MAL_KZ_Aussenlager.pdf
https://www.ernster.com/annot/564C42696D677C7C393738333839313434333533387C7C504446.pdf?sq=2
https://www.topfundsoehne.de/ts/de/service/mediathek/videos/2020/139178.html
https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883
Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013
Sehr geehrter Herr Wittstamm. Mir ist noch ein weiterer Fehler aufgefallen, den ich auch bei Mr Bruce Colegrove finde. Ich habe ihm bereits eine E-Mail geschikt. Sylvia Wagenberg und Esther Bejarano haben die gleiche Nummer 41948. Ohne Z, EH ,A oder B geht das natürlich nicht. Herr Colegrove schikte mir ein Exemplar von Bejaranos Buch, in dem sie bestätigte dass dies ihre Nummer sei. Sylvia Wagenberg stammt aus demselben Transport, daher wird ihre Nummer wahrscheinlich mit 419… beginnen. Auch Helene Dunicz macht diesen Fehler (Seite 174). Viel Gluck bei ihrer Recherche. Beste Grusse. Etienne Bosschaert
Sie verbrachte die letzten 30 Jahre ihres Lebens in Rechovot, Israel, wo sie in einem Labor der landwirtschaftlichen Fakultät der Hebräischen Universität arbeitete.
Sie hatte drei Söhne: zwei aus ihrer Ehe mit Herrn Beeri und einen aus ihrer Ehe mit Herrn Kalif.
Sie hatte auch zwei Pudel und einen sprechenden Papagei.
1999 trat sie in dem Dokumentarfilm „Bach in Auschwitz“ auf. (Regie und Produktion: Michel Daeron).
Sie hörte ihr ganzes Leben lang die Musik klassischer deutscher Komponisten.
Sie starb am 15. August 2003 an Krebs. Hier ist ihr Grabstein auf dem Friedhof von Rechovot:
https://billiongraves.com/images?t=med16866517