Bähr Günther

Günther Schimschon Bähr

*25.2.1922 in Düsseldorf; ✡ 21.2.1945 in Landeshut, Schlesien

Staatsangehörigkeit deutsch

Religion jüdisch

Vater Hermann Hirsch Bähr *13.11.1887 in Prenzlau; Arzt, Dr. med. ✡20.10.1944 in Auschwitz

Mutter Hella Rela Haas * 21.1.1893 in Borken; ✡ 2.1.1945 in Theresienstadt

Großvater Rabbi Dr. phil. Oscar Jissachar Bähr (1856-1942

Großmutter Madchen Wertheim (1863-1943)

Großvater Jonas Haas SG-Vorsteher in Borken

Geschwister –

Beruf Student

Adressen

Moers, Kirchstraße 48;

Berlin, Pension Malamuth, Cuxhavener Straße 18; Landsberg; Ahrensdorf; Neuendorf;

Heirat

Kinder –

Weiterer Lebensweg

4 Jahre jüdische Volksschule Am Neumarkt, zusammen mit Werner Coppel

8 Jahre humanistisches Gymnasium Adolfinum in Moers

10.11.1938 Großvater Jonas Haas SG-Vorsteher in Borken nachts um 3 Uhr verhaftet im Novemberpogrom, „Schutzhaft“ in Borken bis morgens 7 Uhr

Vater Hermann letzter Vorsteher der jüdischen Gemeinde Moers

19.4.1939 nach Berlin; Jüdisches Gymnasium

17.5.1939 in Berlin Tiergarten bei Minderheiten-Volkszählung

6.3.1940 Abschluss des Gymnasiums in Berlin mit Abitur an der „Privaten höheren Schule der jüdischen Gemeinde Berlin“, Große Hamburger Straße

Zunächst zur Hachschara nach Heinersdorf bei Landsberg

Günter Bähr (oben Mitte) in Ahrensdorf; Kreisarchiv Teltow-Fläming, Forschungsarchiv Dr. Fiedler

Wechsel mit Bernd Oppenheimerrins Landwerk Ahrensdorf

„Krümel“ und Schimschon; Sammlung von Herbert Fiedler

Günter Bähr die erste große Liebe von Esther Bejarano -Loewy in Ahrensdorf

5.7.1941 behördliche Anordnung zur Auflösung der Hachschara-Lager; Um­be­nen­nung der noch bestehenden in „Jü­di­sches Ar­beits­ein­satz­lager“

Ende Mai -Ende September 1941 Auflösung des Hachscharalagers Ahrensdorf;

27.5.1941 Verlegung mit 15 Chawerim in das Lehrgut Neuendorf im Sande;

25.7.1942 Eltern und Großeltern Bähr Transport VII/2 (Aachen) Düsseldorf nach Theresienstadt

18.10.1942 Todes des Großvaters Oscar Bähr in Theresienstadt „Altersschwäche“

November 1942 in Kraft tretendes Gesetz: „Alle im Reich gelegenen Konzentrationslager sind judenfrei zu machen und sämtliche Juden sind nach Auschwitz und Lublin zu deportieren.“

20.2.1943 neue Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für die „technische Durchführung der Evakuierung“

März 1943 Reichsweite „Fabrikaktion“, alle noch in Arbeitslagern und kriegswichtigen Betrieben beschäftigten „Volljuden“ werden verhaftet und in Konzentrationslager nach Auschwitz und ins „Generalgouvernement“ deportiert

5.3.1943 Großmutter Madchen stirbt in Theresienstadt „Herzschwäche“

10. 4.1943 Aus Neuendorf mit LKW nach Fürstenwalde, von dort mit der Bahn nach Berlin; zu Fuß ins Sammellager Große Hamburger Straße

19.4.1943 auf dem 37. Osttransport als Teil der Fabrikaktion, allein 153 Personen aus dem Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde.

Esther Bejerano erinnert sich:

„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“

Esther berichtet auch, dass viele alte und schwache Menschen diesen mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon (Günter) Bähr, Schoschana Rosenthal, Miriam Edel, Anne Borinski, Hilde Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg, Herbert Growald und noch viele andere. Schimschon und Esther hatten sich getrennt, sie hatte inzwischen ein Auge auf Eli Heymann geworfen, an dessen Seite sie den Transport in die Hölle überstand.

20. 4. 1943 Ankunft in Auschwitz; Notiz im Lagerbuch von Auschwitz:

„Mit einem Transport der RSHA […] sind etwa 1 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41870 bis 42027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen.
Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“

Günter Bähr bekommt die Auschwitz-Häftlingsnummer 117001 eintätowiert

20.10.-23.10.1943 im Häftlingskrankenbau von Buna Monowitz

Arbeitet im HKB „Schuhausgabe“

19.10.1944 Eltern auf Transport Es von Theresienstadt nach Auschwitz

15.1.1945 die Häftlinge in Auschwitz hören den russischen Kanonendonner  30 km aus dem Osten

Die Evakuierung von Auschwitz

18.1.1945 Evakuierung aller drei Auschwitz-Lager; ca 56-58 000 Häftlinge;

18.1.1945 Todesmarsch über 50 km von Auschwitz nach Gleiwitz;

Die Route des Todesmarsches führte von Auschwitz über Nikolai (Übernachtung in einer Scheune) nach Gleiwitz Isidor Philipp berichtet:

Isidor Philipp berichtet:

„Wer sich hinlegte, wurde von den SS-Männern, die auf Motorrädern fuhren, erschossen.“

19. 1.1945 Ankunft im Eisenbahnknotenpunkt Gleiwitz. Von Gleiwitz in Güterwaggons zu westlich gelegen Konzentrationslager wie Buchenwald, Ravensbrück, Mauthausen, Flossenbürg

Der Todesmarsch nach Geppersdorf

21.4.1945 3000 Häftlinge müssen nach zwei Tagen Wartens in eisiger Kälte einen wochenlangen Todesmarsch zum Lager Geppersdorf antreten, ein Außenlager des KL Groß Rosen; dazu gehören u.a. die Chawerim:

Willy Chanan Ansbacher, Erich Auerbach, Günter Bähr, David Ceder, Werner Coppel, Benjamin Feingersch, Michael Miki Goldmann, Horst Goldschmidt, Erich Heymann, Gerhard Maschkowski, Abraham Matuszak, Hans Nebel, Alfred Ohnhaus, Alfred Stillmann.

Ein Überlebender berichtet:

„Am 21. Januar mussten wir mit dem Zug weiterfahren. 4500 Gefangene wurden in offene Waggons verladen, in die jeweils 100 bis 130 Menschen gepresst wurden. 30 Stunden mussten wir auf die Abfahrt warten, bei Temperaturen von 15 bis 20 Grad unter Null. Dann, nach nur 15 Kilometern, stoppte der Zug. Den Häftlingen wurde befohlen, die Waggons sofort zu verlassen. Wem von der Kälte die Glieder steif geworden waren, so dass er den Wagen nicht schnell genug verlassen konnte, der wurde erschossen.“

Dem Freund aus Moers und Mithäftling Werner Coppel gelingt hinter Gleiwitz die Flucht. Er kann sich bis zum Eintreffen der „Roten Armee“ in den Wäldern verstecken.

Der Todesmarsch führt über Ratibor, Neustadt, Neisse, Glatz, Frankenstein, Langenbielau, Landshut, Waldenburg, Hirschberg nach Geppersdorf, in der Nähe von Greiffenberg lag das sogenannte Geppersdorfer Lager, ein Außenlager des KL Groß-Rosen; es sollen nur 280 dort angekommen sein.

Die Katastrophe von Landeshut

Tod von Günter Bähr in der Nacht vom 20.-21.2.1945 in der Nähe von Landeshut, Außenlager des KL Groß Rosen; das SS-Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST) in Landeshut nutze ein unterirdisches Stollensystem. In den letzten Kriegsjahren hatten einige auf Rüstungsproduktion umgestellte Betriebe ihre Produktion hierher verlagert.

Alfred Ohni Ohnhaus berichtet:

„Eines Tages kamen wir in Landeshut an. Wir waren etwa siebenhundert Personen. Dort steckten sie uns über Nacht in einen Tunnel einer Mine. …  Sie schlossen die Tür hinter uns. Dann öffneten sie es und brachten uns Essen. Es war eine Suppe, die wir mit den Bewohnern organisierten. Und wieder schlossen sie die Tür und gingen. Wir blieben im Tunnel und plötzlich fühlten wir uns erstickt. Nein, sie hatten nicht die Absicht, uns zu töten, aber die Anlage, die normalerweise Luft in den Tunnel pressen würde, wenn sie dort arbeiteten, funktionierte nicht für uns. Wir rannten vorwärts, bis zum Ende des Tunnels. Da waren Benjamin Feingersch, Günter Bähr, Bernd Oppenheimer, David Sader, Hersch (Erich) Auerbach und Ephraim (Horst Goldschmidt), sie standen an der Tür. Und wir gingen zurück, vielleicht gab es dort mehr Luft, vielleicht gab es dort einen Ausgang. Aber dem war nicht so. Der erste ging nach vorne, David Sader, und kehrte nicht zurück, er fiel in Ohnmacht. Ich ging ihm nach, wandte mein Gesicht der Wand zu und atmete die Nässe des Steins ein, aber auch ich fiel in Ohnmacht.

Am nächsten Morgen wachte ich auf und fühlte Leichen auf mir liegen. Einige starben an Erstickung, andere starben, weil sie von ihren Freunden überfahren wurden, die raus wollten. Etwa dreihundert Menschen starben in diesem Tunnel, darunter zwei aus unserer Gruppe: Günter Bähr und Bernd Oppenheimer.“

Ein überlebender Mithäftling berichtet:

„In Landeshut führte man uns in einen Stollen und machte das Tor zu. Nach einiger Zeit fühlten wir, dass keine Luft mehr war, und die Leute fingen an zu schreien, dass sie ersticken. Sie versuchten herauszukommen. Am Morgen waren viele tot, erstickt oder zu Tode getreten.“

Gedenken

1.2.1956 Page of Testimony für Günter Bähr von seiner Tante Elisheva Grünbaum-Bähr, Schwester des Vaters

Page of Testimony für Günter Bähr von seiner Cousine Ruth Grünbaum

17.4.1985 Page of Testimony für Günter Bähr von seiner Cousine Ingeborg Hirschhorn

25.3.1990 Page of Testimony für Günter Bähr von seinem Freund Elie Heimann

Sowie Pages of Testimony für seine Eltern

Vom jüngeren Friedhof, auf dem auch zahlreiche Opfer des Zwangsarbeiterlagers Landeshut (existent von Okt. 1943 bis April 1944) und zudem die Häftlinge des Todesmarsches begraben wurden, gibt es heute so gut wie keine Überreste; das Areal ist heute als Grünanlage gestaltet.

Quellen

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1046513

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de999989

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de836665

Hans Helmut Eickschen, Aus dem Leben des Günther Bär; 2017

Hermann Weiß, Buschvorwerk im Riesengebirge, Centaurus, 2006

https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/4820-oskar-b-hr/

https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/4819-madchen-b-hr/

https://www.statistik-des-holocaust.de/TT420725-1.jpg

Video-Interview mit Issy Philipp 1994

Esther Bejerano, Man nannte mich Krümel, Curio Verlag 1989

Esther Bejerano, Erinnerungen, Laika Verlag, 2013

Anneliese Ora Borinski, Erinnerungen

Diethard Aschoff, „Jeden Tag sahen wir den Tod vor Augen“. Der Auschwitzbericht der Recklinghäuserin Mine Winter, in: VZ 94 – 96, 1995 – 97, Hrsg. W. Burghardt, S. 321 – 386

Naftali-Rosenthal-Ron, Aufblitzende Erinnerungen, Autobiografie; deutsche Übersetzung von Alice Meroz, Berlin 2015

Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939

Danuta Czech, Lagerbuch von Auschwitz

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883

https://www.ortschroniken-mv.de/images/d/d9/MAL_KZ_Aussenlager.pdf

https://www.ernster.com/annot/564C42696D677C7C393738333839313434333533387C7C504446.pdf?sq=2

https://www.spiegel.de/geschichte/esther-bejarano-ist-tot-erinnungen-an-den-sommer-1945-a-06923ddf-6dc0-4c75-8136-011be044df7a

https://www.topfundsoehne.de/ts/de/service/mediathek/videos/2020/139178.html

https://collections.arolsen-archives.org/de/document/127212883

Ernest W. Michel, „Promises Kept – Ein Lebensweg gegen alle Wahrscheinlichkeiten“, 2013

Veröffentlicht von Franz-Josef Wittstamm

Geboren 31. Mai 1951 in Recklinghausen Gymnasium Petrinum 1961 bis Abitur1970 Studium der Humanmedizin in Bochum Approbation 1981 Promotion1982 Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin Im Ruhestand seit 2016

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